Es gibt viele Schweizer Frauen, deren Leben und Werk in den Geschichtsbüchern zu wenig Aufmerksamkeit finden. Hier eine Auswahl von aussergewöhnlichen und inspirierenden Frauen, die die Schweizer Geschichte geprägt haben.
Wiborada (†926) – die Schutzpatronin der Bibliotheken und Bücherfreunde
Wiborada lebte als Inklusin in St. Gallen und war eine Einsiedlerin, geweihte Jungfrau und Märtyrin der katholischen Kirche. Sie wurde als erste Frau überhaupt im Jahr 1047 von einem Papst heiliggesprochen, Clemens II. Mittelalterlichen Quellen zufolge wurde ihr im Juni 925 in einer göttlichen Vision der Ungarneinfall in das Kloster St. Gallen und ihr eigener Märtyrertod offenbart. Sie riet daraufhin dem Abt des Klosters, die Manuskripte und Schätze des Klosters auf eine Fluchtburg zu bringen. So wurden die kostbaren Bücher gerettet, denn der Ungarneinfall fand 926 tatsächlich statt. Die Mönche des Klosters flüchteten, doch Wiborada entschloss sich, zu bleiben und starb. Wiborada wird noch heute als Schutzpatronin von Bibliotheken, Bücherfreunden, Pfarrhaushälterinnen und Köchinnen verehrt. Jeweils am 2. Mai jedes Jahres begeht das Bistum St. Gallen eine Feier zu Ehren Wiboradas, bei der gesegneter Wein gespendet wird.
Elisabeth von Wetzikon (1235–1298) – die grosse Frau von Zürich
Elisabeth von Wetzikon war von 1270 bis 1298 die Fürstäbtissin des Fraumünsterklosters in Zürich und somit die Herrin der Stadt. In ihrer Position als Äbtissin verpachtete sie die Zölle von Zürich, wählte den Bürgermeister und seinen Stellvertreter und war die oberste Richterin der Stadt. Das Fraumünsterkloster führte ausserdem die städtische Kanzlei. Heute existieren noch 170 Urkunden, die mit ihrem Namen und Siegel versehen sind. Hinzu kommt, dass sie in Zürich mit dem Bau des Querschiffs des Fraumünsters die Gotik einführte. Allein, dass wir noch heute so viel über diese Frau wissen, zeigt, welchen Einfluss sie zu ihrer Zeit in der Limmatstadt und darüber hinaus hatte.
Johanna Spyri (1827–1901) – die Bestseller-Autorin der Schweiz
Johanna Spyri erschuf die Romanfigur Heidi und ist die wohl bekannteste Autorin der Schweiz. Sie wurde 1827 als Tochter eines Arztes und einer Dichterin in Hirzel ZH geboren. Mit 15 zog sie zu ihrer Tante nach Zürich, nach Abschluss der Schule ging sie zwei Jahre lang nach Yverdon, um Französisch zu lernen. Danach kehrte sie wieder nach Hirzel zurück, um ihrer Mutter im Haushalt zu helfen und ihre kleineren Geschwister zu unterrichten. 1852 heiratete sie den Zürcher Juristen und Redaktor Bernhard Spyri, mit dem sie einen Sohn hatte. Während der Schwangerschaft litt Spyri an Depressionen, die auch nach der Geburt ihres Kindes noch jahrelang anhielten. Zu schreiben begann sie denn auch eher spät; der Bremer Pastor Cornelius Rudolph Vietor, ein Freund der Familie, brachte sie auf die Idee. Ihre erste Erzählung «Ein Blatt auf Vrony's Grab» erschien 1871 in Bremen und wurde ein grosser Erfolg. Weitere Erzählungen folgten, die allesamt unter dem Pseudonym J.S. veröffentlicht wurden. Nach ihrem ersten Kinderbuch «Heimatlos» veröffentlichte Spyri 1879 «Heidis Lehr- und Wanderjahre», das über Nacht zu einem grossen Erfolg wurde. 1881 folgte der zweite Band, «Heidi kann brauchen, was es gelernt hat». «Heidi» wurde in über 50 Sprachen übersetzt, mehrfach verfilmt und ca 50 Millionen Mal verkauft. Der Roman gehört damit zu den meistverkauften Büchern der Welt. Spyri erkrankte 1901 an Krebs und liess sich von der ersten Schweizer Ärztin Marie Heim-Vögtlin (siehe unten) behandeln. Doch sie hatte keine Chance gegen die Krankheit und starb kurz darauf in Zürich.
