Trampen kann für junge, alleinreisende Frauen gefährlich sein. Genau deshalb hat die Deutsche Nic Jordan (31) es getan: «Ich kam gerade aus einer langen Beziehung und hatte nichts mehr zu verlieren. In gewisser Weise war es mir egal, ob etwas passieren würde. Dem Tod ins Auge zu sehen, war genau das, was ich brauchte», erzählt sie im Gespräch mit BLICK.
Sie habe sich gedacht: «Wenn ich jetzt sterbe, dann fühle ich mich dabei wenigstens lebendig.» In ihrem Alltag in London fühlte sie sich nämlich ganz und gar nicht so. Und so packte sie ihre Sachen und trampte ein halbes Jahr ganz alleine – bis nach Byron Bay in Australien.
«Am Boden lag eine Puppe mit abgerissenem Kopf»
Ganz ungefährlich verlief Nics Abenteuer tatsächlich nicht. Gleich zu Beginn machte sie eine erschreckende Erfahrung: Nachdem sie schon längere Zeit auf ein Auto gewartet hatte, stieg sie zu einem Deutschen ins Auto. «Das Auto hat total gestunken und war vollgemüllt. Am Boden lag eine Puppe mit abgerissenem Kopf», erzählt Nic.
Der Fahrer habe sich beim Gespäch immer wieder in den Schritt gefasst. Nic forderte ihn dazu auf, anzuhalten und sie rauszulassen. Doch der Fahrer tat nichts dergleichen. Erst als Nic damit drohte, auf der Autobahn aus dem fahrenden Auto zu springen und bereits die Tür öffnete, hielt er an und liess sie gehen.
Was kann sie anderen Trampern nach dieser Erfahrung mit auf die Reise geben? «Man muss sich selbst einschätzen können. Zum Beispiel sollte man einen Radar für Gefahren haben und auch mal tough sein und Nein sagen können.»
Trampen sei nicht für alle geeignet. Wer es zum ersten Mal ausprobiert, sollte mit kleinen Strecken beginnen und nicht alleine unterwegs sein. Nic selbst ist mit 14 das erste Mal getrampt. Ihre Mutter erlaubt es ihr, weil sie ihr versprach, jede Stunde anzurufen und ihr alle Nummernschilder per SMS zu schicken.
Alte und neue Familien
Auf ihrer sechsmonatigen Reise nach Australien machte Nic neue Bekanntschaften. Zum Beispiel mit ihrer damals vierjährigen Halbschwester, von deren Existenz Nicola bis zu diesem Zeitpunkt nichts wusste.
Sie traf sie bei einem Besuch bei ihrem in Polen lebenden Vater zum ersten Mal. «Es war schön, sie kennenzulernen. Eine kleine Schwester habe ich mir schon immer gewünscht», so Nic. Die schwierige Beziehung zu ihrem Vater konnte der Besuch aber nicht kitten. Heute hat sie keinen Kontakt mehr zu ihm.
Dafür wurde Nic auf der Reise auch von Fremden wie ein Familienmitglied aufgenommen. Besonders geblieben ist ihr eine kambodschanische Familie. Nach einer Autopanne mit einem einheimischen Fahrer mitten in der Wüste hatte Nic zu Fuss Benzin fürs Auto geholt. Eine Familie, die dem Fahrer ebenfalls zur Hilfe kam, war von dieser Aktion so angetan, dass sie sie spontan über Nacht zu sich nach Hause einluden.
«Diese Leute hatten absolut gar nichts. Die Tochter trug zwei verschiedene Schuhe, das Haus war aus Karton und Müllsäcken irgendwie zusammengezimmert, und die fünfköpfige Familie hatte insgesamt nur drei Matratzen zum Schlafen.» Trotzdem fühlte sich Nic wohl und übernachtete gemeinsam mit den drei Kindern der Familie auf einer Matratze. «In der westlichen Welt würde man so etwas nie machen», erklärt sie. «Durch meine Reise habe ich gelernt, selbst offen zu sein.»
Überhaupt bringe sie heute nichts mehr so leicht aus der Ruhe. Wenn es mal nicht so laufe, wie sie es will, sage sie sich einfach: «Das soll so sein – und es ist okay.»
Raus aus dem Hamsterrad
Die Entscheidung, die grosse Reise anzutreten, fällte Nicola Jordan im September 2016. Damals kämpft sie mit Depressionen, einer gescheiterten Beziehung und hatte einen Job, den sie hasste. «Ich war einsam, obwohl überall um mich herum Menschen waren. Die Anonymität fühlte sich an wie ein grosses Hamsterrad.» Die Flucht an einen ruhigeren Ort - weit, weit Weg von ihrem damaligen Zuhause - war die logische Konsequenz daraus.
Heute wohnt die 31-Jährige immer noch im australischen Byron Bay. Wegen Corona ist sie momentan aber wieder in Europa. In Stockholm, bei einem Freund, den sie natürlich auf Reisen kennengelernt hat.
Von der Welt hat Nic aber noch lange nicht genug gesehen. Madagaskar, Kanada und Südamerika sind nur einige der Orte, die sie unbedingt noch besuchen will. Momentan ist sie mit dem Bereisen von Europa noch genug beschäftigt. Und egal, wohin es sie verschlägt, wenn Nic keinen Zeitdruck hat, dann wird getrampt.
Nic Jordan hat ihre Erlebnisse im Buch «Away» festgehalten. Es erscheint am 7. September 2020 im Conbook Verlag .