Véronique Rebetez (25) designt Sextoys für Querschnittgelähmte
«Wir nutzen nur einen Bruchteil unserer Sexualität»

Können querschnittgelähmte Menschen Sex haben? Natürlich. Eine Design-Studentin hat für sie besondere Sextoys entwickelt.
Publiziert: 09.12.2021 um 16:53 Uhr
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Aktualisiert: 15.12.2021 um 14:41 Uhr
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Um aufzuzeigen, dass Sexualität viel mehr ist als Genitalien und Penetration, hat die Design-Absolventin Véronique Rebetez (25) das Sextoy-Set Gosio entwickelt, das alle fünf Sinne ansprechen soll. Sie sagt: «Wir nutzen nur einen Bruchteil unserer Sexualität.»
Foto: Lea Ernst
Lea Ernst

«Das hier ist mein persönlicher Favorit», sagt Véronique Rebetez (25) und zieht einen weissen Silikonring aus ihrer Box. Das genoppte Kopfstück lässt sich mit einer Flüssigkeit eigener Wahl füllen und mit Zunge und Gaumen erforschen. «Zum Beispiel mit Honig, Zitronensaft oder Erdbeersirup», so Rebetez.

In ihrem letzten Jahr des Design-Studiengangs an der Zürcher Hochschule der Künste hat sich Rebetez intensiv mit der Sexualität von Menschen mit einer Querschnittlähmung auseinandergesetzt. Das Ergebnis ihrer Bachelorarbeit: Gosio – ein Set mit fünf Sexspielzeugen, die alle fünf Sinne stimulieren. Damit will Rebetez den Fokus von den Genitalien auf andere erogene Zonen lenken. Und aufzeigen: Wir nutzen nur einen Bruchteil unserer Sexualität.

«Der ganze Körper ist eine erogene Zone»

Rebetez ist selber körperlich nicht beeinträchtigt. Für das Projekt hat sie eng mit Fachpersonen zusammengearbeitet und mit vielen Menschen gesprochen, die seit einem Unfall querschnittgelähmt sind. In den Gesprächen zeigte sich: «Querschnittgelähmte, also Menschen, die von ihrer ursprünglichen Verletzung abwärts gelähmt sind, haben einen erschwerten Zugang zur Sexualität», sagt Rebetez.

So sei es für den Grossteil der Betroffenen ein Problem, dass sie seit ihrem Unfall nicht mehr als sexuelle Wesen wahrgenommen würden. Denn ob bei Pornos oder Sextoys: «Denken wir an Sex, denken wir automatisch an Genitalien und Penetration», so Rebetez. Dabei sei Sex eigentlich etwas, das im Kopf stattfindet.

Viele Menschen mit einer Querschnittlähmung würden nach ihrem Unfall deshalb lernen, ihre Sexualität auf andere erogene Zonen umzuleiten, sagt Rebetez. Zum Beispiel auf Ohren, Nacken, Brustwarzen oder andere Orte, an denen die Haut besonders empfindlich sei. Indem man diese Körperstellen immer wieder berühre, verknüpfe sie der Kopf irgendwann mit Erregung. So bleibe die Fähigkeit, intensive Lust und Erregung zu verspüren, bestehen. «Denn eigentlich ist der ganze Körper eine erogene Zone. Wir nutzen den Grossteil davon einfach nicht, sagt Rebetez.

Pro Sinn ein Sextoy

Für genau diese bislang eher unbekannten erogenen Zonen hat Rebetez ihre Sextoys entwickelt. Eins für jeden unserer Sinne – Hören, Sehen, Riechen, Schmecken und Tasten. Denn: «Je mehr Sinne involviert sind, desto reichhaltiger nehmen wir ein Erlebnis wahr», sagt Rebetez.

Sie zieht ein Armband aus ihrer Box. Daran befestigt: ein kleines Aufnahmegerät, das die eigens erzeugten Geräusche beim Sex oder der Masturbation aufzeichnet. «Diese werden akustisch verstärkt auf Kopfhörer übertragen, die man selber oder die andere Person trägt. Das kann sehr intim und anregend sein», erklärt Rebetez. Mit dem Sehsinn spielt die Produktdesignerin mittels schwarzer Augenbinde mit Fransen. «Damit erhascht man nur kurze und zufällige Blicke auf das Geschehen, was die visuelle Stimulation reizt.

Für den Tastsinn hat sich Rebetez einen gegossenen Keramikstein mit feinen Noppen ausgedacht, der mit der Hand über die Haut geführt wird. «Die Keramik kann dazu angenehm erwärmt oder gekühlt werden», so Rebetez. Und zuletzt: ein Federbüschel, der mit individuellen Lieblingsdüften besprüht wird und entweder kitzelt oder streichelt. Für den Riechsinn.

Sexspielzeuge, die niemanden ausschliessen

Die Sexspielzeuge seien eigentlich an alle Menschen gerichtet, ob querschnittgelähmt oder nicht, sagt Rebetez. So sei es ja gerade ihr Ziel gewesen, Sextoys zu entwickeln, die niemanden ausschliessen. « Wenn wir uns von genitaler Sexualität lösen, wird es erst richtig spannend», sagt sie. «Wir müssen es nur zuerst ausprobieren.»

Beim designten Sextoy-Set Gosio handelt es sich erst um einen Prototyp. Seit September arbeitet Rebetez als Unterrichtsassistentin an der Zürcher Hochschule der Künste. Sie kann sich jedoch gut vorstellen, danach in die Sextoy-Branche einzusteigen. «Es ist ein sehr junger Designbereich, ich habe für meine Arbeit nur ein einziges Grundlagenbuch gefunden», sagt Rebetez. «Er hat grosses Potenzial, und ich bin froh, Teil dieser Entwicklung zu sein.»

Jeden zweiten Tag wird in der Schweiz jemand querschnittgelähmt

Im Jahr 2016 lebten in der Schweiz etwa 20'000 Menschen mit einer Querschnittlähmung. Gemäss der Schweizer Paraplegiker-Stiftung gibt es kein nationales Register der Betroffenen, doch werde hierzulande im Schnitt jeden zweiten Tag jemand querschnittgelähmt. Bei etwa 50 Prozent ist ein Unfall, bei den anderen 50 Prozent eine Krankheit die Ursache. Zu den häufigsten Unfallursachen gehören Stürze, Verkehrs- oder Sportunfälle. Ein bedeutender Anteil dieser Unfälle ist berufsbedingt. Zu den Krankheiten, die zu einer Querschnittlähmung führen können, gehören Krebs, Tuberkulose oder HIV.

Norbert Schmidt / imago images

Im Jahr 2016 lebten in der Schweiz etwa 20'000 Menschen mit einer Querschnittlähmung. Gemäss der Schweizer Paraplegiker-Stiftung gibt es kein nationales Register der Betroffenen, doch werde hierzulande im Schnitt jeden zweiten Tag jemand querschnittgelähmt. Bei etwa 50 Prozent ist ein Unfall, bei den anderen 50 Prozent eine Krankheit die Ursache. Zu den häufigsten Unfallursachen gehören Stürze, Verkehrs- oder Sportunfälle. Ein bedeutender Anteil dieser Unfälle ist berufsbedingt. Zu den Krankheiten, die zu einer Querschnittlähmung führen können, gehören Krebs, Tuberkulose oder HIV.

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