Radelt man durch Innenstädte, könnte man streckenweise meinen, es hätte nie eine Pandemie gegeben. Freudig prosten sich Menschen auf Terrassen zu, die endlich wieder etwas trinken dürfen – und die Gastronomen freuts. Sie haben wieder Gäste, die mit einem Apéro anstossen können.
Dabei haben wir vorher schon ziemlich gegügelet. Unterschiedliche Studien besagen, der Alkoholkonsum sei während der Pandemie gestiegen. Internationale Studien wie der «Global Drug Survey», in den auch Zahlen aus der Schweiz einfliessen, sind mit knapp 60'000 Befragten jedoch widersprüchlich: Der Alkoholkonsum habe während der Pandemie deutlich zugenommen. Mehr als jeder Dritte soll häufiger und mehr getrunken haben als normal. In der Schweiz geht das Bundesamt für Gesundheit gemäss der Erhebung «Schweizer Suchtpanorama» davon aus, dass insbesondere Menschen mit problematischem Konsum während der Pandemie noch mehr getrunken haben als sonst. Gesamtgesellschaftlich sei der Konsum etwa gleich geblieben.
Schlimm, denkt man aus heutiger Warte, da wir alle über das Suchtpotenzial und die gesundheitlichen Gefahren des regelmässigen Alkoholkonsums Bescheid wissen: Von Leberzirrhose und Krebs über Bauchspeicheldrüsenerkrankungen und Magenschleimhautentzündungen bis zur Schrumpfung des Hirns kann Alkoholmissbrauch rund sechzig verschiedene Krankheiten verursachen.
Täglicher Alkoholkonsum – früher ganz normal
Unsere etwas entfernteren Vorfahren hätten bei dieser Auflistung kurz aufgelacht oder schlicht mit der Schulter gezuckt – und sich dann wieder ihrem Früh- oder Spätschoppen zugewendet. Sie haben täglich Alkohol getrunken. Und zwar zum Zmorge, zum Zmittag und zum Znacht. Denn der Mensch ist sozusagen mit dem Alkohol sesshaft geworden – und hätte ohne ihn nicht überlebt. Allerdings muss man an dieser Stelle auch sagen: Die Lebenserwartung war kürzer – unter vielem anderem auch deshalb, weil das konstante Nonstop-Gügelen wohl seinen Tribut forderte.
Auch Tiere sind einem kleinen – oder grossen – Schwips nicht abgeneigt
Doch wir müssen von vorn anfangen, um der Verschränkung von Alkohol als Lebensgarant und gleichzeitig als Todesursache gerecht werden zu können: bei der Sesshaftwerdung des Menschen und beim Beginn des Ackerbaus. Solange man als Jäger und Sammler unterwegs war, war es nämlich gar nicht so einfach, an genügend Wildbeeren oder Wildfrüchte zu kommen, um sie vergären zu lassen. Alkohol war deshalb ein rares Gut – etwa wenn man viel Honig gefunden hatte und einigen übrig hatte, um ihn zu vergären. Oder wenn man späte, schon am Strauch angegorene Beeren gefunden hatte – was aber wohl selten bis nie der Fall war.
Trotzdem müssen schon frühe Menschen den Rausch gekannt haben. Die Gene zum Alkoholabbau finden sich teilweise auch im Tierreich, was den Rückschluss zulässt, dass wir uns, evolutionär gesehen, oftmals torkelnd weiterentwickelt haben.
Stichwort Tierreich: Viele Tierarten sagen nicht Nein zu einem gepflegten Rausch. Je weniger Fressfeinde Tiere haben, also je höher sie entwickelt sind, desto eher können sie sich auch einen Totalabsturz leisten. Das Internet ist deshalb auch voll mit Videos mit sturzbetrunkenen Affen und torkelnden Elefanten.
Wasser war früher oft tödlich
Doch zurück zum Menschen: Der musste sich seinen regelmässigeren Rausch durch harte Arbeit verdienen. Erst mit Beginn des Ackerbaus war regelmässig genug Korn vorhanden, um es in ernsthaften Mengen vergären zu können. Dann war das so gewonnene Bier aber auch dringend nötig. Denn Wasservorräte waren oft stark verschmutzt. Bei der Herstellung von Alkohol sterben diverse der schädlichen Bakterien ab.
Dass Bier schon vor Tausenden von Jahren das Getränk der Wahl sein musste, zeigt auch Folgendes: Die Bibel wie auch die antiken griechischen Überlieferungen nennen fast nie Wasser als Getränk, ausser wenn es sich um Quellwasser aus den Bergen handelt. Auch der griechische Arzt Hippokrates (460 bis 370 vor Christus) handelt an einer Stelle Wasser als Getränk ab. Es sei dann unbedenklich, wenn es aus Quellen oder tiefen Brunnen komme oder als Regenwasser gesammelt wurde. Und diese ausdrückliche Erwähnung, wann Wasser sicher sei, ist ein Hinweis darauf, dass im Allgemeinen Wasser als Durstlöscher geradezu gefährlich war. Epidemien mit vielen Toten wie Ruhr oder Cholera waren die Folge, wenn Menschen ihren Durst trotzdem mit Wasser löschten.
