Hund als Lesehelfer
Vier Pfoten, zwei Ohren und ganz viel Geduld

Der vierjährige Original Australian Labradoodle Tokyo hilft Kindern in der Schweiz, ihre Lesefähigkeiten zu verbessern. Als Teil eines Lesehund-Teams besucht er mit der Psychologin Anja Knapp Kinder zu Hause, um Lesehemmungen abzubauen und Freude am Lesen zu fördern.
Publiziert: 06.03.2025 um 13:21 Uhr
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Aktualisiert: 06.03.2025 um 14:11 Uhr
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Tokyo (4) ist ein Hund der Rasse Original Australian Labdradoodle. Sein Wesen ist offen, freundlich und geduldig.
Foto: Noë Flum

Auf einen Blick

  • Lesehund-Team hilft Kindern mit Leseschwierigkeiten durch Hundebegleitung beim Vorlesen
  • Körperkontakt zum Hund setzt Glückshormone frei und baut Stress ab
  • 25 Prozent der 15-jährigen Schweizer haben unzureichende Lesekompetenzen laut Pisa-Studie 2022
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Ravena FrommeltRedaktorin Gesellschaft

Tokyo liegt auf einem flauschigen Teppich, alle viere von sich gestreckt. Sein brauner Schopf mit der weissen Schnauze ruht sanft neben einem Mädchen. Dieses sitzt neben ihm. Es streichelt das weiche Fell am Bauch des Hundes, der ein schnurrendes Geräusch von sich gibt, ähnlich einer Katze. «Schau, Tokyo geniesst es so, dass du ihm vorliest», ermuntert die Psychologin die Primarschülerin.

Tokyo ist ein vierjähriger Original Australian Labradoodle. Zusammen mit der Psychologin Anja Knapp (51) bildet er ein «Lesehund-Team». Knapp und Tokyo gehen zu Kindern nach Hause, die Schwierigkeiten beim Lesen haben. Tokyos Anwesenheit und der Körperkontakt zu ihm sollen helfen, Hemmungen und Ängste beim Lesen abzubauen. Das Ziel: Das Kind bekommt mehr Selbstvertrauen und hat Freude am Lesen. 

Knapp arbeitet an einer Schule in Zollikon als Schulassistenz, wo sie die Lehrpersonen unterstützt. Meistens findet das Lesehund-Team über die Eltern zu Kindern, wenn es an einem Elterngespräch heisst, das Kind habe noch Probleme mit dem Lesen. «Es gibt aber noch einige Hürden, um an einer öffentlichen Schule den Lesehund einzusetzen», sagt Knapp. Ein Lesehund-Team organisiert sich in der Schweiz deshalb selbst, die Kosten tragen die Eltern. 

Kaum erwachsen, schon zertifiziert

Knapp interessierte sich schon während ihres Studiums für tiergestützte Therapieformen, da sie selbst mit Hunden aufgewachsen ist. 2021 kommt der Welpe Tokyo zur Familie. Seit Herbst 2023 besucht Knapp mit Tokyo regelmässig Hundetrainings im Therapiehunde Zentrum Schweiz. Dort wird er zum Lesehund ausgebildet. Seit einem Jahr geht das Duo jede Woche zu Kindern nach Hause oder liest mit Kindern in der Bibliothek. Tokyos Rasse eignet sich gut als Lesehund, denn sie ist freundlich, offen und geduldig. «Anfänglich können die Kinder etwas laut sein. Das und die fremde Umgebung, in die der Hund kommt, dürfen ihn nicht verunsichern», sagt Knapp. 

Lesekompetenz in der Schweiz sinkt seit Jahren

Die Lesekompetenz von Schweizer Jugendlichen nimmt kontinuierlich ab. Bei der Pisa-Studie 2022 verfügten 25 Prozent der 15-jährigen Teilnehmenden über unzureichende Lesekompetenzen, während es 2015 noch 20 Prozent waren. Für Knapp ist Lesen in der heutigen Welt eine wichtige Kompetenz, denn während die Schnelllebigkeit der digitalen Medien häufig überfordernd seien, wirke Lesen stressreduzierend. «Regelmässiges Lesen legt bei Kindern zudem das Fundament für kognitive Fähigkeiten, die Sprachentwicklung und fördert das Textverständnis. Es schult das Gedächtnis, verbessert die Konzentration und fördert die Kreativität», so die Psychologin.

Streicheln setzt Glückshormone frei

Zudem werden durch das Streicheln Endorphine freigesetzt, die Gefühle von Glück und Wohlbefinden auslösen. Das Streicheln helfe zudem durch die Ausschüttung des Hormons Oxytocin, Stress abzubauen, erklärt Knapp. Dass hundegestützte Leseförderung wirkt, ist durch Studien breit erwiesen. 

Bei jüngeren Kindern wie Erst- oder Zweitklässlern hat Knapp oft den Eindruck, dass das Kind glaubt, wirklich dem Hund vorzulesen. «Sie fragen Tokyo zum Beispiel ‹Hast du verstanden?› oder zeigen ihm ein Bild, auf dem ein Hund abgebildet ist und sagen ‹Schau, hier hat es auch einen Hund›.» Bei solchen Kindern könne sie auch gut über den Hund arbeiten. «Ich frage zum Beispiel ‹Kannst du Tokyo dieses Wort nochmals vorlesen? Ich glaube, er hat es noch nicht ganz verstanden.›»

Spaziergang und Trickli inklusive

Am Ende eines Kapitels oder nach dem ganzen Buch stellt Knapp den Kindern Fragen zum Inhalt. Diesen bespricht die Psychologin oft auf einem Spaziergang mit dem Kind, den die beiden nach etwa 20 Minuten Lesezeit mit Tokyo unternehmen. «Es wäre für ein Kind zu anstrengend, eine ganze Stunde am Stück zu lesen. Und der Spaziergang, bei dem das Kind Tokyo führen darf, hat beim Kind einen zusätzlich positiven Effekt auf die Selbstsicherheit und das Erfahren von Selbstwirksamkeit.» Nach dem Spaziergang liest das Kind dem Hund wieder vor. Immer wieder baut Knapp Pausen ein, in denen das Kind mit dem Hund Trickli machen darf.

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