Seilspringen, Fangis spielen oder sich die Knie aufschlagen beim Klettern. Dann in der Mittelstufe tuscheln und kichern und mit der Clique herumstolzieren. Und schliesslich heimlich Zigaretten rauchen hinter den Veloständern. – Der Pausenplatz steht im Zentrum unserer Schulerinnerungen. Er steht für Abenteuer.
Doch noch vor wenigen Generationen war er vor allem ein Turn- und Ertüchtigungsplatz. Kein Ort widerspiegelt die Entwicklung der Schule so gut wie der Schulhof. Heute erfüllt er aus bildungswissenschaftlicher Sicht vor allem zwei Funktionen: Raum für Erholung und Lernen. «Einerseits kann der Unterricht nach draussen verlegt werden. Andererseits werden Schüler und Schülerinnen auf dem Schulhof sozialisiert», erklärt Ulrike Stadler-Altmann (52). Die Bildungswissenschaftlerin forscht und lehrt unter anderem zum Thema Lernumgebungen an der freien Universität Bozen (I).
Ohne Herausforderung kein Spass
«Für Jüngere dient der Pausenhof häufig als Funpark», so Stadler-Altmann. Er sei ein Ort, um sich auszutoben, zu bewegen und Energie loszuwerden nach dem vielen Sitzen im Unterricht. Ab circa zwölf Jahren verschiebe sich jedoch das Bedürfnis. «Die Schülerinnen und Schüler wollen dann eine chillige Atmosphäre und mit ihren Freunden abhängen. Hier werden vor allem Rückzugsorte wichtig, in denen sie sich auch der Kontrolle der Lehrkräfte etwas entziehen können», sagt Stadler-Altmann. Grundsätzlich sei das soziale Lernen auf dem Pausenhof so wichtig, weil eben auch jahrgangsübergreifende Begegnungen stattfinden, betont sie. «So werden wichtige Verhaltensregeln fürs Leben erfahren.»
Andreas Bellmont ist Geschäftsführer bei eibe. Das Unternehmen gestaltet Spielplätze und Pausenhöfe und bestückt diese mit eigenen Spielgeräten. Er bemängelt: «Bei der Planung wird oftmals zuletzt an den Pausenplatz gedacht.» Und das, obwohl er so wichtige Lerneffekte für Schüler biete. Insbesondere, wenn man sie vor Herausforderungen und Risiken stelle. «Dort, wo gespielt wird, soll es auch Verletzungen geben – innerhalb des geschützten Bereichs», erklärt Bellmont. Nur dann hätten Kinder auch genügend Anreiz zum Spielen. Das müsse in der Gestaltung berücksichtigt werden, ebenso wie die Bedürfnisse der Schülerinnen. «Die Kinder sollen während den Pausen, je nach Bedürfnis und Tagesform, Spass haben oder einfach nur chillen können.»
Wandel um 1900
Noch vor 200 Jahren glich der Pausenhof einem Appellplatz. Eine Fläche aus Beton, die vor allem einem Zweck diente: die Schulgemeinschaft in Reih und Glied aufzustellen. Bildungswissenschaftlerin Stadler-Altmann begründet: «Die Wurzeln des Schulbaus liegen im Kasernen- und Fabrikenbau. Damals lag der Fokus auf Organisation und Ordnung.» Laut dem Zentrum für Schulgeschichte der PH Zürich habe es zwar an einigen Schweizer Schulen Schulgärten und auch Turnwiesen gegeben, jedoch seien die Schülerinnen im 19. Jahrhundert stets der Witterung ausgesetzt gewesen. «Spielzeuge gab es damals keine. Wenn überhaupt, dann rudimentäre Turngeräte», so das Zentrum. Auch in den damaligen Erziehungsmassnahmen liess sich der starke Ordnungsgedanke erkennen. So war die körperliche Züchtigung durch Lehrkräfte gängige Praxis.
Um 1900 herum begann dann ein Wandel. «Gesundheitliche Aspekte wie frische Luft und Bewegung wurden wichtig», sagt die Bildungswissenschaftlerin. Dem Zentrum für Schulgeschichte der PH Zürich zufolge war in der Schweiz die Hygienebewegung zur Jahrhundertwende Treiber dieser Entwicklung: «Hygiene in der Schule bedeutete genügend frische Luft und Tageslicht, Bewegung und auch entsprechende sanitäre Anlagen. Zudem wurde eine gesunde Sitzhaltung mit entsprechendem Mobiliar angestrebt.»
«Schule ist schliesslich auch Heimat»
Erste gestalterische Massnahmen für Pausenhöfe wurden vor rund 50 Jahren ergriffen, doch erst seit rund 20 Jahren werden dabei auch die Bedürfnisse der Schüler berücksichtigt. Auslöser ist die Reformpädagogik. Darunter versteht man verschiedene pädagogische Philosophien, die vom Kind her denken. Auch die Idee des «Raums als dritter Pädagoge» übertragen auf die Lernmöglichkeiten im Pausenhof sieht Stadler-Altmann als massgeblich für die Entwicklung an.
Und trotzdem: Es gibt noch Luft nach oben. Das zentrale Thema der heutigen Zeit sieht die Bildungswissenschaftlerin in der Nachhaltigkeit. Ihr optimaler Schulhof ist deshalb naturnah gestaltet: «Es reicht aber nicht aus, ein paar Bäume auf den Schulhof zu pflanzen. Im Gegenteil, denn Natur soll erlebbar gemacht werden.» Sie schlägt Bachläufe zum Matschen für jüngere Schüler und natürlich gestaltete Rückzugsorte für ältere vor. «Auch Lehrkräfte würden davon profitieren, denn der Erholungsfaktor betrifft sie genauso wie die Schülerinnen und Schüler.» Ausserdem fordert Stadler-Altmann mehr Mitbestimmung für die Schülerinnen – Studien zeigen, dass diese in der Schule mehr Mitgestaltung möchten. Sie ist überzeugt, dass damit auch der Wohlfühlfaktor gesteigert werden kann. Denn: «Schule ist schliesslich auch Heimat.»