Europa lag im Dauersuff, die Asiaten machtens schlauer
Die Menschen tranken deshalb wohl mindestens seit der Zeit der Sumerer im siebten vorchristlichen Jahrtausend fast ausschliesslich Vergorenes, wenn sie konnten. Allerdings war der Alkoholgehalt dieser Getränke relativ gering. Trotzdem: Über Tausende von Jahren war wohl eine konstant leicht bis ziemlich bedröppelte Gesellschaft der Normalzustand – zumindest im europäischen und nahöstlichen Raum. Die frühen Hochkulturen im asiatischen Raum haben hingegen schon vor Tausenden von Jahren begriffen, dass Wasser abzukochen auch eine Möglichkeit ist.
Sie mussten. Vielen Asiaten fehlt ein Gen, das für den Abbau von Alkohol verantwortlich ist – sie leiden nach Alkoholkonsum viel schneller und viel länger an einer Vergiftung als Europäer. Gemäss Evolutionsbiologen der Akademie für Wissenschaften in Peking soll dies mit dem Reisanbau zu tun haben. Vor 7000 bis 10'000 Jahren sollen die Chinesen Reis fermentiert haben, um ihn haltbarer zu machen. Wer den stark alkoholhaltigen Reis (stärker als das europäische Bier) nicht vertrug, ersparte sich langfristig Organschäden, lebte länger und gab diese Genmutation an den Nachwuchs weiter. Vielleicht liegt darin auch der Grund, weshalb schon vor rund 6000 Jahren in China eine Hochkultur entstand, während wir uns noch, überliefert gesagt, jahrhundertelang die Keulen über die Schädel zogen: Der asiatische Raum torkelte eben kaum je kollektiv über Tausende von Jahren im Halbrausch herum.
Alkohol war über Jahrtausende das beste Schmerzmittel der Menschheit
Auch unsere alten Schwipsbrüder wussten – trotz vorhandenem Gen – um die Gefährlichkeit des übermässigen Alkoholkonsums. Bereits das Alte Testament warnt mehrfach vor Trunkenheit. Die Vorfahren wussten aber auch schon um die medizinischen Vorteile des Gebräus. Bis im 16. Jahrhundert Paracelsus Mohnsaft (mit darin enthaltenem Opium) anpries und 1897 der deutsche Chemiker Felix Hoffmann Aspirin synthetisierte, war Alkohol neben einem Sud aus Weiderinde das einzige Schmerzmittel, das die Menschheit kannte.
Schon im Alten Testament steht bei Salomon: «Gebt starkes Getränk denen, die am Umkommen sind, und Wein den betrübten Seelen, dass sie trinken und ihres Elends vergessen und ihres Unglücks nicht mehr gedenken» (31, Vers 6 bis 7). Dass Alkohol nicht nur ein Schmerzmittel ist für körperlichen, sondern auch für emotionalen Schmerz – wenn auch nur kurzfristig –, ist im Übrigen bis heute einer der Gründe, weshalb Alkohol so suchterzeugend sein kann.
Erst mit der Industrialisierung wurde Alkohol zum grösseren Problem
Und dass er seit rund hundert Jahren in konzentrierteren Mengen als je zuvor konsumiert werden kann. Schwaches, aus Korn fermentiertes Bier war aus ökonomischen Gründen lange Zeit das Hauptgetränk der breiten Masse, während der Obstanbau teurer war. Der im Alkoholgehalt stärkere Wein war also der Oberschicht vorbehalten – und die Weinherstellung oblag oftmals reichen Klöstern. Wundern tut einen das nicht, hat ja sogar schon Jesus der Legende nach Wasser in Wein verwandelt.
Problematisch wurde der Alkoholkonsum in breiten Bevölkerungskreisen erst mit einer neuen Produktionsmethode. Während bei der Alkoholherstellung durch Hefepilze je nach Hefeart von fünf bis maximal 23 Volumenprozent (wie beim Reis) Schluss ist, weil dann die Hefepilze absterben, liess die Industrialisierung plötzlich das Destillieren und somit das Brennen von Schnaps in grossen Mengen zu. Und dass billigerer Schnaps zu einem Anstieg von Suchterkrankungen führt – geschenkt.
Beim nächsten Apéro auf einer frisch geöffneten Terrasse sollte also der Gesundheit zuliebe gelten: Finger weg von Aperol Spritz, Gin Tonic oder anderem Hochprozentigem – und her mit einer guten alten Stange Bier.
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