Der inszenierte Schnappschuss war ein Aufstand gegen die bigotte deutsche Nachkriegsgesellschaft und wurde zu einer Ikone der 1968er-Revolte: Junge Frauen und Männer und ein Kind stehen mit dem Rücken zur Kamera, die Hände ausgestreckt an die Wand.
Es sind sieben Mitglieder der Kommune 1, die sich rund um den Sponti Rainer Langhans im Juni 1967 im Berliner Rotlichtviertel eingenistet hatten, um so zu leben, wie es ihnen passte. Sie lebten und liebten auf Matratzenlagern, die Türen in den gemeinsamen WCs waren ausgehängt, die freie Liebe war politisches Programm.
«Wer zweimal mit derselben pennt …»
Das Foto ist eine gewollte Provokation. Es erinnert an eine Polizeirazzia, weckt Assoziationen an entblösste Juden in den KZ des Dritten Reiches – staatliche Repression und Sexualfeindlichkeit gerinnen hier zu einem einzigen Aufschrei.
Es ist das einzige Mal freilich, heisst es, dass sich die Truppe der Kommunarden gemeinsam so sah, wie Gott sie geschaffen hatte. Ansonsten gab es Macho-Sprüche zum Thema: «Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment!»
Ob das für die Kommunardinnen auch gegolten hat, ist nicht überliefert. Wohl aber, dass der Oberkommunarde Langhans mit der schönen Münchnerin Uschi Obermaier liiert war, «deren Brüste sich wunderbar als politisches Signal eigneten», wie die «Süddeutsche Zeitung» einmal schrieb. Mit ihr hatten die 68er das weibliche Aushängeschild für die propagierte sexuelle Revolution.
Zum 40-Jahre-Jubiläum der 68er-Bewegung erzählte der Schweizer Musiker Hardy Hepp 2008 dem «Beobachter», dass es auch in Zürich eine Kommune 1 gegeben habe – im Haus zum Raben am Zürcher Limmatquai, wo er in den 1960ern die erste Wohngemeinschaft des Landes gegründet hätte.
«Aber freie Liebe fand nur marginal statt», sagte er. Jeder Kommunarde hatte sein eigenes Zimmer, Küche und Bad benutzte man gemeinsam. Dafür gabs einen 24-Stunden-Betrieb. Er selber sei manchmal hauptsächlich mit dem Leeren der Aschenbecher und dem Auffüllen des Kühlschranks beschäftigt gewesen.
Zum 40-Jahre-Jubiläum der 68er-Bewegung erzählte der Schweizer Musiker Hardy Hepp 2008 dem «Beobachter», dass es auch in Zürich eine Kommune 1 gegeben habe – im Haus zum Raben am Zürcher Limmatquai, wo er in den 1960ern die erste Wohngemeinschaft des Landes gegründet hätte.
«Aber freie Liebe fand nur marginal statt», sagte er. Jeder Kommunarde hatte sein eigenes Zimmer, Küche und Bad benutzte man gemeinsam. Dafür gabs einen 24-Stunden-Betrieb. Er selber sei manchmal hauptsächlich mit dem Leeren der Aschenbecher und dem Auffüllen des Kühlschranks beschäftigt gewesen.
Tabubrecher waren andere
Allerdings: Diese kam im «Summer of Love», mit den Hippies und den Blumenkindern, nicht wie ein Tsunami über die Welt. Vorboten, die die rigide Sexualmoral ins Visier nahmen, gab es schon in den keuschen 1950er-Jahren.
Da war etwa der amerikanische Sexualforscher Alfred Charles Kinsey, der das menschliche Sexualverhalten statistisch katalogisierte und nüchtern festhielt, was sich unter den Bettdecken bei Mann und Frau so tat. Als er seine Kinsey-Reports «Das sexuelle Verhalten der Frau» und «Das sexuelle Verhalten des Mannes» auch noch mehrsprachig auf den Markt warf, traute manch einer seinen Augen nicht: Solches hatte man noch nie gelesen. Für die meisten galt bis dahin: Sex vor der Ehe ist Unzucht, Homosexualität des Teufels.
Pille und Libido-Experten
In Deutschland führte die Berliner Schering AG 1961 die Antibabypille ein. Ein Akt mit Folgen: Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit konnten Frauen ohne Angst vor ungewollter Schwangerschaft ihrer Libido freien Lauf lassen – da konnten Pfarrer und Politiker noch lange Zetermordio schreien.
Die neue Freiheit im Bett traf die Nachkriegsgesellschaft völlig unvorbereitet. Der Bedarf an Aufklärung war immens, und einer stand bereit, diesen zu befriedigen. Der Journalist und Filmemacher Oswald Kolle schwang sich zum Sexualpapst und Libido-Experten ganzer Generationen hoch, drehte Filme wie «Das Wunder der Liebe» oder «Die Frau, das unbekannte Wesen», die in den Kinos innert vier Monaten fünf Millionen Zuschauer erreichten.
Der erste Sexshop der Welt
Zu den ungewohnten Bildern nackter Menschen beim züchtig angedeuteten Sexualakt gab es dazwischengeschnittene pseudowissenschaftliche Kommentare von Kolle persönlich. Das klingt dann so: «Das Vorspiel ist ausserordentlich wichtig für die Steigerung des geschlechtlichen Verlangens, besonders für die Frau, deren Erregungskurve sanfter aufsteigt als die des Mannes.» Oder: «Die zunehmende sexuelle Befreiung der Frau hat den meisten Männern neue Probleme gebracht. Durch die modernen Methoden der Empfängnisverhütung sind Mädchen und Frauen von der Angst der ungewollten Schwangerschaft erlöst.» Um die gleiche Zeit eröffnete Beate Uhse in Flensburg (D) ihr erstes «Fachgeschäft für Ehehygiene» – den ersten Sexshop der Welt.
Erst dann kamen Langhans und Konsorten und inszenierten sich als Avantgarde der Sexualrevolutionäre dieser Welt. Später bekannte er: «Ich fand es schrecklich, jeden Tag Sex haben zu müssen.»
Schamhaar wird Kunst
Fünfzig Jahre später, mit 78 Jahren, wurde Rainer Langhans für sein damaliges Tun sogar noch künstlerisch verewigt. In einer Ausstellung im nordrhein-westfälischen Ahlen über «68 wird 50 – ein Mythos in der Midlife Crisis» wurde ein Exponat mit dem Titel «Searching for the Revolution» gezeigt: ein vergoldetes Schamhaar des Ex-Bewohners der Kommune I. Es erhielt den mit 1968 Euro dotierten Preis des Kunstvereins Ahlen.
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