Eine hügelige Farbexplosion aus viel Grün und Bunt, dazwischen ein Komposthaufen und eine Garette — auf den ersten Blick sieht der Garten im Suhrer Wohngebiet aus wie viele Kleingärten. Erst ein Blick von der nahen Rutschbahn enthüllt eines seiner Geheimnisse. «Von oben sieht der Garten wie ein menschliches Gehirn aus», erzählt Gartentherapeutin Karin Schnellmann (54), die die Grünfläche für die Gemeinde betreut.
Das Wort Therapie ist verpönt
Das spriessende Hirn ist eine Hommage an die zehnköpfige Gruppe, die im Therapiegarten jeden Montag unter den wachen Augen von Schnellmann wilde Rüebli rupft und Kürbispflanzen giesst. Es sind Menschen mit einer Hirnverletzung, die hier dank der Patientenorganisation Fragile in ihr kleines Paradies eintauchen dürfen.
«Wir sprechen selten von Therapie, weil die Gruppe im Alltag schon viel mit anderen Therapien zu tun hatte, die anstrengend sein können», erzählt Schnellmann. Auch Karin Schnellmann selbst bezeichnet sich trotz Weiterbildung nicht gerne als Gartentherapeutin. Sie sieht sich lieber als Gartenleiterin. «Im Kern geht es darum, Menschen mit ähnlichem Leben zusammenzubringen und zu fördern.»
Natur hilft bei Schmerzen und Stress
Es gibt immer mehr Belege für die positiven Auswirkungen der Natur auf die Gesundheit. Der amerikanische Gesundheitswissenschaftler Roger S. Ulrich beobachtete bereits 1984, dass Patienten nach einer Gallenblasenoperation weniger Schmerzmittel benötigten, wenn sie aus dem Spitalbett ins Grüne blicken konnten.
Japan lieferte in den 1990ern vertiefte wissenschaftliche Erkenntnisse. Forschende analysierten die Gesundheitsdaten von achtsamen Waldspaziergängern und prägten den Begriff Waldbaden. Die Wissenschaftler stellten fest, dass solche Aufenthalte in der Natur für eine bessere Immunfunktion und besseren Schlaf sorgten.
Ins Beet statt auf die Yogamatte
Bei der Gartentherapie kommen noch andere gesundheitsfördernde Aspekte hinzu, wie das Training der Grob- und Feinmotorik beim Säen, Jäten und Wässern. Eine aktuelle Studie fand heraus, dass Gartenarbeit entspannender wirkt als Yoga.
Ungezwungener Rahmen
Die Schlichtheit des Garten-Projekts hat Monica Hofmann (50) angeregt, mitzumachen. «Seit ich als Kleinkind aus dem Fenster gestürzt bin, lebe ich mit einer Hirnverletzung. Der Gartentreff hat mich überzeugt, weil der Rahmen so ungezwungen ist und die Treffen in meinem Nachbardorf stattfinden», erzählt sie am Telefon.
Vom Sonnenblumenwald überrascht
Besonders stolz ist die Gartentruppe auf ihren Sonnenblumenwald. Die Blumen schossen ungeplant drei Meter in die Höhe. Sie sind ein beliebtes Fotosujet bei Spaziergängerinnen und Mittagspäuslern, denn der Garten ist öffentlich zugänglich.
Gartenleiterin Karin Schnellmann, die ursprünglich Kauffrau ist, kann sich keinen besseren Job vorstellen. Das Wohlwollen und der achtsame, liebevolle Umgang miteinander berühre sie besonders: «Ein Teilnehmer hat bedauert, dass er wegen seiner Verletzung nicht mehr fotografieren kann. Die Gruppe hat ihn ermutigt, es im Garten ohne Druck zu versuchen. Das hat geklappt und daraus ist ein Memory-Spiel entstanden », erzählt sie unter einem schattigen Weidenbogen.