Neues Männerbild: Paul Mescal, der Star aus «Normal People», hätte das Zeug zum James Bond
Gerührt, nicht geschüttelt

Seine Rolle in der Serie «Normal People» machte Schauspieler Paul Mescal (24) über Nacht zum heiss begehrten Jungstar. Der Ire repräsentiert ein neues Männerbild. Und müsste der neue James Bond werden.
Publiziert: 17.01.2021 um 11:25 Uhr
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Aktualisiert: 19.01.2021 um 12:19 Uhr
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Paul Mescal und Daisy Edgar-Jones in «Normal People».
Foto: Hulu
Jonas Dreyfus

Eine tiefe Zornesfalte durchgräbt seine Stirn. Es wirkt, als hätte Gott – falls es ihn gibt – dort ein Häkchen gesetzt, nachdem er Paul Mescal (24) geschaffen hat. Im Stil von: «Der hier ist mir besonders gut gelungen.»

«Der hier» ist irischer Schauspieler und gilt dank seines Auftritts in der Serienadaption des Millionensellers «Normal People» von Schriftstellerin Sally Rooney (29) als der Shootingstar des Corona-Jahrs 2020. Davor war er ausschliesslich auf Theaterbühnen zu sehen. Was Mescal mit seiner Serienpartnerin Daisy Edgar-Jones (22) vor der Filmkamera von Regisseur Lenny Abrahamson (54, «Room») ablieferte, hat ihm vergangenes Jahr eine Emmy-Nomination eingebracht.

Mehr als 12 Millionen Mal wurde die zwölfteilige Produktion von BBC und Hulu, die in der Schweiz seit kurzem auf Sky erhältlich ist, in der ersten Woche nach Erscheinen allein in England auf Streamingplattformen abgespielt. Das sind Zahlen, die es mit «Game of Thrones» aufnehmen können.

Kieferbrüche und Schauspielstudium vertragen sich nicht

Mescal spielt in «Normal People» den Oberstufenschüler Connell, der mit seiner alleinerziehenden Mutter in einfachen Verhältnissen in einer Kleinstadt im Westen Irlands aufwächst. Er ist der beliebteste Junge der Schule, Klassenbester und Kapitän der ortsansässigen Mannschaft für Gaelic Football – eine Mischung aus Fussball und Rugby –, und eine Sportart, die Mescal als Teenager selbst auf hohem Niveau ausübte, aber wegen eines Kieferbruchs zugunsten eines Schauspielstudiums aufgab.

Es ist nicht die einzige Parallele zwischen ihm und seiner Serienfigur. Auch Mescal wuchs in einer irischen Kleinstadt auf. Als Sohn einer Polizistin und eines Lehrers. Er lernte sein Handwerk an der Lir Academy in Dublin, die zum Trinity College gehört, derselben Uni, an der Connell in der Serie ein Studium für englische Literatur beginnt. Dort trifft Connell Marianne wieder – die unbeliebteste Schülerin seiner ehemaligen Klasse, mit der er bis kurz davor eine leidenschaftliche Affäre hatte, zu der er aber nie so richtig stehen konnte.

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Aus Zuschauersicht sind die beiden füreinander bestimmt. In der Grossstadt sind die Verhältnisse umgekehrt: Marianne fühlt sich als Tochter aus gutem Hause pudelwohl unter den Rich Kids der Eliteuni. Connell hat als Aufsteiger aus der Arbeiterklasse Mühe, Anschluss zu finden. Das macht die Beziehung der beiden noch komplizierter.

Timotée Chalamet hat ihn schockiert

Dass er der Schauspieler geworden sei, der er heute ist, habe mit Timotée Chalamet zu tun, sagte Mescal jüngst gegenüber dem Magazin «GQ», das ihn zum «Breakthrough Actor of the Year» wählte. Chalamet, ein Jahr älter als sein Bewunderer, gilt als erfolgreichster Schauspieler seiner Generation. Mescal sah den Amerikaner in der Literaturverfilmung «Call Me by Your Name». Seine Darbietung sei so berührend gewesen, dass er nach der Vorführung unter Schock gestanden habe, sagt er. «Mir wurde bewusst, was ein Schauspieler in meinem Alter bereits draufhaben kann und wie viel Mühe ich mir geben muss, um dieses Level zu erreichen.»

