Circus Monti brennt auf Tourneestart
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Nach einem Jahr Zwangspause:Circus Monti brennt auf Tourneestart

Johannes Muntwyler ist Direktor des Aargauer Circus Monti
«Nummern, bei denen ein Artist sterben könnte, machen mir keinen Spass»

Er ist Direktor des Aargauer Circus Monti, der nach einem Jahr Zwangspause wieder auf Tournee ist. Johannes Muntwyler (57) über das Corona-Risiko bei Artisten, den Nervenkitzel in der Manege und Väter, die sich schminken.
Publiziert: 15.08.2021 um 16:37 Uhr
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Zirkusdirektor Johannes Muntwyler (57) auf der Amphiwiese in Windisch AG, wo Circus Monti bis am 15. August haltmacht. Ab 18. August gastiert er auf der Rosentalanlage in Basel.
Foto: Thomas Meier
Jonas Dreyfus

Herr Muntwyler, Ihr Zirkus tourt das erste Mal seit Beginn der Pandemie wieder. Was ist das für ein Gefühl?
Johannes Muntwyler:
Ein schönes. Bei der Premiere stand ich wie immer mit meiner Partnerin und einem meiner Söhne am Einlass und begrüsste die Gäste. In diesem Moment wurde mir erstmals richtig bewusst, wie sehr mir das die letzten eineinhalb Jahre gefehlt hat. Die grosse Erleichterung wird wohl erst einsetzen, wenn die Tournee gut über die Bühne gegangen ist.

Sie verlangen kein Covid-Zertifikat von den Besuchern. Warum nicht?
Weil wir befürchten, dass sich diejenigen, die nicht geimpft sind, nicht extra für einen Zirkusbesuch testen lassen, haben wir uns gegen das Zertifikat entschieden. Bei Ferien oder einem grossen Rockkonzert ist das vielleicht etwas anderes.

Welche Sicherheitsvorkehrungen mussten Sie treffen?
Weil wir kein Zertifikat verlangen, fügen wir zwischen jeder Besuchergruppe einen freien Platz ein. Und es gilt Maskenpflicht. Finanziell lohnt sich das im Moment noch nicht. Es war enorm wichtig, dass wir vergangenes Jahr finanzielle Unterstützung erhalten haben. In der Schweiz würde es ganz anders aussehen, wenn Bund und Kantone nicht gesagt hätten, dass es Kultur für unser Land braucht.

Die Artisten kommen sich bei den Nummern sehr nahe, in den Wohnwagen lebt man auf engen Verhältnissen. Wie gingen Sie mit diesem Risiko um?
Wir haben das Gespräch mit den Artisten und allen anderen Mitarbeitenden gesucht und ihnen nahegelegt, sich impfen zu lassen. Unser Kreativteam kommt aus Kanada, die Artisten aus den USA, aus Israel oder anderen Ländern. Wenn man zwei Monate probt und dann vier Monate miteinander tourt, ist das Risiko ohne Impfung zu gross.

Der Schweizer Zirkusbranche gings schon vor der Pandemie nicht gut. Im Frühjahr 2019 hörte Nock nach 158 Jahren auf. Ein Jahr davor ging der Circus Royal erstmals in Konkurs. Was macht der Circus Monti anders als die Konkurrenz?
Der Hauptgrund für unseren Erfolg liegt für mich darin, dass wir mit der Programmgestaltung seit Jahren einen eigenen Weg gehen. Wir bieten eine Ergänzung zum klassischen Zirkus, wo sich die Nummern losgelöst aneinanderreihen. Ähnlich wie bei einem Theaterstück fügt sich bei uns alles in eine Rahmenhandlung ein. Deshalb ist der Job des Regie-Teams auch einer der wichtigsten. Dass wir nach 36 Jahren immer noch existieren, basiert aber auch darauf, dass wir ein Weihnachtsvariété, Kulturtage und eine Zeltvermietung betreiben.

