Unsichtbare Gefahr
Wenn die Gene schuld sind am hohen Cholesterinspiegel

Manche Menschen haben trotz gesundem Lebensstil sehr hohe Cholesterinwerte. Experten erklären, was die genetische Veranlagung damit zu tun hat und wie man dem Risiko für Herzkrankheiten vorbeugt.
Publiziert: 30.12.2023 um 20:00 Uhr
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Aktualisiert: 17.01.2024 um 17:11 Uhr
Stechende Schmerzen in der Brust können auf einen Herzinfarkt hindeuten.
Foto: Getty Images
Frederik Jötten
Beobachter

Urs Müller war allein mitten im Wald, als ihn die Krankheit ereilte, von der er bis dahin nichts ahnte. Der damals 47-Jährige joggte, als er plötzlich spürte, dass er keine Kraft mehr hatte, um weiterzulaufen. Es folgten stechende Schmerzen in der Brust, Atemnot. Mit letzter Kraft konnte er sich zu einer Strasse schleppen. Passanten riefen den Notarzt.

Müller, der in Wirklichkeit anders heisst, hatte einen Herzinfarkt. Im Spital öffneten Ärzte ein komplett verschlossenes Herzkranzgefäss mit einem Ballonkatheter. «Nie hätte ich gedacht, dass mir das in meinem Alter passiert», erzählt er. «Ich war schlank, ernährte mich gesund, machte viel Sport, habe nie geraucht.»

Gutes und schlechtes Cholesterin

Schuld war das Cholesterin, eigentlich eine wichtige Substanz im Körper. In jeder Zelle ist es vorhanden und Grundsubstanz für verschiedene Hormone, etwa Testosteron und Östrogen. Probleme kann es allerdings in den Gefässen machen. Es lagert sich ab, verengt diese, was insbesondere bei den sehr feinen Arterien, die den Herzmuskel versorgen, zu Problemen führen kann.

Cholesterin wird in zwei Formen im Blut transportiert. Das HDL («high-density lipoprotein») befördert es in die Leber, wo es abgebaut wird. Weil es überschüssiges Cholesterin entfernt, ist es als «gutes Cholesterin» bekannt (Eselsbrücke HDL: «Hab dich lieb»). «Wer viel HDL im Blut hat, hat ein niedrigeres Risiko als die Normalbevölkerung», sagt Nicolas Rodondi, Chefarzt der Poliklinik und Lipidsprechstunde am Inselspital und Professor der Uni Bern. Dagegen bringt LDL («low-density lipoprotein») Cholesterin aus der Leber in den Körper, es gilt deshalb umgangssprachlich als «schlechtes Cholesterin» (Eselsbrücke LDL: «Lass das lieber»). «Ein hoher LDL-Wert erhöht das Risiko für Herzkrankheiten und Schlaganfall», sagt Rodondi.

Was hat Cholesterin mit dem Essen zu tun?

Mehrere grosse Studien haben gezeigt, dass eine Aufnahme von viel Cholesterin über die Nahrung nicht bedeutet, dass man auch viel davon im Blut hat. Denn das Molekül wird vom Körper selbst in der Leber gebildet.

Zwar haben Europäer und US-Amerikaner, die viele Eier essen, ein höheres Risiko für Herzerkrankungen als solche, die weniger Eier zu sich nehmen. Doch in Asien gilt dieser Zusammenhang nicht. Das spricht dafür, dass in Europa und in den USA viele Menschen Eier essen, die einen insgesamt ungesünderen Lebensstil pflegen. Allein die Zubereitung der Eier macht einen Unterschied: Werden sie gebraten oder gar mit Speck gegessen, nimmt man deutlich mehr Fett auf.

So hat die Ernährung letztlich doch einen Einfluss auf das Cholesterin im Blut – und zwar über die Menge an gesättigten Fetten, die man zu sich nimmt. Diese sind etwa in rotem Fleisch, Geflügel mit Haut, Wurstwaren, Butter, Käse oder Palmöl enthalten. Wer die Aufnahme solcher Nahrungsmittel reduziert, kann durch diese Ernährungsumstellung auch seinen Cholesterinwert senken.

Mehrere grosse Studien haben gezeigt, dass eine Aufnahme von viel Cholesterin über die Nahrung nicht bedeutet, dass man auch viel davon im Blut hat. Denn das Molekül wird vom Körper selbst in der Leber gebildet.

Zwar haben Europäer und US-Amerikaner, die viele Eier essen, ein höheres Risiko für Herzerkrankungen als solche, die weniger Eier zu sich nehmen. Doch in Asien gilt dieser Zusammenhang nicht. Das spricht dafür, dass in Europa und in den USA viele Menschen Eier essen, die einen insgesamt ungesünderen Lebensstil pflegen. Allein die Zubereitung der Eier macht einen Unterschied: Werden sie gebraten oder gar mit Speck gegessen, nimmt man deutlich mehr Fett auf.

So hat die Ernährung letztlich doch einen Einfluss auf das Cholesterin im Blut – und zwar über die Menge an gesättigten Fetten, die man zu sich nimmt. Diese sind etwa in rotem Fleisch, Geflügel mit Haut, Wurstwaren, Butter, Käse oder Palmöl enthalten. Wer die Aufnahme solcher Nahrungsmittel reduziert, kann durch diese Ernährungsumstellung auch seinen Cholesterinwert senken.