Wie Chalamet gehört Mescal zu einer Gruppe junger Schauspieler, die ein neues Männerbild repräsentieren. Eine «behutsame Männlichkeit», wie es eine Journalistin der «Zeit» nennt. Es sind Typen, die sich ganz selbstverständlich mit der MeToo- und «Black Lives Matter»-Bewegung solidarisieren. Die offen sagen, dass sie Bildung sexy finden, sich für Literatur interessieren und sich ihrer Männlichkeit genug sicher sind, um nicht ständig den Hengst markieren zu müssen.

Das zahlt sich aus: Chalamet holte sich mit seiner Hauptrolle im Coming-out-Film «Call Me by Your Name» eine Oscar-Nomination als «Best Actor». Sein Berufskollege Lucas Hedges (24) brillierte im Drama «Boy Erased» an der Seite von Nicole Kidman (53) in der Rolle eines Teenagers, dessen Eltern ihn zu einer «Therapie» gegen homosexuelle Neigungen zwingen. Hedges sagt, er selbst sei weder ausschliesslich hetero-, homo- noch bisexuell. In Filmen wie «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri», «Manchester by the Sea» und «Ben Is Back» porträtiert er introvertierte, innerlich zerrissene Männer.

Einfühlsam, aber nicht anbiedernd

Connell aus der Serie «Normal People» sei die Art von Mann, den sich viele Frauen bei ihren ersten sexuellen Erfahrungen gewünscht hätten, schreibt eine Journalistin des Lifestyle-Portals «Mr Porter» in einem Porträt. «Wenn es dir wehtut oder du es doch nicht mehr willst, können wir aufhören. Das muss dir überhaupt nicht unangenehm sein», sagt Connell zu Marianne, bevor sie das erste Mal miteinander schlafen.

Das Sich-Zurechtfinden in neuen Geschlechterrollen ist eines der Themen, das jüngere Generationen umtreibt. Und kein Medienunternehmen holt diese Altersgruppe im Moment besser ab als die BBC, die neben «Normal People» gleich noch «Industry» am Start hat. Machtmissbrauch und Sexismus in streng hierarchischen Männerdomänen wurden in der Popkultur noch nie so augenöffnend dargestellt wie in dieser Serie über eine multikulturelle Gruppe Frauen und Männer, die nach dem Studium bei einer Investmentbank in London einsteigen. In «Industry» überzeugt der Brite Harry Lawtey (24) in der Rolle eines Jungbankers, der gern so abgebrüht und selbstbewusst wäre wie «die Grossen», sich im Umgang mit Frauen aber schnell einmal in ein wehrloses Küken verwandelt.

«In der irischen Kultur gibt es immer noch die Vorstellung, dass Männer stark wirken und keine Gefühle zeigen sollen», sagte Mescal gegenüber der «Zeit». Dass Connell in der Serie genau mit diesen unterschiedlichen Erwartungen an seine Rolle als Mann kämpft, zeigt sich in der Art, wie er kommuniziert respektive nicht kommuniziert. Er ist zwar einfühlsam, grübelt aber lieber darüber nach, was Marianne von ihm will, als sie einfach mal zu fragen. Das führt zu Missverständnissen, die das Paar immer wieder auseinandertreiben.

Ein James Bond, der zum Zeitgeist passt

Ganz nebenbei liess Regisseur Abrahamson vor kurzem in einer Pressekonferenz den Satz fallen, dass Mescal in ein paar Jahren sowieso James Bond spielen werde. Wie realistisch das für einen 24-jährigen Iren ist, bleibt ungewiss. Und ob er interessiert wäre – auf diese Frage gab Mescal bisher nur ausweichend Antwort.

Sicher ist: In Anbetracht dessen, dass sich die Rolle des Geheimagenten dem Zeitgeist anpassen muss, bietet sich Mescal mit seiner «behutsamen Männlichkeit» als Nachfolger von Daniel Craig förmlich an. Optisch sind sich die beiden gar nicht so unähnlich – Mescals Unterbiss und seine markante Nase verleihen ihm etwas Kriegerisches. Als «hart und leise» beschreibt Sally Rooney sein Gesicht im Buch, auf dem die Serie basiert. Ein renommiertes New Yorker Literaturmagazin attestierte ihm sogar Ähnlichkeiten mit Michelangelos David. Das alles kontrastiert mit einem Paar gutherzigen, bergseeblauen Kulleraugen.

Vielleicht würde dieser neue James Bond ein Halskettchen tragen. Paul Mescal legt seins nämlich nicht mal fürs Schauspielern ab. Ein Fan hat für das Schmuckstück einen eigenen Account auf Instagram eingerichtet. «Connell's Chain» folgen bereits mehr als 170'000 Personen.

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