Beruhigende Duftstoffe
Darum tut uns der Wald so gut

Warum eigentlich sind Waldspaziergänge so gesund? Was Forscher weltweit bis anhin alles über die wohltuende Wirkung von Wäldern herausgefunden haben.
Publiziert: 21.03.2021 um 16:28 Uhr
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Aktualisiert: 22.03.2021 um 16:21 Uhr
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Nach einem Aufenthalt im Wald nehmen Müdigkeit, depressive Verstimmungen und Ärger ab.
Foto: Getty Images
Andrea Haefely «Beobachter»

Draussen greller Sonnenschein. Dann das kühle Dunkel des Waldes, das im ersten Moment die Sicht raubt. Zuerst der Duft. Würzig, auch ein bisschen modrig, irgendwie wohlig. Dann dringen Geräusche ins Bewusstsein: Es knackt, raschelt, murmelt leise. In der Ferne das aggressive Summen einer Waldwespe, ein Specht hackt seinen Weg durch Totholz, auf der Suche nach einer fetten Made. Die Augen, jetzt ans Halbdunkel gewöhnt, vibrieren fast. Wohin schauen? Überall Grün in Millionen von Schattierungen, irisierend durch die zarte Bewegung der Blätter. Wald fühlt sich wohl an, er entspannt, hypnotisiert fast ein wenig.

Wälder sind wichtig. Sie verwandeln schädliches CO2 in Sauerstoff. Sie liefern Holz, schützen das Land vor Erosion und Austrocknung, speichern Wasser, bieten Schutz vor Hochwasser, Lawinen und Erdrutschen. Und seit immer mehr Menschen in den Städten wohnen, sind sie ein immer wichtigerer Erholungsraum geworden.

Der Wald stärkt die Abwehrkräfte

Doch Wald kann mehr. Aufenthalte im Wald helfen gegen Diabetes, Bluthochdruck und Stress. Waldluft einzuatmen aktiviert die körpereigenen Killerzellen, jene Helferlein, die Krebszellen im Frühstadium entdecken und unschädlich machen. Der Wald hat zudem einen positiven Einfluss auf die Psyche, was sich – etwa anhand des Stresshormons Cortisol im Blut – auch messen lässt. Er beruhigt.

Was passiert mit unserem Körper im Wald? Wie lindert oder verhindert der Wald typische Zivilisationskrankheiten? Ganz einfach: Bäume kommunizieren miteinander über Duftstoffe, die Terpene. Und diese tun uns gut.

Bäume wehren sich mit Düften gegen Schädlinge

Bäume bilden und senden Terpene etwa dann aus, wenn sie von Schädlingen oder Krankheitserregern befallen sind. Das System der Ulme, Schädlinge zu bekämpfen, ist besonders clever: Wenn sich etwa der Ulmenblattkäfer (Xanthogaleruca luteola) auf ihr ausbreitet, lockt sie mit ihren Ausdünstungen Schlupfwespen an. Diese legen ihre Eier in die Käfereier. Die Larven fressen die Käfereier von innen heraus auf und stoppen so die Ausbreitung.

Mit den Terpenen warnen die Bäume aber auch ihre Nachbarbäume vor möglichem Schädlingsbefall. Oder sie gaukeln mit ihrem Duft einem Schädling vor, nicht die richtige Futterquelle zu sein. Der zieht dann hungrig einen Baum weiter.

Altbekanntes aus der Waldapotheke

Was dem Ungeziefer schadet, hilft dem Menschen. Schon im Mittelalter legte man dünn abgetragene Birkenrinde auf offene Wunden. Heute weiss man, warum das wirkt: Das Terpen Betulin, das der Birke zur Abwehr von Insekten und als UV-Schutz dient, tötet Bakterien ab und begünstigt die Heilung der Wunde.

Heute kommt niemand mehr auf die Idee, sich einen Birkenwundverband zu basteln. In anderen Bereichen werden Terpene aber immer noch verwendet, etwa in der Parfümindustrie oder im Kampf gegen Mücken. Duftkerzen und Lampenöle, die uns die stechenden Quälgeister vom Hals halten sollen, enthalten zum Beispiel Citronellol, das aus Zitronengras gewonnen wird.

Japaner schwören aufs «Waldbad»

In der japanischen Kultur hat der Wald seit je einen hohen Stellenwert. 1982 kreierte die staatliche Forstbehörde den Begriff Shinrin-yoku, was so viel wie «Waldbaden» oder «Eintauchen in den Wald» bedeutet; ein kurzer, geruhsamer Ausflug in den Wald, bei dem man tief ein- und ausatmet. Wissenschaftliche Beweise für die physiologischen Auswirkungen des Waldes auf den menschlichen Körper gab es damals noch kaum.

