Sie haben ein Affen-Baby gekauft, um es vor dem Kochtopf zu retten …
Karl Ammann: Das ist Jahrzehnte her, eine emotionale Entscheidung, die ich innert Minuten treffen musste. Damals war ich wochenlang auf dem Kongo unterwegs, um den Handel von Buschfleisch zu fotografieren. Auf den schwimmenden Märkten werden geräucherte Affen und Kadaver anderer Wildtiere angeboten. Ein Typ legte mit seinem Einbaum-Kanu an und bot einen jungen Schimpansen an, 5 Franken war sein Fleisch wert.
Aber macht das Sinn?
Als ich dem Kleinen in die Augen sah, konnte ich nicht anders. Natürlich löse ich damit das grosse Problem nicht.
Wie dann?
Indem ich dokumentiere, was geschieht. Damals in den 90er-Jahren habe ich das mit Fotos gemacht, heute mit Filmen. Ohne Beweise läuft gar nichts. Die Welt muss wissen, was da passiert. So kann keiner sagen, er habe es nicht gewusst.
Was geht uns das an, wenn die Leute in Zentralafrika ihre Wildtiere essen?
Das eine sind die Einheimischen, die schon immer in ihren Wäldern gejagt haben für ihren Fleischbedarf. Aber die Situation hat sich in den letzten Jahrzehnten drastisch geändert. Die Wälder werden gerodet, und die Holz-Lastwagenfahrer transportieren auch das Buschfleisch in die Städte. Es ist teurer – wer sich Fleisch von Affen, Nilpferd oder Elefant leisten kann, der gewinnt an Status. Das Ausmass ist erschreckend. Seit diese Holzfirmen den Wald aufmachen, verlieren die Wildtiere ihren Lebensraum und sind leichte Beute.
In Ihrem Dokfilm legen Sie offen, dass auch Tiger auf der Speisekarte landen.
Ja, und das im grossen Stil. Meine Recherche hat vor etwa zwölf Jahren in Laos angefangen, an der Grenze zu China. Ein Strassenhändler zeigte mir in einer Box zwei junge Nebelparder. Als ich mit ihnen gespielt habe, wurde er ungemütlich. Dann kam ein Lastwagenfahrer auf mich zu, er wusste, wo es zwei Tigerbabys gab.
Der prächtige Tiger ist eines der beliebtesten und am meisten gefährdeten Tiere der Welt. Der Schweizer Tierschützer und Filmemacher Karl Ammann deckt zusammen mit Laurin Merz im Dok-Film «The Tiger Mafia» auf, wie die grösste Raubkatze der Welt in Farmen in Laos und China in Massen gezüchtet, geschlachtet und in ihre Einzelteile zerlegt wird. Zehn Jahre recherchierte er mit versteckter Kamera, um die Handelswege der Mafia und die Untätigkeit der Behörden zu dokumentieren. Was vom Tiger übrig bleibt, wird in Chinas Untergrund-Pharma- und Schmuckindustrie zum Verkauf angeboten. Zu sehen auf Amazon Prime, demnächst auch an den Solothurner Filmtagen.
Der prächtige Tiger ist eines der beliebtesten und am meisten gefährdeten Tiere der Welt. Der Schweizer Tierschützer und Filmemacher Karl Ammann deckt zusammen mit Laurin Merz im Dok-Film «The Tiger Mafia» auf, wie die grösste Raubkatze der Welt in Farmen in Laos und China in Massen gezüchtet, geschlachtet und in ihre Einzelteile zerlegt wird. Zehn Jahre recherchierte er mit versteckter Kamera, um die Handelswege der Mafia und die Untätigkeit der Behörden zu dokumentieren. Was vom Tiger übrig bleibt, wird in Chinas Untergrund-Pharma- und Schmuckindustrie zum Verkauf angeboten. Zu sehen auf Amazon Prime, demnächst auch an den Solothurner Filmtagen.
Haben Sie die Tiger gefunden?
Nein, sie waren schon verkauft worden. Wahrscheinlich waren es die letzten freien Tiger in Laos, die Mutter der Jungen wurde durch eine Tretmine getötet. Das Fell ging zwar kaputt, aber das Fleisch und die Knochen waren immer noch genug wert. Die Jungen sind wohl in der Farm in Laos gelandet, wo ich viel recherchiert habe.
Was kostet ein Tiger?
Ausgewachsen, in seine Einzelteile zerlegt, 50'000 US-Dollar. Schon für einen Tigerzahn bekommt man über 1000 Dollar. Darum haben auch die letzten der frei lebenden Grosskatzen keine Chance. Sobald man eine Spur findet, beginnt die Jagd. In Burma kann von so viel Geld ein ganzes Dorf über mehrere Jahre gut leben. Darum werden die Tiger gezüchtet, vor allem in Laos und China.
