Auf einen Blick
«Wir haben beide zwei total schöne Wohnungen. Und sind oft mit vielen Leuten unterwegs. Deshalb brauchen wir ab und zu etwas Zeit allein», sagt Mirjam Fischer in der aktuellen Ausgabe der «Schweizer Illustrierten». Die Kunsthistorikerin ist seit 13 Jahren mit Comedy-Star Beat Schlatter verheiratet. Die beiden leben in getrennten Wohnungen, was in der Schweiz gut 13 Prozent der liierten Personen zwischen 25 und 80 Jahren tun. Sie leben also in einer sogenannten LAT-Beziehung. LAT steht für «Living Apart Together» (Deutsch: «Gemeinsam getrennt leben»).
Mit zunehmendem Alter ist es allerdings weniger konform, auf gemeinsamen Wohnraum zu verzichten. In der Altersgruppe der 35- bis 64-Jährigen lebt nur noch jedes zehnte Paar bilokal. Ab 65 Jahren sind es noch knapp 7 Prozent aller Paare, die eine LAT-Beziehung führen. Erstaunlich ist, dass auch bei den Familien diese Beziehungsform statistisch in Erscheinung tritt. 2 Prozent der Paare mit gemeinsamen Kindern leben in getrennten Haushalten, wie das Bundesamt für Statistik im Bericht Familien und Generationen 2018 festhält.
Welche Gründe bewegen Paare dazu, auf Romantik und Zweckmässigkeit der gemeinsamen Wohnung zu verzichten? Und eignet sich das LAT-Beziehungsmodell für manche Menschen eher als für andere? Expertin Nelda Pfister von Trennpunkt.ch erklärt die Chancen und Risiken einer Beziehung auf Distanz.
Was bewegt Paare dazu, bilokal zu wohnen?
In erster Linie sind es Menschen, die im Leben sehr eigenständig sind. Personen, die beruflich selbständig agieren, wie beispielsweise Künstler oder Unternehmerinnen, die ihren persönlichen Freiraum schätzen. Diese Menschen möchten vielleicht die ganze Nacht an ihren Projekten arbeiten, ohne sich über Dinge wie den Inhalt des Kühlschranks Gedanken machen zu müssen oder über die Haushaltsführung zu diskutieren. Zudem gibt es gerade unter den LAT-Paaren in fortgeschrittenem Alter zunehmend Menschen, die in vorherigen Beziehungen festgestellt haben, dass sie gewisse Kompromisse nicht mehr eingehen wollen.
Ist dieses Modell zukunftsfähig?
Ja, ich könnte mir vorstellen, dass es Potenzial hat, auch wenn wir noch am Anfang stehen. Früher war es üblich, dass man heiratete, sobald man zusammenzog. Wäre man damals ohne Hochzeit zusammengezogen, hätte das Stirnrunzeln ausgelöst. Heutzutage zählen gesellschaftliche Normen weniger und die Individualität hat einen grösseren Platz. Den auszunutzen kann sehr reizvoll sein.
Eignet sich das Beziehungsmodell auch für Menschen, die eine Familie gründen möchten?
Bei den Elternpaaren ist die Zahl der LAT-Partnerschaften heute zwar mit Sicherheit grösser als vor 50 Jahren, aber dennoch sehr klein. Mit gutem Grund: Ich persönlich halte eine LAT-Beziehung für Paare mit gemeinsamen Kindern nur im Ausnahmefall für sinnvoll. Mit zwei Haushalten eine Familie zu gründen, kann für alle sehr belastend sein. Als Familie ein Zuhause und eine gemeinsame Anschrift zu haben, schafft Geborgenheit und Sicherheit. Ich glaube auch, dass es für die Entwicklung von Kindern wichtig ist, dass sie mit beiden Elternteilen in einem Haushalt aufwachsen dürfen – sofern die Eltern nicht getrennt sind. Das bietet den Kindern klare Strukturen. Und für die Eltern ist es natürlich auch wesentlich einfacher, insbesondere organisatorisch.
Welche Chancen bietet eine LAT-Beziehung?
LAT kann für Harmonie sorgen: Viele Konflikte, die in zusammenlebenden Partnerschaften entstehen – etwa bezüglich Finanzen oder der Haushaltsführung – entfallen, wenn diese Bereiche klar getrennt sind. Jeder Partner kann seine eigenen Angelegenheiten regeln, ohne dass der oder die andere sich einmischt. Man kann seinen Alltag so gestalten, wie man möchte, ohne Rücksicht nehmen zu müssen. Emotionale Tiefe ist zwar wahrscheinlich in LAT-Beziehungen nicht im selben Ausmass möglich, man erlebt sich anders, wenn man Rückzugsorte hat und den Alltag nur dann teilt, wenn man dies bewusst tun möchte. Das kann aber durchaus positiv sein! Die Wertschätzung für das Gegenüber kann dadurch wachsen, dass gemeinsame Zeit keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Bei vielen Paaren steigert das getrennte Wohnen die Vorfreude aufeinander.
Wo liegen die grössten Herausforderungen?
Der Wille zur aktiven Pflege der Beziehung muss auf beiden Seiten vorhanden sein, sonst droht Paaren in einer LAT-Beziehung die Entfremdung. Auch kosten zwei Wohnungen mehr als eine. Ob man eine LAT-Beziehung eingeht, ist also auch eine Frage der Finanzen. Es ist eine Beziehungsform, die viel gegenseitiges Vertrauen erfordert – denn man kriegt nicht automatisch alles mit, was sich im Alltag des Partners oder der Partnerin abspielt.
Wo ist die Grenze – wie viel Distanz erträgt eine Partnerschaft?
Ich würde sagen, wenn man sich nicht mehr aufeinander freut, wirds schwierig. Lieber sieht man sich zweimal pro Woche und hat es schön zusammen, als dass man sich fünfmal pro Woche nichts zu sagen hat. Und wenn keine Spontanität mehr drin liegt, man lieber allein zu Hause Netflix schaut als gemeinsam ins Kino zu gehen, ist auch etwas nicht mehr gut.
Kann eine LAT-Beziehung eine Partnerschaft retten?
Das kann gelingen. Gewisse Probleme, die immer wieder auftauchen, lösen sich auch durch eine LAT-Beziehung nicht. Aber LAT kann eine Bereicherung sein, wenn Paare Rückzugsmöglichkeiten suchen oder individuelle Vorstellungen von Wohnen und Alltag haben. Wer sich auf eine bilokale Beziehung einlässt, kann interessante Lebensmodelle kombinieren, Stadt- und Landleben gleichermassen geniessen oder auch grenzübergreifend unterschiedliche Kulturkreise erleben.