88-mal! So oft greifen wir gemäss Forschern der Uni Bonn durchschnittlich pro Tag zum Smartphone. 53-mal davon entsperren wir das Gerät, sichten Mails, checken Social Media, lesen News. Und sei es auch bloss, um zu erfahren, dass Kim Kardashian kürzlich abgenommen hat. An der Tramhaltestelle, im Zug, im Café: überall Leute, die potenziell mittrauern, in Gedanken versunken auf Bildschirme starren, beschäftigt sind, sich mit Infos vollzuladen. Oder zu vergiften, nimmt man die Gegenbewegung wörtlich, die sich inzwischen regt.
Digital Detox
«Digital Detox», digitale Entgiftung, heisst der neue Trend. Für eine Weile den Stecker ziehen, ausschalten, abschalten. Die Idee ist nicht neu. In Zürich fand 2016 die erste Konferenz zum Thema statt. Passenderweise liess Initiator Simon Künzler, Geschäftsführer der Marketingagentur Xeit, alle Teilnehmenden ihr Handy gleich beim Eingang abgeben. «Dadurch waren die Leute während der Referate topkonzentriert, und es kam zu tollen Diskussionen», so Künzler. Auch persönlich hat er Erfahrung mit «Digital Detox» – sieben Wochen verbrachte er ohne Smartphone in Schweden. «Es war grossartig, bereichernd und energisierend.»
Digitale Vernetzung spricht die Ursehnsucht nach Bindung an
Weniger online, mehr Leben also? Im Buch «Digital Detox. Wie Sie entspannt mit Handy & Co. leben» beschreibt Literaturwissenschaftlerin Daniela Otto, wie digitale Vernetzungsmedien Ursehnsüchte nach Bindung ansprechen. Deshalb liessen wir uns von ihnen in den Griff bekommen und seien zwar immer erreichbar, aber nie richtig «da».
Dauererreichbarkeit kann psychische Krankheiten begünstigen
Dass ein Zuviel am Handy negative gesundheitliche Folgen hat, ist erwiesen. Kurzsichtigkeit, «Handy-Nacken», Einschlafprobleme – die Liste ist lang. Insbesondere für Stress, Burnout und Depressionen gelte Dauererreichbarkeit als begünstigendes Element. Sie verhindere es, innerlich abzuschalten und Distanz zu bekommen. Ein kurzfristiger Verzicht bringe da gesundheitlich nichts – im Gegensatz eben zum sinnvollen Umgang im Alltag.
Selbsttest: Bin ich handysüchtig?
Ein Leben ohne Smartphone ist für Jugendliche heutzutage nicht mehr vorstellbar. Aber auch ältere Generationen können darauf nicht mehr verzichten, wie Zahlen einer neuen Erhebung zeigen. Unser Selbsttest* zeigt, ob du dir Sorgen machen müssest. Wenn du acht der folgenden Fragen mit Ja beantwortest, besteht das Risiko, dass du durch Handynutzung zu stark beeinflusst oder vereinnahmt wirst.
- Ich verbringe oft mehr Zeit am Handy, als ich eigentlich will.
- Wenn ich das Handy nicht dabeihabe, fehlt es mir.
- Wichtige Menschen in meinem Umfeld beschweren sich, dass ich zu viel Zeit am Handy verbringe.
- Wegen meiner Handynutzung unternehme ich weniger mit anderen Menschen als auch schon.
- Ich habe schon mehrmals vergeblich versucht, weniger Zeit am Handy zu verbringen.
- Meine Leistungen in Schule oder Beruf leiden unter meiner Handynutzung.
- Wenn ich traurig, einsam, wütend oder gereizt bin, mache ich etwas am Handy, um mich abzulenken.
- Ich vernachlässige oft meine Pflichten, um mehr Zeit am Handy verbringen zu können.
- Wenn ich längere Zeit nicht aufs Handy schauen kann, werde ich unruhig und nervös.
- Ich muss immer häufiger oder länger am Handy sein, um mich wieder gut oder entspannt zu fühlen.
- Es fällt mir schwer, anderen ehrlich zu sagen, wie viel Zeit ich am Handy verbringe.
Achtung: Selbsttests geben nur Hinweise. Ob jemand süchtig ist oder nicht, kann nicht ausschliesslich mit diesem Test beurteilt werden. Im Gespräch mit einer Ärztin oder einem Psychologen können eine Diagnose gestellt und mögliche Wege für das weitere Vorgehen aufgezeigt werden.
So befreist du dich aus den Fängen des Handys
- Führe dir den «Schaden» klar vor Augen! Messe, wie lange du am Telefon bist. Entweder mit der Stoppuhr oder einfacher mit elektronischer Hilfe, etwa «Bildschirmzeit».
- Keine Farben, nur noch grau: Mache das Handy langweilig. Du kannst bei den Telefoneinstellungen alle Farben entfernen. Surfen ist dann weniger aufregend, die Fotos vom Poser auf Facebook nicht mehr so attraktiv und der Foodporn nicht mehr so beneidenswert. Alles wird langweiliger, so kommst du weniger in Versuchung. So gehts beim iPhone: Einstellungen/Allgemein/Bedienungshilfen/Display-Anpassungen/ Farbfilter «Ein».
- Schaffe handyfreie Zeiten: In der Nacht das Handy nicht ins Schlafzimmer mitnehmen – falls nötig, kaufe dir einen Wecker. Beim Essen das Handy auf stumm stellen. Das Gleiche gilt auch auf Spaziergängen und Wanderungen. Lasse das Handy auch einfach mal zu Hause.
- Das Handy mal extra für eine Stunde abschalten. Damit du wieder merkst, dass die Welt ohne Handy keineswegs untergeht.
- News gibt es auch am Kiosk: meist sogar gut recherchierte und journalistisch hochwertige Artikel.
*Quelle: Suchtprävention im Kanton Zürich in Zusammenarbeit mit Franz Eidenbenz.