Ist das legal?
Nach internationalen Richtlinien nur, um den Bestand zu vermehren und auszuwildern. In Laos hat man die Zuchten 2017 verboten, doch das ist diplomatische Schönfärberei. Einige der Farmen, vor allem in China, gehören sogar der Regierung. Diese Vermehrungsfabriken bekommen einfach eine Lizenz als Zoo. Vorne werden Tigerbabys gestreichelt und später durch die Hintertür verkauft und geschlachtet.
Sie verstecken Kameras hinter Sonnenbrillen und in Kugelschreibern. Wie legal ist das?
In diesen Ländern bekommt man keine Erlaubnis, um journalistisch zu recherchieren. Ich habe einheimische Mittelsmänner. Der eine hat sich mit dem Farmmanager angefreundet, beim Trinken und Essen wird geplaudert, während die Kamera läuft. Nur so komme ich an Informationen und die Drahtzieher ran.
Können Sie jetzt, wo der Film raus ist, je wieder in diese Länder reisen?
In China werde ich wohl kein Visum bekommen. In Laos habe ich Kontaktmänner. Die können rausfinden, ob ich bei den Behörden auf der Liste stehe. Dann ist das Risiko zu gross. Sie würden mich einreisen lassen, aber später zuschlagen. Wenn sie mich mit entsprechendem Filmmaterial erwischen, kann ich im Gefängnis landen.
Sie gehen hohe Risiken ein, geben sich als Kunde aus und essen sogar Tigerfleisch!
Ja, wenige Bissen, das hat mich Überwindung gekostet. Aber es ging nicht anders. Für so einen Film muss ich beweisen, dass tatsächlich Tigerfleisch auf dem Teller ist. Die Chinesen sind Meister in Fälschungen, sie verkaufen auch Kamelknochen als Tigerzahn. Also habe ich einen Teil des Fleisches nach Zürich ins Forensische Institut zur Analyse gebracht, genauso wie Knochen, Tigercake und Tigerwein.
Und wie bringen Sie das durch den Schweizer Zoll?
In meiner Tasche. Klar, das ist nicht ganz korrekt. Aber ich wurde nie erwischt. Und das Forensische Institut hat sich rechtlich bei den Behörden abgesichert; auf der Labor-Auswertung steht, dass es zu keiner Anzeige kommt.
Wie war das Feedback auf den Film?
Der kommt erst jetzt an die Festivals, ist aber schon jetzt auf Amazon zu sehen. Viele Reaktionen gab es auf einen grossen Artikel in der «Washington Post». Fast alle Leser fragten nach dem Link zum Spenden, den gibt es aber nicht. Ich mag dieses Feel-Good-System nicht. Man kann sich nicht einfach mit 100 Dollar von seinem schlechten Gewissen freikaufen, damit man nachts besser schlafen kann. Ich will wachrütteln.
Aber Sie brauchen doch auch Geld für Ihre Projekte.
Das meiste kann ich selber finanzieren. Oft arbeite ich auch mit Medien wie Spiegel TV zusammen. Die geben mir einen Kameramann mit, und ich bekomme das Recht, das Filmmaterial zu verwerten. Kostspieliger wird es in der Postproduktion, aber ich bleibe gerne so unabhängig wie möglich.
In Ihrem Film decken Sie drei der grossen Drahtzieher im mafiösen Tigerhandel auf, für die hat das keine Konsequenzen. Ist das nicht ein Frust?
Mein Ansatz ist: «Name and Shame». Also die Täter entlarven und entblössen. In China ist der Gesichtsverlust das Schlimmste. Das Problem ist, dass mit illegalem Tierhandel sehr viel Geld zu verdienen ist, aber die Strafen zu gering sind. Und die meisten haben Angst, sich mit dem mächtigen China anzulegen. Das war auch der Grund, warum Netflix meinen Film nicht genommen hat. Aber nicht nur.
Sondern?
Meine Filme sind zu unbequem. In Hollywood war ich mit den Produzenten von Leonardo DiCaprio im Gespräch, sie sagten, dass sie meine «brutale Wahrheit» liebten. Auch bei Red Bull war man angetan, sie wollten investieren, aber nur wenn ich Hoffnung und eine positive Perspektive einbringe. Aber die Wahrheit ist: Es gibt kein Happy End. Ich will eine Debatte auslösen. Wohin geht es mit der Menschheit, wenn man ungestraft Tiger züchten und abschlachten darf? Tun wir das auch bald mit Elefanten oder Giraffen?
Der Film ist keine leichte Kost. Wie geht es Ihnen, wenn Sie all das vor Ort erleben?
Mitten in der Situation ist viel Adrenalin im Spiel, man macht so viele Bilder und Aufnahmen wie möglich. Da nimmt man das weniger wahr. Wenn ich dann abends im Bett liege, geht mir das schon durch den Kopf.
