Seit Tom Schneider (47) ein kleiner Junge war, wollte er Pilot werden. Nun hilft der Linienpilot anderen Menschen, ihren Traum vom Fliegen wahr werden zu lassen. Am Flughafen Zürich bietet er als Seminarleiter Kurse gegen Flugangst an.
Blick: Herr Schneider, wie sind Sie auf die Idee gekommen, Seminare gegen Flugangst anzubieten?
Tom Schneider: Früher arbeitete ich im Bankenwesen. Schon damals fiel mir auf, dass viele Menschen vor Businessflügen unter Flugangst litten. Meine Beobachtung bestätigt die Statistik: In der westlichen Welt leidet rund jeder dritte Mensch unter Flugangst oder fühlt sich an Bord einer Maschine unwohl.
Sind Menschen, die selten fliegen, eher betroffen?
Meiner Einschätzung nach trifft Flugangst alle Gesellschaftsgruppen: Vielflieger, Urlauber, Erwachsene und immer häufiger auch Kinder.
Betroffene berichten oft, ihre Flugangst sei vor dem Rückflug stärker als vor dem Hinflug – warum ist das so?
Während man beim Hinflug bis zum Betreten des Fliegers die Möglichkeit hat, die Reise abzubrechen und einfach zu Hause zu bleiben, ist man in den Ferien oder auf Geschäftsreise der Tatsache ausgeliefert, dass ein weiterer Flug unumgänglich ist. Man muss ja wieder nach Hause fliegen. Menschen mit Flugangst erleben ihre Ferien also oft nicht als erholsam – sie haben permanent den Rückflug im Hinterkopf. Dieses Phänomen betrifft nicht nur Ferienflüge, sondern ebenso Dienstreisen mit dem Flugzeug. Viele Manager greifen dabei leider zu Beruhigungsmitteln.
Raten Sie von Beruhigungsmitteln ab?
Die Frage ist doch: Will man die Symptomatik bekämpfen oder den Ursprung? Ein Beruhigungsmittel hilft nur punktuell, kann jedoch, gerade auf kurzen Geschäftsreisen, auch auf die Arbeitsfähigkeit am externen Meeting einen Einfluss haben. Deswegen biete ich im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements in Unternehmen Kurse für Vielflieger-Manager an, damit sie ihre Dienstreise zukünftig stressfrei antreten können.
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Wie entsteht Flugangst?
Bei den meisten Betroffenen zeigen sich ähnliche Ursachen: Wir wissen eigentlich, dass ein Flugzeug ein sicheres Verkehrsmittel ist, was sich in der Statistik zeigt. Es ist zum Beispiel viel sicherer als Autofahren. Doch dieses Wissen allein bringt nichts, wenn man nicht nachvollziehen kann, warum das Reisen mit dem Flugzeug sicher ist.
Hinter Flugangst stecken also Wissenslücken?
Genau. Es fehlt Wissen um technische Abläufe, Mehrfach-Absicherungen, physikalische und meteorologische Phänomene und das Training der Crew. Ohne dieses Wissen fühlt sich das Betreten eines Flugzeugs an, als würde man die Kontrolle abgeben. Unser Angstzentrum schlägt Alarm! Man fühlt sich ausgeliefert. Wenn man jedoch verstanden hat, wie Fliegen funktioniert und warum es so sicher ist, verschwindet das Gefühl des Kontrollverlusts.
Wie erklären Sie komplexe physikalische Zusammenhänge in nur drei Stunden?
Mit einem einfachen Trick: Luft verhält sich in der Strömungslehre sehr ähnlich wie Wasser. Wenn ich also erkläre, welche Kräfte ein Flugzeug in der Luft halten, nutze ich Wasser zum Vergleich. Genauso ist es beim Antrieb und den Turbulenzen. So wird das Unsichtbare sichtbar.
Wovor fürchten sich Menschen mit Flugangst am meisten?
Oft werden Ängste im Zusammenhang mit Luftlöchern genannt. Dazu muss man wissen, dass es gar keine Luftlöcher gibt – das erkläre ich im Seminar anschaulich. Auch vor Turbulenzen fürchten sich viele, und ein möglicher Triebwerksausfall wird oft angesprochen in meinem Kurs. Hier zeige ich auf, wie ein Flugzeug gewartet wird und dass, anders als bei einem Auto, jedes flugrelevante System zwei- bis dreifach abgesichert ist. Somit tangiert ein theoretischer Systemausfall die Sicherheit nicht. Dass es wirklich zu einem Zwischenfall kommt, ist sehr unwahrscheinlich.
Pilot Tom Schneider leitet seit 15 Jahren Seminare gegen Flugangst. Er zeigt auf, dass Phobien nicht angeboren, sondern antrainiert werden, und dass man das Gelernte auch wieder rückgängig machen kann. Die Seminare richten sich sowohl an Privatpersonen als auch an Gruppen und Firmen. Weitere Informationen gibt es auf goodbyeflugangst.ch.
