Wenn du das Wort «Psychopath» hörst, denkst du vermutlich zuerst an Figuren wie den US-Serienmörder Ted Bundy oder die Figur Jack Torrance aus dem Film «The Shining» (1980). Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass das Wort mit gefährlichen, dominanten Männern assoziiert wird. Frauen tauchen in diesem Kontext selten auf. Ein britischer Experte auf dem Gebiet behauptet jedoch, dass Frauen deutlich häufiger an der neuropsychiatrischen Krankheit leiden als bisher gedacht.
Menschen, die als Psychopathen eingestuft werden, gelten allgemein als empathie- und schuldunfähig. Sie können sich schlecht in andere hineinversetzen, lügen oft und sind rücksichtslos, narzisstisch und manipulativ. «Psychopathen sind auf Geld, Macht und Kontrolle aus», sagt Clive Boddy von der Anglia Ruskin University in Cambridge zur britischen Zeitung «The Guardian».
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«Das Verhalten ist viel subtiler»
Der Experte für Psychopathen in der Unternehmenswelt erforschte das Gebiet schon mehrfach und glaubt, dass Psychopathen nicht mehr nur als gewalttätige, asoziale Kriminelle gesehen werden. Diese Vorstellung sei einer differenzierteren Sichtweise gewichen. Boddy bestätigt jedoch, dass sich Menschen beim Gedanken an Psychopathen, immer noch hauptsächlich männliche Personen vorstellen.
Laut Boddy kommt die weibliche Psychopathie viel subtiler daher, jedoch sei sie in einer beträchtlichen Anzahl vorhanden. «Das Verhalten weiblicher Psychopathinnen scheint ausgeklügelter zu sein, deshalb werden sie nicht so sehr anerkannt.» Der Grund: Ein Teil eines Tests zur Ermittlung psychopathischer Merkmale – die Levenson-Selbstberichtsskala für Psychopathie (LSRP) – war in der Vergangenheit eher auf Männer ausgerichtet.
Eine kleine, aber wachsende Anzahl an Forscher untersuchte die spezifischen Eigenschaften von weiblichen Psychopathen. Dabei kamen grosse Unterschiede zum männlichen Pendant ans Licht.
Gewalt verbal, statt physisch ausdrücken
Die Resultate zeigen, dass Frauen Gewalt eher verbal als physisch ausdrücken. Die Gewalt ist laut Boddy eher zwischenmenschlicher und emotionaler Natur. Als Beispiel nennt der Experte hier das Streuen von Gerüchten oder Verbreiten von Lügen, um sich einen persönlichen Vorteil zu verschaffen. Frauen schikanieren laut den Resultaten häufiger ihre Arbeitskollegen. Physische Gewalt kommt hingegen selten vor.
Auffälligkeiten beginnen erst im Jugendalter
Eine weitere Auffälligkeit im Geschlechtervergleich ist der Zeitpunkt des Beginns von Verhaltensauffälligkeiten. Antisoziale Verhaltensweisen beginnen bei Männern häufiger in der Kindheit, bei Frauen eher erst im Jugendalter. Frauen zeigen also tendenziell ein späteres Einsetzen der erkennbaren Verhaltensauffälligkeiten.
Antisoziales Verhalten bezieht sich bei Frauen mehr auf die Familie und Partnerschaft
Insgesamt fokussierten sich die gewalttätigen und antisozialen Eigenschaften bei den untersuchten Frauen stärker auf den sozialen Nahraum, beispielsweise ihre Familie. Dies ist eine Erkenntnis, die sich auch in Forschungsergebnissen von deutschen Studien bestätigten.
Nach früheren Schätzungen lag das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Psychopathen bei 10:1. Doch Boddys Studie, bei der andere Kriterien angewandt wurden, legt nahe, dass die Zahlen komplett anders aussehen. «Das Verhältnis ist fast eins zu eins», kommentiert er seine Ergebnisse. Diese Resultate sind für die Wissenschaft besonders wichtig. Sie können beeinflussen, wie man falsche Verhaltensweisen in der Öffentlichkeit entdeckt – und behandeln kann, sagt Boddy.
Insgesamt ist zwischen 1 und 3 Prozent der Weltbevölkerung von Psychopathie betroffen.