Marie Heim-Vögtlin (1845–1916) – die erste Schweizer Ärztin
Marie Heim-Vögtlin war die erste Schweizer Ärztin und Mitbegründerin des Schweizer Frauenspitals. Sie wurde 1845 in Bözen AG geboren. 1868 beschloss sie, an der Universität Zürich Medizin zu studieren, was schweizweit für einen Skandal sorgte. Doch ihr Vater, der Dorfpfarrer von Bözen, unterstützte sie bei ihrem Unterfangen und holte schriftlich eine Bewilligung ein, sodass Heim-Vögtlin 1873 zum Examen zugelassen wurde. Nach dem Examen spezialisierte sie sich in Leipzig zur Gynäkologin und legte kurz darauf ihre Doktorprüfung ab. Die Zulassung für eine eigene Arztpraxis erhielt Heim-Vögtlin jedoch erst, nachdem sich ihr Vater erneut für sie einsetzte. Anfangs wurde ihre Praxis zögerlich und nur von Frauen besucht, doch später wurde sie zu einer beliebten und erfolgreichen Ärztin. Auch nachdem sie zusammen mit Geologieprofessor Albert Heim eine Familie gegründet und zwei Kinder bekommen hatte, übte Heim-Vögtlin ihren Beruf weiterhin aus. Zusammen mit Anna Heer legte sie den Grundstein für das Zürcher Frauenspital mit der dazugehörenden Krankenschwesternschule. Nebst ihrer Arbeit als Ärztin kämpfte Heim-Vögtlin für das Frauenstimmrecht und war in der Abstinenzbewegung aktiv. 1916 starb sie an einer Lungenkrankheit, doch ihr Vermächtnis gilt bis heute.
Emilie Kempin-Spyri (1853–1901) – die erste Schweizer Juristin
Emilie Kempin-Spyri war die erste Schweizerin, die als Juristin promoviert wurde. Sie wurde 1853 in Altstetten ZH geboren und war die Nichte der Autorin Johanna Spyri. Kempin-Spyri begann 1883 als erste Schweizerin ein Jus-Studium an der Universität Zürich. 1887 promovierte sie zur ersten Doktorin der Rechte Europas. Als Frau durfte sie jedoch nicht als Anwältin praktizieren, da sie kein Aktivbürgerrecht hatte. Mit einem Vorstoss vor dem Bundesgericht wollte sie erreichen, dass Artikel 4 der Bundesverfassung uminterpretiert wird, sodass der Begriff «Schweizer» sowohl Männer als auch Frauen umfasst. Der Vorstoss wurde als «ebenso neu als kühn» bezeichnet und abgewiesen. Die Universität Zürich lehnte es ab, sie als Dozentin anzustellen, und so entschloss sich Kempin-Spyri dazu, mit ihrer Familie nach New York auszuwandern, wo sie das erste «Women Law College» gründete. Doch ihr Mann Walter Kempin konnte sich nie in der Stadt einleben und hatte Heimweh, und so zog die Familie wieder zurück in die Schweiz. Von 1891–1895 unterrichtete Kempin-Spyri an der Universität Zürich als Privatdozentin, nachdem sie erneut ein Gesuch um Habilitation gestellt hatte. Doch mit nur 2-4 Stunden pro Woche verdiente sie viel zu wenig, um sich finanziell über Wasser zu halten, und wurde bald Lehrerin für Handelsrecht an der Höheren Töchterschule. Ab 1896 liess sie sich in Berlin nieder und dozierte an der Humboldt-Akademie Privatrecht und Deutsches Familienrecht. Ihr Traum des Anwaltpatents sollte sich nie erfüllen; sie kämpfte immer wieder für die Zulassung als Anwältin und zerbrach schliesslich daran und an privaten Problemen. Im September 1897 wurde sie wegen Geisteskrankheit in eine Anstalt eingewiesen, 1899 wurde sie entmündigt und 1901 starb sie verarmt in Basel an Gebärmutterkrebs. Doch ihr Kampf für das Anwaltspatent blieb nicht folgenlos: 1898 wurde im Kanton Zürich ein neues Anwaltsgesetz eingeführt, das Frauen erlaubte, Anwältinnen zu werden. Die Bestimmung wurde erst 1923 bundesweit umgesetzt.