Pilot Tom Schneider leitet seit 15 Jahren Seminare gegen Flugangst. Er zeigt auf, dass Phobien nicht angeboren, sondern antrainiert werden, und dass man das Gelernte auch wieder rückgängig machen kann. Die Seminare richten sich sowohl an Privatpersonen als auch an Gruppen und Firmen. Weitere Informationen gibt es auf goodbyeflugangst.ch.
Welche Ammenmärchen rund ums Fliegen halten sich hartnäckig?
Den Mythos Luftloch habe ich ja bereits erwähnt. Er ist sehr weit verbreitet. Viele Menschen nehmen zudem noch immer an, dass Start und Landung die absolut gefährlichsten Phasen eines Fluges sind. Vor 40, 50 Jahren war das auch so. Damals waren die Sicherheitsmargen geringer oder teils gar nicht vorhanden. Doch heute hat sich die Situation durch verbesserte Standards grundlegend geändert. Zudem ist es ebenso ein Mythos, dass Flügel aufgrund von Turbulenzen abbrechen können.
Wie läuft ein Flugangst-Seminar konkret ab?
Der Kurs dauert im Einzel-Setting ungefähr drei Stunden. Wenn ich ihn mit einer Gruppe durchführe, kann er gut vier Stunden dauern, weil viele individuelle Fragen auftauchen. Das Seminar beinhaltet kurz gehaltene, leicht verständliche Theorieblöcke: Was ist Angst, was braucht es, damit so ein grosses Flugzeug fliegen kann, Mehrfach-Absicherungen, Trainings der Piloten, Turbulenzen und vieles mehr. Ziel ist es, dass die Teilnehmenden rational verstehen, warum Fliegen so sicher ist.
Wo Menschen arbeiten, passieren aber auch Fehler.
Deswegen gibt es in allen Phasen klar festgelegte Abläufe, in denen jeder Arbeitsschritt teils mehrfach überwacht und nachgeprüft wird. Ich zeige im Seminar auf, wie gewissenhaft diese Schritte eingehalten werden und dass sicherheitsrelevante Bereiche eine grosse Sicherheitsmarge aufweisen, sodass ein Fehler nicht mehr sofort zu einem Zwischenfall führen kann.
Was, wenn trotz Flugangst-Seminar im Flieger wieder Angst aufkommt?
Die Angst vor der Angst ist ein weit verbreitetes Thema. Der Mensch neigt unter Stress dazu, in alte Muster zurückzufallen. Auch dafür beuge ich im Kurs vor: Die Teilnehmenden erlernen eine Entspannungsübung, um kurzfristig aufkommende Panik sofort in den Griff zu kriegen.
Wie sieht so eine Beruhigungsübung aus?
Es gibt verschiedene Techniken zur Beruhigung oder Entspannung, jedoch sind nicht alle gleichermassen praktisch anwendbar. Die progressive Muskelentspannung beispielsweise ist ideal nach einem anstrengenden Tag, aber am Gate oder in einem Flugzeug kaum anwendbar, da sie Grimassenschneiden erfordern kann. Deswegen erlernen Kursteilnehmende im Flugangst-Seminar eine spezielle Atemübung. Diese kann unauffällig überall angewandt werden, und die Atmung ist der einfachste Weg, um effizient Einfluss auf unser Nervensystem zu nehmen.
Zu welchem Zeitpunkt macht ein Flugangst-Seminar am meisten Sinn?
Es gibt Teilnehmer, die am Tag danach einen Flug antreten. Einmal hatte ich sogar eine Frau am Sonntagnachmittag im Seminar, die am Abend noch in den Flieger stieg. Allerdings kommt man dann schon mit dem Druck, dass es jetzt klappen muss, in den Kurs. Ich empfehle, das Seminar eine oder zwei Wochen vor dem Flug zu besuchen. So kann man das Gelernte etwas auf sich wirken lassen, und es bleibt Zeit, um Fragen, die nach dem Seminar auftauchen, nachzureichen. Manche belegen das Seminar auch ohne gebuchten Flug und entscheiden sich erst im Nachhinein, dass sie einen Flug antreten möchten.
Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Flugangst nach dem Seminar verschwindet?
Ich habe in 15 Jahren als Seminarleiter gegen Flugangst eigentlich nie erlebt, dass das Seminar ganz ohne Effekt blieb. Bei den meisten verschwindet die Flugangst auf Anhieb, während andere ein bis zwei Flüge benötigen, um sich den altbekannten Strukturen zu entziehen. Es gibt übrigens sogar Flugbegleiterinnen, die vor Jahren ein Seminar besuchten und das Fliegen jetzt zum Beruf gemacht haben.