Musik zu hören, anstatt sich eine Spritze zu setzen – für Diabetiker würde das eine massive Steigerung der Lebensqualität bedeuten. Professor Martin Fussenegger (55) vom Departement Biosysteme der ETH Zürich in Basel hat diese Methode – die Laien durchaus zum Schmunzeln anregt – mit einem Team erfolgreich an Mäusen getestet.
Die Forscher bauten eine Insulin produzierende, menschliche Zelle nach dem Vorbild eines bestimmten Proteins so um, dass sie für Schallwellen empfänglich wurde. Die sogenannte Designerzelle implantierten sie in Mäuse, die sie mit unterschiedlichen Musikstilen und Songs beschallten. Der Blutzuckerspiegel der Nager sank sofort. Als besonders effektiv erwies sich der Song «We will rock you» von Queen.
Forschungsleiter Fussenegger beantwortet gegenüber Blick drängende Fragen und erklärt, warum die Methode auch zur Bekämpfung anderer Krankheiten eingesetzt werden könnte.
Wie werden die Designerzellen implantiert?
Die Zellen werden gemäss Fussenegger mit Algen-Gelatine verkapselt. Die Kapseln haben einen Durchmesser von einem halben Millimeter und erinnern an Kaviar. Eine Fachperson kann sie in einem ambulanten Setting mithilfe einer Kanüle am Oberarm oder Oberschenkel unter die Haut spritzen, wo sie aufgrund ihrer klebrigen Konsistenz bleiben würde. 200 Stück bräuchte es pro Person. Mindestens einmal pro Jahr müssten die Kapseln ersetzt werden.
Warum funktioniert «We will Rock you» am besten?
Damit die Designerzellen Insulin ausschütten, müssen sie mit einer Tiefbassfrequenz beschallt werden. Der Bass muss mindestens drei Sekunden anhalten und darf höchstens fünf Sekunden pausieren. «We will Rock you» von Queen, veröffentlicht im Jahr 1977, entspreche diesen Anforderungen am besten, sagt Fussenegger.
Was, wenn ich als Diabetiker Queen nicht ausstehen kann?
Falls sich ein Pharmaunternehmen für die Methode interessiert und sie eines Tages zum Einsatz kommt, könnten Diabetiker – so prophezeit es Fussenegger – ihre Lieblingssongs einem Test unterziehen lassen. Das wäre zwar mit Kosten verbunden, aber längerfristiger immer noch günstiger als eine Behandlung mit Spritzen. Neben «We will rock you» wurden in Basel unter anderem Songs von Michael Jackson getestet. «Heal the World» funktionierte besser als «Billie Jean». «She loves you» von den Beatles schnitt weniger gut ab. Gar nicht funktionierte gemäss Fussenegger klassische Musik. Klassikfans könnten sich statt Musik einen Film ansehen. Zu Beispiel «The Avengers», dessen Soundtrack beim Test ähnlich gut abschnitt wie die Songs von Queen.
Martin Fussenegger kam 1968 in Basel zur Welt, wo er nach der Schule Molekularbiologie und Genetik studierte. Nach Stationen in Tübingen und Berlin habilitiert er im Jahr 2000 an der ETH Zürich. 2009 baute Fussenegger das ETH Departement Biosysteme der ETH Zürich auf und übernahm dessen Leitung.
Martin Fussenegger kam 1968 in Basel zur Welt, wo er nach der Schule Molekularbiologie und Genetik studierte. Nach Stationen in Tübingen und Berlin habilitiert er im Jahr 2000 an der ETH Zürich. 2009 baute Fussenegger das ETH Departement Biosysteme der ETH Zürich auf und übernahm dessen Leitung.
Kein Stress mit Spritzen mehr, dafür einen Hörschaden. Lohnt sich das?
Fürs Gehör bestehe keine Gefahr, sagt Fussenegger. Lautstärken um 60 Dezibel und Bassfrequenzen von 50 Hertz triggern die Zellen am effektivsten. Das sei etwas mehr als Zimmerlautstärke. «Aber nicht so laut, dass die Nachbarn die Polizei rufen.» Damit die Zellen Insulin ausschütten, müsste man sich laut Fussenegger im Abstand von einigen Metern auf einem Stuhl vor eine Boxe setzen und die Schallwellen gleichmässig auf den Körper treffen lassen. Das habe den Vorteil, dass die Zellen nicht von Verkehrslärm oder ähnlichem aktiviert werden können, ohne dass man das wolle.
Welche Möglichkeiten bietet die Methode aus medizinischer Sicht?
Die Methode funktioniere nicht nur bei Insulin, sagt Fussenegger, sondern grundsätzlich mit jedem therapeutisch nutzbaren Protein. Das könnten zum Beispiel Antikörper sein gegen Krebszellen oder Proteine gegen Bluthochdruck. «Man hat hier eigentlich keine Limitierung.» Getestet hat Fussenegger die Methode für Diabetes, weil die Krankheit weit verbreitet ist und auf einem dynamischen und komplexeren System basiert. «Wenn man es schafft, das zu kontrollieren, gelingt es auch anderswo.» Speziell am Testbereich Diabetes sei, dass dem Körper die Funktion zurückgegeben werde, Insulin selbst zu produzieren. «Das kann durchaus als Heilung betrachtet werden.»