Der Meeresspiegel steigt 3,6 Millimeter pro Jahr. Eine grosse Bedrohung für küstennahe Städte wie New York, Tokio oder Venedig. Jetzt ist es Forschern in der Antarktis gelungen, weitere Informationen über diese feuchte Bedrohung zu sammeln. Und die Daten, die am Mittwoch in der Fachzeitschrift «Nature» veröffentlicht wurden, stimmen positiv. Ein Rätsel bleibt aber ungelöst.
Wie wichtig das Projekt war, zeigt der gigantische Aufwand. Forscher bohrten ein 600 Meter tiefes Loch in den Thwaites-Gletscher. Die riesige Eisplatte ist fünfmal so gross wie die Schweiz. Ein Roboter und Sonden quetschten sich durch die Öffnung. Ihr Auftrag: herausfinden, wie sich die Situation ganz unten präsentiert, wo das Eis und das Meerwasser aufeinandertreffen.
Und tatsächlich: Der Roboter und die Sonden lieferten Daten über die Zirkulation des Wassers, wie hoch der Salzgehalt ist und wie schnell das Eis von unten her schmilzt. Weil sich das Wasser durch das steigende Klima erwärmt, fängt der Eisblock von unten an zu schmelzen. Jetzt zeigt sich: Das Eis schmilzt weniger stark als angenommen. Anstatt zehn bis 100 Meter sind es «nur» wenige Meter im Jahr.
Gletscher schrumpft bis zu zwei Kilometer pro Jahr
Wie man sich derart täuschen konnte? Johannes Sutter, ein Spezialist für die Eismodellierung der Antarktis, klärt gegenüber SRF auf: «Aus diesem Gebiet gab es vorher noch keine direkten Messdaten.» Umso wichtiger war dieses Projekt. Das aber auch einige Fragen aufwirft.
Obwohl der Gletscher nur um wenige Meter pro Jahr schmilzt, verliert der Eisblock rasant an Fläche. Ein bis zwei Kilometer pro Jahr! Ein Rätsel. Das nur einen Schluss zulässt: Die bisherigen Berechnungen über den Schmelz-Prozess in der Antarktis sind ungenau.
Die Ergebnisse ändern nichts an der Tatsache, dass der Thwaites-Gletscher zu den am schnellsten schrumpfenden und am wenigsten stabilsten Eisflächen in der Antarktis gehört. Im Bericht ist zu lesen: «Hinsichtlich des Anstiegs des Meeresspiegels ist der Thwaites-Gletscher am besorgniserregendsten.»
«Das würde ein Meeresanstieg von drei bis vier Metern bedeuten»
Der Meeresspiegel dürfte bis im Jahr 2100 um etwa 80 Zentimeter ansteigen, so Forscher. Es könnte aber auch noch mehr werden, befürchtet Sutter. Sobald der ganze Gletscher vom wärmeren Meerwasser unterspült wird, droht das Fiasko. «Wenn das passiert, dann würde der Meeresspiegel auf lange Sicht um einen halben Meter steigen und im Nachgang die gesamte Westantarktis erfassen. Das würde ein Meeresanstieg von drei bis vier Metern bedeuten.»
Das wärmere Meerwasser würde den Schmelzvorgang unterhalb der Eisfläche zusätzlich beschleunigen. Schlechte Nachrichten für New York, Tokio oder Venedig. Die nächsten Jahrzehnte werden entscheiden, ob es die Städte auch in einigen Jahrhunderten noch gibt. (abt)