Else Züblin-Spiller (1881–1948) – die «Soldatenmutter»
Else Züblin-Spiller war eine Schweizer Journalistin, Unternehmerin und Abstinenzlerin aus Winterthur und setzte sich stark für das Soldatenwohl und die Frauenbewegung ein. Züblin-Spiller wuchs in Zürich auf und arbeitete schon in ihren Jugendjahren viel, um ihre Familie zu unterstützen - ihr Vater war in jungem Alter an Tuberkulose verstorben. 1904 begann sie für den Jean Frey Verlag zu arbeiten und schrieb Berichte für verschiedene Landzeitungen. Später schrieb sie sozialpolitische Reportagen für die «NZZ» und 1911 wurde sie Redaktorin der «Schweizerischen Wochenzeitung». Doch damit nicht genug: Sie leitete gleichzeitig den Pressedienst der Heilsarmee und berichtete auf ihren Reisen über die Slums moderner Grossstädte. 1914 gründete sie den «Schweizer Verband Soldatenwohl», dessen Ziel es war, Schweizer Soldaten mit gesundem Essen zu versorgen. Unter ihrer Leitung wurden im 1. Weltkrieg rund 1000, im 2. Weltkrieg etwa 700 sogenannte «Soldatenstuben» eingerichtet. Die Stuben waren alkoholfrei, um dem weitverbreiteten übermässigen Alkoholkonsum entgegenzuwirken. Sie boten den Soldaten warmes Essen und einen Ort, an dem sie ihre Freizeit verbringen konnten. 1920 wurde der von ihr gegründete Verband in den «Schweizer Verband Volksdienst» umbenannt, der heute noch besteht. Nebst ihrem Einsatz für Soldaten und Arbeiter war sie aktiv in der Schweizer Frauenbewegung und leitete ab 1939 die Genossenschaft des «Schweizer Frauenblatts». Else Züblin-Spiller hatte auch privat alle Hände voll zu tun: Nach dem frühen Tod ihrer Schwägerin zog sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Dr. med. Ernst Züblin deren vier Kinder gross.
Gertrud Kurz (1890–1972) – die «Flüchtlingsmutter»
Gertrud Kurz wurde 1890 in Appenzell Ausserrhoden geboren und wuchs in bürgerlichen Verhältnissen auf. 1912 heiratete sie den Schulrektor Albert Kurz und zog nach Bern. Dort begann sie, sich für Bedürftige einzusetzen, indem sie ihr Haus zu einer Anlaufstelle für Landstreicher und Bettler machte. 1930 schloss sie sich der internationalen Friedensbewegung der «Kreuzritter» an, doch die Tätigkeit der Organisation wurde wenig später durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs unterbrochen. Kurz empfing trotzdem weiterhin Bedürftige und immer mehr Flüchtlinge in ihrem Haus und gründete 1938 ihr eigenes Hilfswerk, die «Kreuzritter-Flüchtlingshilfe». Sie bot Flüchtlingen und armen Menschen warmes Essen und Kleidung und unterstützte sie bei rechtlichen Angelegenheiten. In Form von Interventionen leistete sie wertvolle Öffentlichkeitsarbeit. Durch ihr Engagement inspirierte die sogenannte «Mutter Kurz» viele Freiwillige, auch zu helfen, und es entstanden weitere Hilfswerke in Basel, St.Gallen, Zürich, Genf und Lausanne. Sie war eine hartnäckige und herzliche Frau, die es sogar schaffte, den politischen Widerstand des damaligen Bundesrats Eduard von Steiger gegen die Aufnahme jüdischer Flüchtlinge zu brechen. Für ihr aussergewöhnliches Engagement wurde Gertrud Kurz 1958 die Ehrendoktorwürde der Universität Zürich verliehen – als erster Frau überhaupt.
Annemarie Schwarzenbach (1908–1942) – Schriftstellerin und Journalistin
Annemarie Schwarzenbach war eine Schweizer Schriftstellerin und Journalistin. Sie wurde 1908 als Tochter der reichen Zürcher Industriellenfamilie der Schwarzenbachs geboren. Die junge Frau, die durch ihren androgynen Stil auffiel, studierte Geschichte und promovierte mit 23 Jahren an der Universität Zürich. Wenige Monate später veröffentlichte sie ihr erstes Buch, «Freunde um Bernhard», das von den Kritikern gelobt wurde. Schwarzenbach zog nach Berlin, verkehrte in Künstlerkreisen – so zum Beispiel mit der Familie Mann – und führte ein extravagantes Leben. Doch mit dem Ausbruch des 2. Weltkriegs hatte dieser Lebensstil ein abruptes Ende und sie kehrte in die Schweiz zurück. Schwarzenbach war eine Antifaschistin und zerstritt sich aufgrund ihrer politischen Einstellung mit ihrer Familie. Diese befürwortete nämlich eine Annäherung der Schweiz an Nazideutschland. Im Laufe ihres Lebens unternahm sie viele Reisen, von denen sie unter anderem für die «NZZ» berichtete. So dokumentierte sie den Aufstieg des Faschismus in Österreich und der Tschechoslowakei, und auf einer Reise nach Amerika das Leben der armen Arbeiter. Ihre Reisen führten sie bis nach Istanbul, Persien und Afghanistan, wobei sie Affären mit der Tochter eines türkischen Botschafters und einer Archäologin hatte. Annemarie Schwarzenbach starb im jungen Alter von 34 Jahren aufgrund einer Fehldiagnose, nachdem sie im Engadin mit dem Fahrrad gestürzt war. Trotz ihres frühen Tods hinterliess sie ein reiches literarisches Erbe. Sie schrieb mehrere Bücher und Novellen und insgesamt 170 Artikel und 50 Fotoreportagen für verschiedene Schweizer, deutsche und amerikanische Zeitungen. Sie gehört damit zu den bekanntesten frühen Schweizer Journalistinnen.