Experte räumt mit Mythen auf
Abnehmspritze: Die grössten Irrtümer

Ist der Wirkstoff Semaglutid vielleicht krebserregend? Wie zulässig ist der Off-Label-Gebrauch? Und spritzten sich in den USA wirklich fast alle schlank? Dr. David Infanger (59), Spezialist für Übergewicht, weiss es.
Publiziert: 05.06.2024 um 12:40 Uhr
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Aktualisiert: 06.06.2024 um 11:30 Uhr
Gemäss BAG sind in der Schweiz 43 Prozent der erwachsenen Bevölkerung übergewichtig oder adipös. Dementsprechend gross ist das Interesse an einer Behandlung mit dem Wirkstoff Semaglutid.
Foto: Getty Images
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Jonas DreyfusService-Team

Seit der Lancierung von Viagra im Jahr 1998 haben keine Medikamente mehr für so viel Aufmerksamkeit gesorgt wie Ozempic und Wegovy – bekannt als Abnehmspritze. Ozempic ist für Diabetiker in der Schweiz schon länger zugelassen. Wegovy – das Pendant für Übergewichtige – seit Mitte 2022.

Was oft vergessen geht: Der Wirkstoff Semaglutid, den beide Medikamente enthalten, ist kein Wunder-, sondern ein Hilfsmittel. Auch sonst ranken sich zahlreiche Mythen um Behandlung und Wirkung. Dr. David Infanger (59), Leiter des Adipositas- und Stoffwechselzentrums in Zürich, klärt auf.

Irrtum 1: Wer die Medikamente nimmt, verliert ausschliesslich Fett

Leider baut der Körper bei jeder Gewichtsabnahme neben Fett auch Muskelmasse ab. Das gilt gemäss Infanger auch unter Einfluss von Semaglutid und ist einer der Gründe dafür, sich den Wirkstoff im Rahmen eines Programms für Übergewichtige zu verabreichen und nicht in Eigenregie. Zu einem Programm gehört neben medizinischer Begleitung eine Ernährungs- und Fitness- respektive Krafttrainingsberatung. Wer sich während der Behandlung nicht genügend bewege und zu wenig Eiweiss zu sich nehme, der könne pro Kilo Fett ein Kilo Muskelmasse verlieren. «Erstrebenswert ist ein Abbau von 75 bis 80 Prozent Fett und maximal 20 bis 25 Prozent Muskelmasse.»

Wegovy ist für übergewichtige Nichtdiabetiker gedacht und wird mithilfe eines Pens injiziert.
Foto: IMAGO/NTB

Irrtum 2: Die Medikamente stehen in Verdacht, krebserregend zu sein

Bisher habe noch keine Studie belegen können, dass das der Fall sei, sagt Infanger. «Aber schweres Übergewicht begünstigt die Bildung von dreizehn unterschiedlichen Krebsarten.» Während der Behandlung können sich Gallensteine bilden, was jedoch mit der raschen Gewichtsabnahme zu tun habe und nicht mit dem Medikament. Auch die Gefahr eines erhöhten Risikos für eine Bauchspeicheldrüsenentzündung sei untersucht worden. Das Verhältnis zwischen Probanden, die ein Placebo, und denen, die den Wirkstoff erhielten, war ausgeglichen.

Irrtum 3: Im Ausland sind die Medikamente leichter erhältlich

In den meisten Ländern mit Zulassung ist die Verabreichung der Medikamente gemäss Infanger wie bei uns an einen bestimmten BMI und an ein Adipositas-Programm gebunden. Das gelte auch für die USA, wo die Medikamente oft teurer seien als bei uns. Weil in den USA drei Viertel der Bevölkerung übergewichtig und ein Grossteil von ihnen schlecht versichert ist, sei der Off-Label-Gebrauch relativ hoch. «Das führt vermehrt zu Komplikationen – auch aufgrund gefälschter Produkte.»

Irrtum 4: Der Off-Label-Gebrauch ist ein Graubereich

Der Off-Label-Gebrauch, bei dem man die Medikamente selbst bezahlt, sei in der Schweiz verbreitet, sagt Infanger. «Wenn eine Ärztin oder ein Arzt die Medikamente verschreibt, ist das zulässig.» Er rät dringend davon ab, sie an Orten zu kaufen, an denen kein Rezept verlangt wird. 

Er erhält 100 Mails pro Tag

Dr. med. David Infanger beschäftigt sich seit 1996 mit der Thematik Übergewicht und Übergewichtschirurgie und leitet seit 2014 das Adipositas- und Stoffwechselzentrum Zürich. Pro Tag erhält Infanger im Moment rund 100 E-Mails. Ein Grossteil davon stehen in Zusammenhang mit Semaglutid. Infanger führt Programme durch, während denen Patienten mit dem Wirkstoff behandelt und medizinisch begleitet werden. Er hat an der Universität Zürich studiert, an der Uni Bern promoviert, lebt im Kanton Schwyz, ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

Dr. med. David Infanger beschäftigt sich seit 1996 mit der Thematik Übergewicht und Übergewichtschirurgie und leitet seit 2014 das Adipositas- und Stoffwechselzentrum Zürich. Pro Tag erhält Infanger im Moment rund 100 E-Mails. Ein Grossteil davon stehen in Zusammenhang mit Semaglutid. Infanger führt Programme durch, während denen Patienten mit dem Wirkstoff behandelt und medizinisch begleitet werden. Er hat an der Universität Zürich studiert, an der Uni Bern promoviert, lebt im Kanton Schwyz, ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

Irrtum 5: Übergewichtige schnappen Diabetikern die Medikamente weg

Der Engpass für Ozempic, der sich bei den Medikamenten während der Pandemie entwickelte, sei überwunden, sagt Infanger. Diabetiker müssten nicht mehr auf ein Medikament warten, das sie unbedingt brauchen. Mit Wegovy sei zudem ein Medikament auf dem Markt, dass sich explizit an Übergewichtige richtet und deshalb auch in höheren Dosen erhältlich sei als Ozempic. Wenn Ärzte weiterhin Ozempic für Nichtdiabetiker verschreiben, könne es jedoch zu einem neuen Engpass kommen. «Ärzte, die das tun, handeln aus meiner Sicht unethisch.»

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