Abenteuerlich schlafen
Sich einmal wie ein Profi-Kletterer fühlen

Wenn man den Reissverschluss des Zeltes öffnet, hat man 50 Meter Abgrund vor sich. Wem da wohlig schauert, sollte es unserer Autorin gleich tun, und eine Nacht in einem Portaledge wagen.
Publiziert: 03.09.2020 um 08:47 Uhr
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Aktualisiert: 03.09.2020 um 12:24 Uhr
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Bergführer Giancarlo Salis (gelbe Jacke) entpackt das Hängezelt.
Foto: Karin Kaufmann
Barbara Ehrensperger

Himmlisch schläft es sich 50 Meter ab Boden. Aber sobald man wach ist, wird man auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt: Wie klettere ich in der steilen Felswand, bis ich einen guten Tritt habe, um auf die Wiese zu gelangen, wo der feine Kaffeeduft herkommt?

Spezielle Übernachtungsangebote in der Schweiz sind aktuell sehr beliebt. So buhlen die Tourismus-Regionen mit aussergewöhnlichen Orten zum Übernachten. Sei es unter den Sternen, im Iglu oder eben im Portaledge (so heisst das Zelt, das in der Wand hängt).

Wie die Profis

«Portable ledge» – das heisst übersetzt ungefähr «tragbarer Felsvorsprung». Dieses Hängezelt entwickelten Profis, die lange vertikale Wände klettern wollten, ohne immer wieder von der Wand runterkommen zu müssen. Wie die Profi-Kletterin Nina Caprez und die Kletter-Legende Lynn Hill im Oktober 2018 im Yosemite Valley (US) an «The Nose». Das Hängezelt zieht man während der Kletterroute hinter sich her.

Ganz so anspruchsvoll ist es für uns nicht. Die Hängezelte und unsere Übernachtungsutensilien reisen mit der Sesselbahn von Pontresina GR auf die Alp Languard hoch. Auch wir hätten den Sessellift nehmen können, wagen uns aber mit dem Bergführer Giancarlo Salis von der Bergsteigerschule Pontresina via den Klettersteig La Resgia hoch auf die Alp.

Meine Knie zittern, als ich über die Seilbrücke balancieren darf. Als ich drüben bin, denke ich: «Geschafft, das war es für heute mit Nervenstärke!» Da ist mir nicht klar, was mich noch erwartet.

Nach dem Klettersteig holen wir unser Gepäck bei der Station Alp Languard ab, wandern noch ein wenig den Berg hoch und zu einer Wiese runter. Diese ist ordentlich abschüssig und wir befestigen die Zeltpakete und uns an einem Seil. Warum das nötig ist, leuchtet uns rasch ein: Am Ende der Wiese geht es gut 50 Meter runter. Und da ist klar: Schlafen im Portaledge ist nicht für jedermann. Um ins Zelt zu kommen, muss man ja irgendwie an der Wand entlang runterkommen.

Auf der Wiese geht es ja noch …

Aber zuerst bauen wir unser Nachtlager auf. Bergführer Salis hängt den ersten Portaledge-Sack am Haken an der Wand ein und schüttelt quasi den Liegeflächen-Aufbau heraus. Mit etwas Probieren und Knorzen mit den Stangen, merken wir, dass sich diese Liegeflächen zu viert auf einer Wiese stehend ganz gut aufbauen lassen. Aber zu zweit, nach einer Klettertour am Limit, mitten in der Wand? Nein, das kann sich niemand von uns vorstellen, zu schaffen. Unser Bergführer meint augenzwinkernd: «Lieber klettere ich schneller, damit ich ohne Portaledge durchkomme.»

Als die Plattform fertig ist, spannen wir eine Art Zelt darüber, falls es in der Nacht zu regnen beginnt. Ein grosser Vorteil des Zeltes ist vor allem, dass wir damit beim Schlafen in der Wand gut eingepackt sind und nichts runterfliegen kann, solange das Zelt zu ist.

Zelt wird abgeseilt, wir klettern

Behutsam lässt Salis ein Zelt ums andere die Wand hinunter, seilt sich selber ab und befestigt die Zelte an den Haken. Er richtet die Portaledges so aus, dass die zwei Zeltbewohner im Schlaf nicht die ganze Zeit entweder zum Berg oder vom Berg wegrutschen.

Und nun «einfach» ins Zelt einsteigen. Das ist die Schlüsselstelle des Tages: Eine abschüssige Wiese heruntersteigen und irgendwie die zehn Meter bis zum Zelt der senkrechten Wand entlang klettern. Obwohl ich an einem Seil mit dem Klettergurt eingehängt bin, brauche ich nochmals starke Nerven, bis ich beim Zelt bin.