Knapp 20 Jahre später wollte es das zuständige Ministerium genau wissen und startete ein Projekt zur Erforschung der therapeutischen Effekte von Waldaufenthalten. Mit im Team war Qing Li, ein zierlicher Mann mit freundlichem Gesicht und grosser Brille. Der Umweltimmunologe forscht an der Nippon Medical School in Tokio und gilt als einer der Pioniere der modernen Waldmedizin.

2006 gelang ihm ein sensationeller Nachweis: Aus Holz gewonnene Duftöle regen die natürlichen Killerzellen an und begünstigen ihre Bildung. Zudem erhöhen sich die Werte für zwei Anti-Krebs-Proteine.

Ein Jahr später bewies Qing Li, dass sich dieser Effekt bereits während eines Waldaufenthalts beobachten lässt. Zwölf Testpersonen hielten sich innerhalb von zwei Tagen insgesamt sechs Stunden lang im Wald auf. Die Aktivität der Killerzellen bei elf der zwölf Probanden war an diesen zwei Tagen um 50 Prozent höher als an normalen Tagen. Zudem hatten sich mehr Zellen gebildet. Der Effekt auf das Immunsystem sank danach zwar auf 23 Prozent über Normalniveau, hielt sich dann aber einen Monat lang auf diesem Wert.

2015 verbrachten koreanische Brustkrebspatientinnen für eine Studie 14 Tage im Wald. Die Forscher konnten feststellen, dass der Waldbesuch die Killerzellen der Patientinnen aktiviert hatte.

Wacher, glücklicher, klarer

Können Waldspaziergänge wirklich Krebs heilen? Kann man einfach Bäume umarmen, um gesund zu werden? «Nein. Waldspaziergänge können aber vorsorgen», sagt Qing Li. Dennoch helfen sie auch akut: Sie mindern die Ausschüttung von Stresshormonen wie Cortisol und Adrenalin, dadurch sinken Herzfrequenz und Blutdruck. Auch Müdigkeit, depressive Verstimmungen, Ärger und Verwirrung nehmen nach einem Waldaufenthalt ab.

Diese positiven Auswirkungen auf den menschlichen Körper lassen sich messen. Deutlich schwieriger ist es, herauszufinden, wie genau der Wald in seiner Gesamtheit wirkt. Die Waldluft ist ein höchst komplexer Mix aus unzähligen Pflanzenausdünstungen. Hinzu kommt, dass Terpene flüchtige Stoffe sind, der geringste Luftstoss trägt sie fort. Unkontrollierbare Faktoren wie Sonne, Regen und Luftdruck verunmöglichen es, Messergebnisse zu vergleichen.

Raus aus dem Wald, rein in die Bündner Arvenstube. Es duftet herrlich nach Holz. Man fühlt sich sofort wohl. Wieso das so ist, wollten österreichische Forscher des Instituts für Gesundheitstechnologie und Präventionsforschung in Weiz herausfinden.

Duft von Arven erspart eine Stunde Herzarbeit

Sie verteilten 30 Erwachsene auf ein Arvenholzzimmer oder auf einen Raum, der mit Holzimitat ausgekleidet war. Die Testpersonen mussten diverse Konzentrations- und Denkübungen machen. Zudem liessen die Forscher sie im Takt und in hohem Tempo eine Stufe rauf- und runtersteigen. Im zweiten Teil der Studie übernachteten die Probanden über längere Zeit in Betten aus Arve oder Holzdekor.

Und tatsächlich: Der subjektive Wohlfühlbonus liess sich messen. In der Naturholzstube erholten sich die Testpersonen schneller und nachhaltiger. Sie waren ruhiger. Ihr Herz schlug besonders unter psychischem Stress deutlich langsamer. Die Testpersonen im Arvenholzbett schliefen zudem besser. Die Terpene der Arve ersparten ihnen durchschnittlich 3500 Herzschläge pro Tag. Das entspricht einer Stunde Herzarbeit.

Die Forscher wollten zudem wissen, wie sich Arvenholz auf Kleidermotten auswirkt. Dazu setzten sie Mottenlarven in Kästen aus verschiedenen Hölzern aus. Die Arve machte mit Abstand den besten Job: Nach 15 Wochen hatte sich die Zahl der Larven in den Arvenholzkästen um 48 Prozent verringert, in Kästen aus anderem Holz nur um 8 bis 36 Prozent.