Zirkus ist Familiensache

Der Circus Monti gehört zu den erfolgreichsten Zirkussen und meistbesuchten, wiederkehrenden Kulturveranstaltungen der Schweiz. Im Winterquartier in Wohlen AG betreibt das Familienunternehmen ein Weihnachtsvariété. Zudem gehört es mit einem Angebot von rund 40 verschiedenen Zelten zu den grössten Zeltvermietern Europas. Gegründet haben den Zirkus die Eltern von Johannes Muntwyler, der heute Direktor ist. Seine Partnerin Armelle Fouqueray ist unter anderem fürs Casting der Artisten zuständig, sein ältester Sohn, Tobias (28), arbeitet für die Zeltvermietung, der zweitälteste, Mario (25), in der Administration, und der jüngste, Nicola (19), als Zimmermann fürs Werkstatt-Team.

Der Circus Monti gehört zu den erfolgreichsten Zirkussen und meistbesuchten, wiederkehrenden Kulturveranstaltungen der Schweiz. Im Winterquartier in Wohlen AG betreibt das Familienunternehmen ein Weihnachtsvariété. Zudem gehört es mit einem Angebot von rund 40 verschiedenen Zelten zu den grössten Zeltvermietern Europas. Gegründet haben den Zirkus die Eltern von Johannes Muntwyler, der heute Direktor ist. Seine Partnerin Armelle Fouqueray ist unter anderem fürs Casting der Artisten zuständig, sein ältester Sohn, Tobias (28), arbeitet für die Zeltvermietung, der zweitälteste, Mario (25), in der Administration, und der jüngste, Nicola (19), als Zimmermann fürs Werkstatt-Team.

Sie haben seit zehn Jahren keine Tiere mehr im Programm. Auch damit unterscheiden Sie sich vom klassischen Zirkus.
2004 ist mein Bruder Niklaus aus dem Zirkus ausgestiegen. Er hat sich jahrelang um die Dressur und die Pflege der Pferde gekümmert. Heute arbeite er privat als Dressurlehrer. Da ich nichts von Tieren verstehe und keinen Sinn darin sah, externe Leute für diesen Bereich zu engagieren, suchten wir keinen Ersatz. Bis 2011 hatten wir nur noch einen Wagen mit Kleintieren wie Geissen und Gänsen, mit denen meine Söhne Nummern aufgeführt haben.

Pferdenummern sind bei Tierschützern umstritten.
Natürlich gibt es Zirkusse, die alles dazu beitragen, dass die Kritik an Pferdenummern oder generell an Tieren im Zirkus immer lauter wird. Doch wenn Leute verantwortlich sind, die etwas davon verstehen und sich für einen tiergerechten Umgang einsetzen, finde ich sie unbegründet.

Als der Circus Knie 2015 zum letzten Mal Elefanten in der Manege auftreten liess, war das für einen Grossteil des Stammpublikums ein Drama. Können Sie das nachvollziehen?
Immer, wenn Traditionen sterben, sorgt das im ersten Moment für Enttäuschung. Das war auch schon so, als die Raubtiernummern aus den Programmen verschwanden. Heute sind sie an vielen Orten gar nicht mehr erlaubt.

Ein gewisser Nervenkitzel gehört zu Zirkusaufführungen. Die Menschen schauen den Artisten zu, wie sie gefährliche Dinge tun. Manche Kunststücke wären tödlich, wenn etwas schiefgehen würde. Diese Spannung lässt sich im Unterhaltungsbereich fast nirgendwo so erleben. Inwiefern macht das den Reiz des Zirkus aus?
Nummern, bei denen ein Artist sterben könnte, machen mir als Zuschauer keinen Spass. Im Gegenteil. Bei uns trat einmal eine junge Artistin mit einer Luftnummer auf und vollführte hoch oben Figuren, bei denen sie nach meinem Verständnis hätte herunterfallen können. Ich habe darauf bestanden, dass sie eine Matte verwendet, auch wenn sie sich absolut sicher gefühlt hat ohne.

Vielleicht sind Sie nicht nur nervös, weil ein Unfall schrecklich wäre, sondern auch, weil es schlecht für Ihr Geschäft wäre.
Das hat damit überhaupt nichts zu tun. Es hat ein Umdenken stattgefunden in der Zirkuswelt, was das betrifft. Der Preis ist einfach zu hoch für eine Artistin oder einen Artisten. Im schlimmsten Fall stirbt man. Oder ist so verletzt, dass man nie mehr auftreten kann. Die Artisten sind zum Teil sehr jung. Das Risiko, bereits am Anfang der Karriere den Traum aufgeben zu müssen, für den man jahrelang gekämpft hat, lohnt sich nicht.