Noch einen letzten mutigen Schritt rein in die Schlafstelle wagen. Allzu enthusiastisch sollte dieser aber nicht sein, denn sonst rutscht das Zelt einfach der Wand nach weiter.

Angegurtet im Zelt sitzend, das ist dann aber herrlich: unverbaute Aussicht, eine völlig neue Perspektive und Gemütlichkeit in dieser rauen Felsumgebung. Allerdings ist es eine enge Gemütlichkeit. Ins Zelt passen genau zwei Schlafmatten. Kleider und Schuhe muss man aufhängen oder sich drauflegen. Wir entscheiden, quasi in den Kleidern zu schlafen, damit die grosse Umzieherei im Zelt entfällt.

Die Toiletten-Frage

Wem auch immer ich im Vorfeld erzählte, dass ich in einem Hängezelt in einer Bergwand übernachten werde, fragte mich als erstes: Wie macht man das mit dem aufs WC gehen? Einfach Antwort: Man geht nicht auf die Toilette in der Nacht. Aber ja, es gibt eine Lösung, die heisst «poop tube» – so machen es die Extremkletterer.

Da wir das Abendessen auf der Terrasse des Restaurants Alp Languard geniessen, klärt sich dort die Toiletten-Frage. Obwohl das Restaurant am Abend nicht geöffnet ist, dürfen wir die Toiletten benutzen. Eine Erleichterung.

Schlafen im Klettergurt?

Zum Abendessen sitzen wir zusammen an einem langen Tisch im Schein einer Lampe und unseren Stirnlampen. Mit Mützen auf dem Kopf und auf den Schlafsäcken sitzend ist es sehr gemütlich – und wir lachen viel über Abenteuergeschichten und Alltägliches. Die Gemütlichkeit macht schläfrig. Doch die paar Schritte den Berg hoch wecken uns wieder für die Kletterei ins Zelt. Im Dunkeln geht die Kletterei der Bergwand entlang fast besser. Vermutlich, weil wir den Abgrund nicht sehen.

Im Zelt angekommen, kuscheln wir uns in die Schlafsäcke, legen uns so hin, dass wir direkt in den Sternenhimmel sehen können. So geniessen wir noch ein wenig die unglaubliche Weitsicht. Zum Schlafen schliessen wir aber das Zelt, denn nur so können wir ohne Klettergurt schlafen. Und das Schlafen über den Wolken ist himmlisch – kein Stein, wie sonst beim Zelten, drückt in den Rücken.

Wer es wagen möchte

Höhenangst Wer es nicht mag, viel Luft zwischen sich und dem Erdboden zu haben, für den ist das Schlafen in Hängezelt nicht ideal. Man muss ja irgendwie zum hängenden Zelt kommen und das ist meist ein luftiger Weg.

Mitnehmen Nicht zu viele Dinge, da der Platz im Portaledge beschränkt ist. Bequeme Kleidung, in der man allenfalls auch gleich schlafen kann, erspart viel Umziehkünste im engen Hängezelt.

Beste Reisezeit Im Sommer ist es ideal, da es oben in den Bergen kühl sein kann.

Portaledge in Pontresina Die Bergsteigerschule Pontresina bietet zwei unterschiedliche Hängezelt-Übernachtungen an. Eines bei der Alp Languard und das andere am Piz Trovat auf rund 3000 Metern über Meer mit Blick auf Piz Palü und Piz Bernina. Da ist es dann eine ordentliche Portion kühler und ausgesetzter als auf der Alp Languard.

Höhenangst Wer es nicht mag, viel Luft zwischen sich und dem Erdboden zu haben, für den ist das Schlafen in Hängezelt nicht ideal. Man muss ja irgendwie zum hängenden Zelt kommen und das ist meist ein luftiger Weg.

Mitnehmen Nicht zu viele Dinge, da der Platz im Portaledge beschränkt ist. Bequeme Kleidung, in der man allenfalls auch gleich schlafen kann, erspart viel Umziehkünste im engen Hängezelt.

Beste Reisezeit Im Sommer ist es ideal, da es oben in den Bergen kühl sein kann.

Portaledge in Pontresina Die Bergsteigerschule Pontresina bietet zwei unterschiedliche Hängezelt-Übernachtungen an. Eines bei der Alp Languard und das andere am Piz Trovat auf rund 3000 Metern über Meer mit Blick auf Piz Palü und Piz Bernina. Da ist es dann eine ordentliche Portion kühler und ausgesetzter als auf der Alp Languard.

Das Portaledge-Erlebnis wurde von Pontresina und Engadin St. Moritz Tourismus sowie der Bergsteigerschule Pontresina unterstützt.

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