Auch einzelne Bäume sind effektiv

Es gibt über drei Billionen Bäume auf der Welt. Rund 500 Millionen davon wachsen in der Schweiz. Wir haben es gut: 69 Prozent der hiesigen Bevölkerung sind zu Fuss innert fünf bis zehn Minuten im Wald. Und davon gibt es reichlich. Auf rund einem Drittel der Landesfläche wächst Wald. Während der Wald weltweit jährlich wegen Rodungen um 5,2 Millionen Hektaren schrumpft, wächst er hierzulande um 0,4 Prozent. Allein zwischen 1985 und 2006 nahm die bewaldete Fläche um 100'000 Hektaren zu. Das ist mehr als die Fläche des Kantons Glarus.

Es muss aber nicht gleich ein ganzer Wald sein. Auch Alleen, Einzelbäume und kleine Bauminseln zwischen den Häusern tun gut. Nachgewiesen hat das der Umwelt- und Neuropsychologe Marc Berman von der Universität Chicago mit seinem Team am Beispiel von Toronto, der mit 2,6 Millionen Einwohnern grössten Metropole Kanadas. Die Forscher untersuchten Gesundheitsdaten der Bewohner und verglichen sie mit der Verbreitung von Bäumen innerhalb der Stadt.

Je mehr Bäume in der Nähe, desto besser die Gesundheit

Um die Ergebnisverfälschung auf ein Minimum zu reduzieren, berücksichtigten sie auch sozioökonomische und demografische Faktoren wie Einkommen, Alter und Bildung. Das Resultat: Je mehr Bäume ein Stadtmensch in der Nähe hat, desto besser steht es um seine Gesundheit. Je mehr Bäume in nächster Nähe, desto kleiner die Gefahr von Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck und anderen Zivilisationskrankheiten. Menschen, die im Umfeld von zehn und mehr Bäumen wohnen, leben bis zu sieben Jahre länger.

Glücklich, wer im Spital ein Bett mit Sicht ins Grüne hat. Gallenblasen-Patienten, die vom Krankenbett aus auf einen Baum blickten, benötigten weniger Schmerzmittel, hatten seltener Komplikationen und genasen schneller als die, die auf eine Hausmauer schauten. Das zeigte Roger Ulrich, Architekturprofessor mit Schwerpunkt Spitalbau, bereits 1984 in einer aufwendigen Doppelblindstudie.

Grüne Tapeten für die Gefängniszelle

Allein der Anblick eines Baums ist also gesund – selbst wenn es sich nur um ein Bild handelt. Deshalb setzen immer mehr Krankenhäuser und Gefängnisse, deren Patienten und Insassen nicht ohne weiteres auf reale Natur zurückgreifen können, auf Fototapeten mit Waldsujet.

Die Psychologie kommt auch im echten Wald zum Zug. «Es kommt sogar darauf an, wie gut einem der Wald gefällt, durch den man spaziert», sagt die Umweltpsychologin Nicole Bauer von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Sie hat im Rahmen einer Doktorarbeit erforscht, ob sich für den Erholungseffekt ein Unterschied ergibt, wenn der Wald gepflegt oder wild ist – mit einem verblüffenden Ergebnis.

Freche Kinder werden friedlich

Überrascht vom Ergebnis seiner eigenen Untersuchung war auch der Umwelthygieniker Hans-Peter Hutter von der Medizinischen Universität Wien. Er wollte wissen, ob sich Schüler in der Pause besser in einem Wald respektive einem naturähnlichen Park, in einem städtischen Park oder auf einem Betonplatz zwischen Häusern erholen. Selbst Grossstadtjugendliche konnten im Wald am besten auftanken. Zudem hielt der Erholungseffekt nach der Waldpause am längsten an.

Dass Kinder und Jugendliche enorm vom Wald profitieren, macht eine weitere japanische Studie deutlich. Die Forscher schickten 18 Elfjährige einen Tag in den Wald. Der eine Teil waren brave, der andere verhaltensauffällige Schüler. Nicht nur, dass sich alle Kinder unter Bäumen besser erholten und danach ausgeglichener waren. Bei den frechen Kids war der Effekt viel ausgeprägter. Ähnliches zeigen Studien zu Waldkindergärten. Hinzu kommt, dass Waldkindergärtler motorisch geschickter und kreativer sind als Kinder aus einem konventionellen Chindsgi.

Bei uns kommen Waldkindergärten erst richtig auf. «Es wird spannend sein, zu untersuchen, welchen Langzeiteffekt Waldkindergärten haben», sagt Umweltpsychologin Nicole Bauer. Dass der Wald Gross und Klein guttut, wissen wir aber. Also nichts wie hin.

Beobachter
Artikel aus dem «Beobachter»

Dieser Artikel wurde aus dem Magazin «Beobachter» übernommen. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.beobachter.ch

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Dieser Artikel wurde aus dem Magazin «Beobachter» übernommen. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.beobachter.ch

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