Haben Sie den Glauben an die Menschheit verloren?
Ja, mehr oder weniger schon. Wir sind die schlimmsten Parasiten auf diesem Planeten. Man muss nur die Biomasse von den Säugetieren anschauen, Mensch und Nutztiere machen 96 Prozent aus. Und für die verbleibenden 4 Prozent der wilden Tiere wird der Platz immer noch knapper. Wenn wir die Tiere schon nutzen und töten, warum so gefühllos brutal?
Er ist schon früh dem Fernweh verfallen: Karl Ammann (72) ist vor 40 Jahren von
St. Gallen nach Afrika ausgewandert. Zunächst arbeitete er in Kinshasa und Kenia als Hotelmanager. Später baute er für sich und seine Frau ein Haus am Fusse des Mount Kenia, wo er bis heute mit zwei erwachsenen Schimpansen lebt. Er fotografierte die Schönheit Afrikas, bis eine Reise auf dem Kongo 1989 seinen Blick veränderte. Er beobachtete den Handel mit Affen und anderen Wildtieren für Buschfleisch und dokumentierte das Grauen in Bildern. So wurde aus dem Fotografen fürs Schöne ein Aktivist, 2007 setzte ihn das «Time»-Magazin auf die Liste der «Umwelthelden».
Er ist schon früh dem Fernweh verfallen: Karl Ammann (72) ist vor 40 Jahren von
St. Gallen nach Afrika ausgewandert. Zunächst arbeitete er in Kinshasa und Kenia als Hotelmanager. Später baute er für sich und seine Frau ein Haus am Fusse des Mount Kenia, wo er bis heute mit zwei erwachsenen Schimpansen lebt. Er fotografierte die Schönheit Afrikas, bis eine Reise auf dem Kongo 1989 seinen Blick veränderte. Er beobachtete den Handel mit Affen und anderen Wildtieren für Buschfleisch und dokumentierte das Grauen in Bildern. So wurde aus dem Fotografen fürs Schöne ein Aktivist, 2007 setzte ihn das «Time»-Magazin auf die Liste der «Umwelthelden».
Sie haben ein schönes Daheim in Kenia, Elefanten spazieren vor Ihrer Terrasse durch. Warum setzen Sie sich nicht zur Ruhe?
Vielleicht werden gerade jetzt in Namibia wilde Elefanten für die Emirate eingeschifft. Weil der Kronprinz von Dubai schon sieben Elefanten hat, wollen alle andern mit zu viel Geld auch welche. Wenn das passiert, muss man vor Ort sein und das dokumentieren. Das ist nicht legal, vor zwei Jahren wurde bei Cites (Washingtoner Artenschutzübereinkommen; Anm. d. Red.) für Artenschutz darüber abgestimmt. Wofür gibt es solche UN-Konventionen, wenn sie dann umgangen werden?
Bei Cites haben Sie Hausverbot.
Ja, das ist gelaufen. Verschiedene Länder haben sich beklagt, dass meine Interviews zu aggressiv waren. Darum bin ich dort nicht mehr erwünscht. Aber solange ich einen Beitrag leisten kann, werde ich es tun.
Sie werden auch in den eigenen Reihen kritisiert, die Primatenforscherin und Umweltikone Jane Goodall nennt Sie «zu radikal».
Wir diskutieren seit dreissig Jahren über Tierschutz. Sie setzt auf Diskretion und Diplomatie. Ich tue das Gegenteil. Sie findet, dass ich damit nur verstöre und verärgere. Aber wohin sind wir mit der Diplomatie in den letzten 30 Jahren gekommen? Im Gombe-Park von Goodall in Tansania gibt es nur noch 60 Menschenaffen, zu wenig für eine überlebensfähige Population. Und auf dem Satellitenbild sieht man, das rundum alles abgeholzt ist. Es ist eine Insel ohne Zukunft, die ist auch mit Millionen von Spendengeldern nicht zu retten. Und wenn ich das sage, ja, dann ärgere ich Jane damit.
Was ist eigentlich aus dem kleinen Schimpansen geworden?
Mzee ist jetzt über 30 Jahre alt und lebt bei mir und meiner Frau in Nanyuki. Eigentlich sollte er in ein Sanctuary, aber das hat nicht geklappt. Später ist noch Schimpansin Bili dazugekommen, die ich aus einer ähnlichen Lage gerettet habe. Die beiden Affen sind uns sehr ans Herz gewachsen, sie sind wie unsere Kinder.
Landen Menschenaffen noch immer auf dem Teller?
Leider ja. Für mich ist das Kannibalismus. Schimpansen und Gorillas haben zu 98,6 Prozent die gleiche DNA wie wir Menschen. Wer so einem Tier gegenübersitzt und sich einlässt, spürt das sofort.