Am Anfang waren die Studentenbewegten. Sie wollten die Arbeiter und die Dritte Welt von der Unterdrückung durch kapitalistische Strukturen befreien, wie sie das nannten. Das grosse Wort schwangen die Männer. Die Frauen hörten zu und strickten. Oder sie hockten zu Hause. Betreuten die Kleinkinder, die sie zusammen mit den Kämpen der sogenannten Ausserparlamentarischen Opposition (APO) in die Welt gesetzt hatten.
Dann, am 13. September 1968, auf der 23. Delegiertenkonferenz des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) in Frankfurt (D), geschah Unerhörtes: Eine Frau stand auf und las den Männern die Leviten: Das Ereignis ging als «Tomatenrede» in die Geschichte ein und gilt als Startschuss für die neue Autonome Frauenbewegung.
«Das Private ist politisch»
Kurz vor Mittag ergriff die deutsche Filmemacherin Helke Sander das Mikrofon und kritisierte die alleinige Zuständigkeit der Frauen für Kindererziehung und Haushalt, gerade auch in studentenbewegten Beziehungen mit Kindern. Ihre Forderung: Kindererziehung nicht mehr als private Angelegenheit der Mütter betrachten, sondern als eine gesellschaftliche Aufgabe, als Postulat der Gleichberechtigung der Geschlechter – nicht nur, aber gerade auch unter linken Studenten.
«Das Private», rief sie in den Saal hinein, «ist politisch!» Und auch Voraussetzung dafür, dass sich Frauen im gleichen Masse aktiv politisch betätigen könnten wie Männer. Diese aber verspürten wenig Lust, diese Angelegenheit zu diskutieren, und drängten zu Tisch.
Klassenfeind in den eigenen Reihen
Die Quittung bekamen die mehrheitlich männlichen SDS-Delegierten am Nachmittag präsentiert, als sie zur Tagesordnung übergehen wollten. Als der Vorsitzende Genosse ebenfalls schwieg, «sprang vor ihm die rothaarige, hochschwangere Berliner Volkswirtschafterin Sigrid Rüger vom Stuhl und schleuderte mit dem Ruf ‹Konterrevolutionär! Agent des Klassenfeindes!› sechs Tomaten; eine traf ihn am linken Schlüsselbein», rapportierte der «Spiegel».
Ein Tomatenwurf mit Folgen: In ganz Deutschland gründeten linke Frauen nun «Weiberräte», «Aktionsräte zur Befreiung der Frauen» sowie selbst verwaltete Kindergärten.
«Wir haben abgetrieben»
Die Emanzipation der Frau vom Mann hatte einen wuchtigen Start hingelegt und war nun nicht mehr zu bremsen. «Die Aktionen frecher Frauen zeigten Wirkung», schrieb die «Welt» in einem Rückblick auf 1968, «in den USA warfen Emanzen ihre Büstenhalter auf den Müll, um gegen die stupide Po- und Busen-Werbung zu protestieren. In Holland gab es die ‹dollen Minnas›, die männlichen Gaffern bei ihren Protestumzügen schon mal in den Hintern kniffen. Französinnen legten am Arc de Triomphe einen Kranz nieder: ‹Für die unbekannte Frau des unbekannten Soldaten›.»
Wirkungsvoller noch: In Frankreich bekannten sich prominente Frauen dazu, gegen das Abtreibungsverbot verstossen zu haben. Die deutsche Feministin Alice Schwarzer kupferte die Idee ab, und am 6. Juni 1971 titelte der «Stern»: «Wir haben abgetrieben! 374 deutsche Frauen halten den §218 für überholt und erklären öffentlich: Wir haben gegen ihn verstossen.»
Es ist der wohl grösste Coup der noch jungen Frauenbewegung, mit einem neuen Schlachtruf, der schliesslich auch das Abtreibungsverbot zu Fall bringt: «Mein Bauch gehört mir!»
Am 1. Februar 1969 trat in der Schweiz eine kurz zuvor gegründete Frauenbefreiungsbewegung (FBB) erstmals öffentlich in Erscheinung – und wandte sich zunächst gegen Frauen: An diesem Tag erinnerte der bürgerliche Frauenstimmrechtsverein mit einem Fackelzug in der Zürcher Innenstadt an die zehn Jahre zuvor verlorene Abstimmung um das Frauenstimmrecht. Die «NZZ» sprach von «progressiven Mädchen», die da den offiziellen Fackelzug mit roten Fahnen und Sprüchen wie «Eins, zwei, drei, Pille frei» störten. Am Bellevue gab es ein Strassentheater, ein «bürgerliches Erziehungsspiel», das die Verbannung der Frau an den «häuslichen Herd» durch den Mann aufs Korn nahm.
Dieser erste Auftritt der FBB gilt als Initialzündung für die neue linke Frauenbewegung in der Schweiz.
Am 1. Februar 1969 trat in der Schweiz eine kurz zuvor gegründete Frauenbefreiungsbewegung (FBB) erstmals öffentlich in Erscheinung – und wandte sich zunächst gegen Frauen: An diesem Tag erinnerte der bürgerliche Frauenstimmrechtsverein mit einem Fackelzug in der Zürcher Innenstadt an die zehn Jahre zuvor verlorene Abstimmung um das Frauenstimmrecht. Die «NZZ» sprach von «progressiven Mädchen», die da den offiziellen Fackelzug mit roten Fahnen und Sprüchen wie «Eins, zwei, drei, Pille frei» störten. Am Bellevue gab es ein Strassentheater, ein «bürgerliches Erziehungsspiel», das die Verbannung der Frau an den «häuslichen Herd» durch den Mann aufs Korn nahm.
Dieser erste Auftritt der FBB gilt als Initialzündung für die neue linke Frauenbewegung in der Schweiz.
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