Sie studierten in Berlin, Paris oder Zürich und fühlten sich als Internationalisten. Sie geisselten die Zustände daheim, wähnten sich aber als Teil einer «globalen Revolte», wie sie das nannten.
Die Sehnsucht dieser Abenteuerromantik hatte ihren Fluchtpunkt in der Dritten Welt, bei den Befreiungsbewegungen in Asien, Afrika und Lateinamerika. Dieser Wunsch nach globaler Solidarität war wohl nirgends in Europa so stark wie in Nachkriegsdeutschland. Im Zentrum stand ein Name: Vietnam.
Seit 1964 kämpften dort übermächtige US-Truppen gegen den Vietcong, eine südvietnamesische Guerillabewegung, die vom kommunistischen Norden des Landes unterstützt wurde. Die «imperialistische Politik» der Supermacht USA hatte zu diesem schmutzigen Krieg gegen ein armes Drittweltvolk geführt.
Widerstand wird Pflicht
Gerade in Deutschland trieb dies die Studenten in Scharen auf die Strasse. Herbert Marcuse erhob den Widerstand gegen den Vietnamkrieg zur «moralischen Pflicht» aller Studenten in der Bundesrepublik – der Philosoph hatte einst vor den Nationalsozialisten in die USA fliehen müssen.
Das gab der Bewegung gewaltigen Auftrieb. Hatten es nicht die Eltern versäumt, gegen die Nazis Widerstand zu leisten? Das wollten sich die Nachkommen angesichts der Gräuel in Vietnam nicht sagen lassen. Stefan Aust, der spätere «Spiegel»-Chef, schrieb damals in der linken Zeitschrift «Konkret»: «Dass dieses grosse Amerika, das uns vom Faschismus befreit hatte, dieses liberale, demokratische Amerika sich nun plötzlich in einem grausamen Dschungelkrieg wiederfand und grausame Dinge getan hat, das hat viele in ihrem Glauben an die Amerikaner total erschüttert. Es war eine durch Blut bitter enttäuschte Liebe.»
Ho Chi Minh und Che Guevara
Rudi Dutschke, der Studentenführer, erfasste als Erster die kollektive Befindlichkeit unter den Studenten und beschloss, diese für seine politischen Zwecke zu nutzen. Im Februar 1968 organisierte er einen zweitägigen Vietnamkongress in Berlin – rund 5000 Studentenbewegte strömten in das hoffnungslos überfüllte Auditorium Maximum der Technischen Universität.
Während draussen die rote Mao-Bibel zu kaufen war, skandierten drinnen Tausende den Namen des vietnamesischen kommunistischen Revolutionärs Ho Chi Minh. An der Wand prangte ein riesiges, in den Vietcong-Farben Rot-Blau-Gelb gehaltenes Fahnentuch. Darauf stand: «Die Pflicht jedes Revolutionärs ist es, die Revolution zu machen.» Der Spruch wird Che Guevara zugeschrieben, dem andern revolutionären Liebling der Studentenschaft.
Globalisierte Revolution
Dann schritt Dutschke zum Rednerpult, redete rund eine Stunde auf die «Genossinnen und Genossen» ein, sprach von dem «imperialistischen Kampf», der nun in die Metropolen zu tragen war. Er sprach von «radikaler Opposition» gegen das bestehende System, die «heute notwendigerweise global sein» müsse. Es gehe um nichts Geringeres als die «Globalisierung der revolutionären Kräfte». Am Schluss forderte er «die Revolutionierung der Revolutionäre».
Der Saal tobte vor Begeisterung, die UFA-Wochenschau ortete dort «die massivsten Angriffe gegen die gesellschaftliche Ordnung in der Bundesrepublik», und der Berliner Bürgermeister kündigte die Bekämpfung von «Unordnung und Chaos» an.
Der Anfang der Drittweltläden
Dutschke war auf dem Höhepunkt seiner Macht. Zwei Monate später schoss ein Rechtsextremer den Wortführer der Studentenbewegung nieder. 1979 starb er an den Spätfolgen.
Das Herz für die Dritte Welt hat die Studentenbewegung überlebt – in der Folge entstanden überall in Europa meist lokal organisierte Dritte-Welt-Gruppen und -Läden sowie Solidaritätskomitees.
1968 gründeten reformierte Theologen die entwicklungspolitische Organisation Erklärung von Bern. Ein früher Mitstreiter war der spätere Preisüberwacher Rudolf Strahm, der in den 1970er-Jahren zusammen mit der Gruppe Dritte Welt Bern eine spektakuläre Aktion gegen den Nestlé-Konzern vom Zaun brach.
Sie übersetzten eine englische Studie, welche die Firma beschuldigte, für den Tod Tausender von Säuglingen in Afrika und Südamerika verantwortlich zu sein. Titel der deutschen Fassung: «Nestlé tötet Babys». Es kam zum Prozess im Berner Amtshaus. Dreizehn Angeklagte wurden wegen Ehrverletzung zu einer Busse von 300 Franken verurteilt.
1968 gründeten reformierte Theologen die entwicklungspolitische Organisation Erklärung von Bern. Ein früher Mitstreiter war der spätere Preisüberwacher Rudolf Strahm, der in den 1970er-Jahren zusammen mit der Gruppe Dritte Welt Bern eine spektakuläre Aktion gegen den Nestlé-Konzern vom Zaun brach.
Sie übersetzten eine englische Studie, welche die Firma beschuldigte, für den Tod Tausender von Säuglingen in Afrika und Südamerika verantwortlich zu sein. Titel der deutschen Fassung: «Nestlé tötet Babys». Es kam zum Prozess im Berner Amtshaus. Dreizehn Angeklagte wurden wegen Ehrverletzung zu einer Busse von 300 Franken verurteilt.
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