Was hat es mit der Regel auf sich, dass Artisten ein Kunststück, das ihnen misslingt, so lange versuchen müssen, bis es klappt?
Es ist nicht nur im Sinn des Publikums, dass zum Beispiel ein Seiltänzer, der bei einem Salto vom Seil ins Netz fällt, einen zweiten Anlauf nimmt. Auch für den Artisten ist das wichtig. Wenn er bis zur nächsten Vorstellung wartet, kann sich die Angst, es wieder nicht zu schaffen, hochschaukeln.

Sie sind früher als Jongleur aufgetreten. Als solcher einen schlechten Tag zu haben, muss der Horror sein.
Es ist unangenehm, wenn es vorkommt. Beim Jonglieren sieht man Fehler sofort. Wenn einem eine Keule herunterfällt, lässt sich das nicht kaschieren. Es gibt Jongleure, die haben dermassen gute Nerven, dass sie sich auch nicht aus der Ruhe bringen lassen, wenn ihnen das zwei oder drei Mal hintereinander passiert. Mein Sohn Mario, der auch jongliert, ist so einer. Ich nicht. Bei den Premieren war ich manchmal so verkrampft, dass meine Schultern am nächsten Tag wahnsinnig geschmerzt haben.

Das aktuelle Programm vom Circus Monti heisst «Cirque je t'aime!». Eine Zwischenfrage: Warum wird in der Zirkuswelt eigentlich immer alles auf Französisch betitelt?
Das mag damit zu tun haben, dass der Zirkus im französischsprachigen Raum einen hohen Stellenwert geniesst. Vor allem in Kanada: Die Zirkusschulen in Montréal und Québec gehören weltweit zu den besten. Ich finde, Französisch klingt irgendwie feiner, künstlerischer als Deutsch. Das passt zur Magie, die ein Zirkus vermitteln will.

Das neue Programm ist eine Ode an Ihre Familiengeschichte. Ihre Eltern waren Lehrer, bevor sie zum Zirkus gingen. Ihr Vater, bekannt als Clown Monti, starb 1999. 2019 erlag Ihre Mutter mit 83 Jahren einer schweren Krankheit. Wie geht eine Zirkusgemeinschaft emotional damit um, wenn jemand, der so lange dabei war, plötzlich fehlt?
Die Anteilnahme von allen, die sie gekannt haben, war riesig. Meine Mutter hat bis kurz vor ihrer Krankheit während der Tour im Zirkuswagen gewohnt und bis 80 voll gearbeitet. Als sie starb, stellten wir eine Abschlussfeier auf die Beine, bei der unser Orchester und eine Sängerin aus einem früheren Variété-Programm auftraten. Sie fand im alten Zelt statt, das wir bereits für die Verabschiedung meines Vaters aufgebaut hatten. Es gab Zirkus-Elemente, Freunde und Verwandte erzählten Anekdoten aus dem Leben meiner Mutter. Ein trauriger Moment, bei dem aber auch viel gelacht wurde. Das war ganz in ihrem Sinn. Am Morgen danach haben wir das Zelt ein letztes Mal abgebaut und danach entsorgt. Eine Ära ging damit zu Ende.

Im Jahr 1978 gingen Ihre Eltern, die damals noch ihrem alten Beruf nachgingen, vier Wochen mit dem Circus Olympia auf Tournee und nahmen Sie und Ihre drei Brüder mit. Der Vater stand dann mit seinen Kindern für eine Clown-Nummer in der Manege. War Ihnen das nicht ein bisschen peinlich als Teenager?
Doch, schon. Ich war damals 14. Das ist ein Alter, in dem man es nicht nur toll findet, wenn sich der Vater mit weisser Farbe das Gesicht schminkt. Die Clown-Nummer, die wir aufgeführt haben, war auch nicht sooooo lustig. Ich bin jetzt 47 Jahre im Zirkus. Einen guten Clown würde ich immer noch nicht abgeben.

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