Schnuppern im Recycling-Hof bei Karin Bertschi (30)
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Schnuppern für Senioren:Recycling-Queen Karin Bertschi sucht Rentner-Praktikanten

Motivierte Rentner packen an
Schnuppern im Recycling-Hof bei Karin Bertschi (30)

Mit einem aussergewöhnlichen Jobinserat hat die ehemalige SVP-Grossrätin und Unternehmerin Karin Bertschi Senioren als Praktikanten für ihr Recycling-Paradies gesucht. Das Interesse war gross. Vier Rentner wurden zum Schnuppern eingeladen. BLICK war dabei.
Publiziert: 25.08.2020 um 07:40 Uhr
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Aktualisiert: 27.08.2020 um 09:12 Uhr
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Die Unternehmerin und ehemalige Aargauer SVP-Grossrätin Karin Bertschi (30) will motivierte Senioren lieber im Team des Recycling-Paradies integrieren, statt sie auszusortieren.
Foto: Fabio Giger
Corine Turrini Flury

«Grüezi, kann ich Ihnen behilflich sein?», fragt Ernst Gehren (68) freundlich einen Fahrzeuglenker, der im Recycling Paradies in Spreitenbach AG diversen Abfall entsorgen will.

Pensionär Gehren aus Niederrohrdorf AG, ist einer von etwa 50 Bewerberinnen und Bewerbern, die sich auf ein aussergewöhnliches Jobinserat der ehemaligen SVP-Grossrätin und Unternehmerin Karin Bertschi (30) gemeldet haben. Die Geschäftsführerin der Recycling-Paradies AG suchte für ihren Betrieb Praktikanten im Alter von etwa 70 Jahren.

Bertschi weiss, dass Senioren und Seniorinnen durchaus noch Ressourcen haben, sich engagieren und nicht einfach aussortiert werden wollen. «Viele ältere Menschen stehen noch mit beiden Beinen im Leben. Sie sind zwar pensioniert, aber möchten nochmals etwas Neues anreissen, wie beispielsweise meine Mama. Sie hat mit über 60 Jahren die Ausbildung zur Notfallpsychologin gemacht und arbeitet seit rund zwei Jahren ehrenamtlich beim Telefondienst 143, bei der dargebotenen Hand», erzählt die Aargauer Güsel-Queen.

Pensionierte Lehrerin und Friedensrichterin neu im Team

Insgesamt vier Praktikanten wurden aus den eingegangenen Bewerbungen ausgewählt und die konnten letzte Woche am Standort Spreitenbach AG einen Schnuppernachmittag in der Entsorgungsstelle absolvieren.

Rentnerin Verena Leuthard (72) aus Erlinsbach AG ist dabei. Die ehemalige Lehrerin und Friedensrichterin muss sich aber nicht mehr bewerben. Sie hat sich auf das Inserat nach dem Artikel im BLICK gemeldet und gehört bereits seit Juni zum Entsorgungsteam am Standort Hunzenschwil AG.

Sie widmet sich dort vor allem der Bücher-Tauschbibliothek und bringt mit viel Engagement und Leidenschaft Ordnung in die Bücherecke. So auch am Schnuppernachmittag diese Woche in Spreitenbach. Sie sortiert gut erhaltene Kinder- und Kochbücher, Reiseführer, Lexikas, Romane in verschiedenen Sprachen übersichtlich und bewahrt die Bücher vor der endgültigen Entsorgung.

«Ich wollte einfach wieder eine sinnvolle Tätigkeit mit Kontakt und mir macht diese Aufgabe Spass», erklärt die fünffache Grossmutter. Leuthards Vorschlag an Karin Bertschi war es deshalb, die Arbeit ehrenamtlich zu machen. Die Geschwister Bertschi entschädigen der Rentnerin aber die Spesen und bezahlen ihr einen Zustupf.

Handwerkliches Geschick für Veloreparaturen

«Gratis arbeite ich nicht», sagt Piero Atzli (72) klar und bestimmt. Er würde gern im Rahmen von etwa 40 Prozent in Spreitenbach arbeiten. «In meiner Familie arbeitet man so lange man kann.»

Als langjähriger Mitarbeiter im Medienbereich wäre er gern auch nach seiner Pensionierung berufstätig geblieben. Aber heute sei es schon als Ü50 oft schwierig noch einen Job zu finden, so Atzli. Zusammen mit dem pensionierten Röbi Ilg (69) aus Villnachern AG fachsimpelt er über Velos und Bikes und sortiert Zweiräder die an der Entsorgungsstelle abgegeben wurden, je nach Zustand.

Was brauchbar ist, wird nach Afrika oder an Hilfswerke geschickt. Kleinere Reparaturen nehmen Ilg und Atzli gleich selber vor. Was nichts mehr taugt, wird verschrottet.

Vom Schreibtisch in die ehrenamtliche Tätigkeit

Der ehemalige kaufmännische Angestellte Ueli Jundt (74) aus Baden AG arbeitete als Sekretär im Hochbaudepartement in Zürich und ist seit neun Jahren pensioniert. «Handwerklich bin ich nicht so talentiert, aber ich engagiere mich seit Jahren ehrenamtlich, wie beispielsweise als Fahrer für Senioren oder bei Nez Rouge», so der 74-Jährige.

Für ihn ist die Entschädigung sekundär. Viel mehr interessiert er sich für die Recyclingabläufe in der Entsorgungsstelle, freut sich über die aufgestellten Mitbewerber und Mitarbeiter und interessiert sich für allerlei Neues.

Kurze Schulung und Kuriositäten

Von der Warenannahme, über das richtige Sortieren von Recycling-Gütern, bis hin zum definitiven Entsorgen oder wo möglich zur erneuten Instandsetzung und Weiterverwendung für Hilfswerke: Die vier Pensionäre haben an dem Schnuppernachmittag viel gesehen und gelernt.

Gezeigt wurde auch allerlei Kurioses, das in der Entsorgungsstelle landet. Darunter zum Beispiel eine Vogelspinne oder auch schon mal ein Sprengkörper.

Die Senior-Praktikanten zeigen sich bei der abschliessenden Verpflegung und einem Austausch motiviert und interessiert an einer regelmässigen Mitarbeit im Team. Ueli Jundt hatte sogar eine Idee, die Bertschi eventuell umsetzen möchte: «Ich könnte mit dem Lieferwagen bei älteren Personen abholen, was zum Entsorgen ist und für sie in die Entsorgungsstelle fahren.»

Karin Bertschi: «Das sind Ideen und Inputs von älteren Menschen, die man nur im Kontakt mit ihnen erhält und auf die wir jüngeren oftmals gar nicht kommen.»

Gute Chancen für alle Schnupper-Senioren

Wer künftig von den Senioren im Team Spreitenbach tatsächlich mitarbeiten kann, wird sich demnächst entscheiden. Vielleicht findet sich auch für alle Senior-Praktikanten eine Aufgabe im Recycling Paradies.

«Offene Stellen haben wir grundsätzlich keine an unseren Standorten, aber wir schaffen für dieses Seniorenprojekt eine Stelle. Wir werden im Rahmen von Teilzeitstellen in der Dienstleistungsbranche bezahlen, wenn jemand noch richtig anpacken mag», so Chefin Bertschi.

Mit leeren Händen musste auch nach dem Schnuppertag kein Senior nach Hause. Für alle gab es je 50 Franken für die investierte Zeit.

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