Bei Urs Müller war ebendieser LDL-Wert stark erhöht – wie konnte das sein, trotz seines gesunden Lebensstils? «Durch den Lebensstil lässt sich das schlechte Cholesterin häufig nur um 5 bis 10 Prozent verringern», sagt Rodondi, der auch in der Schweizerischen Herzstiftung in der Kommission Aufklärung und Prävention sitzt. «Wenn die Ernährung zuvor sehr schlecht war, liegt auch eine grössere Reduktion drin.»

Mit anderen Worten: Es gibt Menschen, deren hohe LDL-Werte genetisch bedingt sind. Man spricht von familiärer Hypercholesterinämie (FHC). Ein Gen für einen Rezeptor ist defekt, der LDL in der Leber aus dem Blut entnimmt. «Einer von 200 Schweizern hat wahrscheinlich ein solches Gen», sagt David Nanchen, Professor an der Abteilung für Gesundheitsförderung und Prävention der Universität Lausanne. «Die meisten wissen davon nichts.» Nur 15 Prozent der Betroffenen sind über die Gefahr informiert. David Nanchen untersucht in einer Studie, wie sich das ändern lässt.

Wenn in der Familie ein Risiko für Herzkrankheiten besteht, sind Check-ups ab 20 Jahren gemäss Experten sinnvoll.
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Gut verträgliche Medikamente

«Dieses Gen erbt man ja von Vater oder Mutter», sagt er. «Und wenn man Kinder hat, gibt man es mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent an diese weiter.» In einer Studie untersuchten die Wissenschaftler 160 Menschen, die eines der drei bekannten Gene für familiäre Hypercholesterinämie hatten – und sie fanden immer mindestens ein anderes Familienmitglied, das ebenfalls betroffen war. «Das ist deshalb wichtig, weil diese Menschen ein hohes Risiko für Herzkrankheiten und Schlaganfall haben», sagt Nanchen. «Und wenn man das weiss, dann kann man sehr effektiv vorbeugen.»

Denn um das LDL-Cholesterin zu senken, stehen verschiedene Medikamente zur Verfügung. Statine – oder für Menschen, die diese nicht vertragen, auch die sogenannten PCSK9-Hemmer, die gespritzt werden – senken die LDL-Werte massiv. «Diese Arzneimittel sorgen allesamt dafür, dass in der Leber mehr Rezeptoren für LDL vorhanden sind und somit mehr LDL aus dem Blut genommen wird», erklärt Nanchen. «Bei genetisch bedingten zu hohen Cholesterinwerten sollte man frühzeitig Medikamente einnehmen.»

Doch woher soll man wissen, ob man betroffen ist? Der erste Schritt ist, seinen LDL-Wert beim Hausarzt bestimmen zu lassen. «Ab 40 ist das für jeden empfohlen», sagt David Nanchen. «Wenn allerdings in der Familie Herzkrankheiten bei unter 60-Jährigen aufgetreten sind, sollte man schon ab 20 Jahren den Cholesterinwert überprüfen lassen.» Liegt der LDL-Wert über 3,5 Millimol pro Liter (mmol/l), gilt er als erhöht. Bei einer erblich bedingten Hypercholesterinämie liegt er über 5.

Artikel aus dem «Beobachter»

Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.

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Je tiefer der Wert, desto besser

Bei Urs Müller lag er bei 6 mmol/l. Seit seinem Herzinfarkt nimmt er ein Statin ein – seitdem ist sein LDL-Wert knapp unter 3 mmol/l gesunken. Bald steht die nächste Kontrolle an, dann wird entschieden, ob er noch ein zusätzliches Medikament bekommt. «Menschen, die bereits eine Herzkrankheit haben, sollten einen tieferen Wert anstreben als Gesunde und dafür gegebenenfalls auch mehrere Medikamente nehmen», sagt Nanchen. «Je tiefer, desto besser sind die Aussichten für ein langes, gesundes Leben.»

Mit der richtigen Ernährung kann man das Risiko für einen Herzinfarkt massiv reduzieren.
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Gentests können hilfreich sein

Ein Gentest wurde bei Urs Müller nicht gemacht – er wird von der Krankenversicherung nicht bezahlt. Für seine Behandlung macht das keinen Unterschied, und Müller hat keine Kinder. Aber viele, die jung eine Herzkrankheit entwickeln, denken nicht daran, dass Nachkommen oder andere Blutsverwandte gefährdet sein könnten. David Nanchen konnte in seiner Studie bislang 160 gefährdete Personen identifizieren. «Wir hoffen, dass wir mit unserer Studie das Bundesamt für Gesundheit überzeugen können, dass Gentest und Familien-Screening künftig übernommen werden», sagt er.

Nur 0,5 Prozent der Schweizer haben eine familiäre Hypercholesterinämie – während ein Drittel erhöhte Cholesterinwerte hat. Für alle gilt: Den Lebensstil zu ändern, reduziert das Risiko für Herzkrankheiten. «Mediterrane Ernährung senkt den LDL-Spiegel zwar häufig nur 5 bis 10 Prozent», sagt Nicolas Rodondi. «Aber das Risiko für einen Herzinfarkt kann dadurch sogar um ein Drittel reduziert werden.»

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