Auf einen Blick
Es gilt als eines der härtesten Segelrennen überhaupt und führt einmal um den Globus. Der Genfer Skipper Alan Roura (31) steckt mitten in der Vendée Globe und sagt in der «Schweizer Illustrierten»: «Meine Frau ist zu Hause mit den Kindern, während ich hier meinen Ego-Trip durchziehe.» Während Roura quasi berufsbedingt monatelang ohne Familie um die Welt segelt, erfüllt sich Ex-Radprofi Franco Marvulli (46) fernab von daheim einen privaten Traum: ein 20-tägiges Veloabenteuer, das ihn von Nairobi nach Kigali führt.
Als «Flucht aus dem Alltag» bezeichnet er seinen Abstecher. In der Schweiz kümmert sich derweil seine Frau um die beiden Kinder. Vor dem Start stellte Marvulli seiner Facebook-Community die Frage: «Findet ihr das in Ordnung?» Die meisten sagten Ja – solange das mit Gattin Belinda (30) abgesprochen sei. Ist das tatsächlich so? Welchen Einfluss haben solche Ego-Trips, wie sie Roura bezeichnet, aufs Familienleben? Und was wäre, wenn man sie sich der Familie zuliebe verkneifen würde? Sozialpädagoge Patrick Seger (44) ordnet ein.
Lässt sich ein berufsbezogener Ego-Trip wie der von Alan Roura eher rechtfertigen als ein privater?
Das eine sei nicht schlechter oder besser als das andere, sagt Patrick Seger: «Primär gilt es bei Egoismus immer erst zu klären, wovon wir sprechen. Welches Bedürfnis erfüllt werden soll.» Dass dabei die Auswirkungen auf die Familie grösser sind, wenn jemand die Welt umsegelt, als wenn er kurz eine Runde joggen geht, liegt auf der Hand – ob es dabei um einen Job oder um private, persönliche Selbstverwirklichung geht, ist zweitrangig.
Muss in einer Beziehung Platz für Egoismus sein?
«Grundsätzlich ja. Denn wir haben alle Bedürfnisse», sagt der Experte. «Doch es gibt ein gesundes und ein destruktives Mass an Egoismus.»
Wann ist Egoismus destruktiv?
«Stellt jemand das eigene Bedürfnis erheblich und permanent über das des anderen, leiden die Betroffenen darunter.» Auch Suchtthematiken wie Alkohol und Drogen sind eine Form von komplexen Bedürfnissen. Diese aus Liebe mitzutragen, ist gemäss Patrick Seger nicht sinnvoll.
Wann ist Egoismus gesund?
«Gesund ist es, über die eigenen Bedürfnisse zu sprechen. Dazu muss man sich diese erst einmal zugestehen. Alles Weitere ist Kommunikation. Ohne sie geht nichts.» Nur so kann man dem Partner, der Partnerin verständlich machen, was man gerne hätte oder tun würde. In einer funktionierenden Partnerschaft ergibt sich daraus ein fruchtbarer Dialog. So geschehen bei Franco Marvulli und seiner Frau Belinda, wie auf seinem Facebook-Account zu lesen ist. In der Dynamik des Alltags kommen solche Gespräche jedoch oft zu kurz. Sozialpädagoge Patrick Seger: «Staut sich der Frust über das nicht ausgesprochene Bedürfnis an, endet dies meist in einem Konflikt.»
Wie kommuniziert man die eigenen Bedürfnisse am besten?
Es führt kein Weg daran vorbei, zu sagen, was man möchte. Dass dies schwierig sein kann, weiss auch der Paartherapeut: «Man muss sich aus seiner Komfortzone bewegen, sich ausdrücken, etwas einfordern. Das kann unangenehm sein.» Zu sagen, was man will, hat zuweilen auch seinen Preis – und für manche erscheint dieser zu hoch. Zu schweigen ist trotzdem keine Lösung, denn: «Das Bedürfnis bleibt bestehen.» Im Gegenteil, es reift wie ein Wein – den man irgendwann kosten will. Ein erster Schritt in Sachen Kommunikation kann auch ausserhalb der Beziehung mit einem Freund, einer Freundin stattfinden. Sich jemandem anzuvertrauen, ist gemäss Patrick Seger nicht falsch: «Das kann helfen, Mut zu fassen, um das Bedürfnis dem Partner oder der Partnerin zu kommunizieren.»
Bedürfnisse ändern sich, gewollt oder ungewollt. Was dann?
«Immer wieder neu verhandeln. Die eigene Bedürftigkeit will täglich neu justiert, ausgerichtet und gefunden werden», sagt Berater Patrick Seger: «Mir persönlich gefällt das Prinzip Geben und Nehmen, wie auch einander zuzuhören. Das Anmelden von Bedürfnissen ist wichtig und nötig. Gerade wenn Kinder da sind, ist es erheblich, da die Eltern hier auch als Vorbild und Lernmodell zur Verfügung stehen.»
Dass das Ausleben der eigenen Bedürfnisse den Partner oder die Partnerin enttäuscht, geht in Ordnung?
«Das kann passieren. Der Entscheid, allein die Welt zu umsegeln, macht bestimmt nicht alle glücklich. So könnte das Kind zwar denken, ‹wow, ich habe den coolsten Daddy›, und ihn gleichzeitig stark vermissen.» Auch hier gilt: «Der Schlüssel ist Kommunikation.» Zu welchem Preis und zu welchen Bedingungen man sich sein Bedürfnis erfüllt oder nicht, muss jedes Paar oder jede Familie für sich entscheiden. Im besten Fall gemeinsam.