Science-Fiction 2023
Jetzt ist Zukunft

Game, Film, Serie: Gleich mehrere Produktionen aus der Vergangenheit spielen im Jahr 2023. Was macht dieses Jahr so zukunftsträchtig? Und wie genau sahen die Regisseure und Game-Entwickler unsere Gegenwart voraus?
Publiziert: 29.01.2023 um 15:24 Uhr
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Aktualisiert: 30.01.2023 um 11:23 Uhr
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Die Comicverfilmung «X-Men: Days of Future Past» (2014) spielt im Jahr 2023.
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Heute war Gestern mehr Morgen: 2023 war in der Vergangenheit häufiger als andere Jahre eine Projektionsfläche für Science-Fiction in verschiedenen Kultursparten. Denn sowohl die Spielfilme «The Purge: Anarchy» (2014) und «X-Men: Days of Future Past» (2014) als auch die TV-Serie «WandaVision» (2021) und das Computerspiel «Crysis 2» (2011) spielen in diesem Jahr, das wir gerade durchleben.

Manch ein Jahr dient in irgendeinem Film oder Buch der vorangehenden Zeit als Zukunftsvision. So ist 2019 das Handlungsjahr für Ridley Scotts (85) Film «Blade Runner» (1982). Und die im Jahr 2001 angelegte Haupthandlung des Romans «2001: Space Odyssey» (1968) von Arthur C. Clarke (1917–2008) – kongenial verfilmt von Stanley Kubrick (1928–1999) – zeigt, wie Astronaut Bowman eine Odyssee im Weltraum erlebt.

Am 21. März 2023 gibt es eine «Säuberungsnacht»

Das wohl berühmteste Beispiel ist aber der Roman «1984», den der englische Schriftsteller George Orwell (1903–1950) im Jahr 1948 schrieb und für den er im Buchtitel einfach die letzten beiden Ziffern des Entstehungsjahrs vertauschte. Die Dystopie eines totalen Überwachungsstaats ist seither sprichwörtlich: «Big Brother is watching you» – der grosse Bruder sieht dich.

Vom Schauen zum Verhauen: In den Zukunftsvorstellungen für das aktuelle Jahr geht es handfester zu und her. Etwa im Thriller «The Purge: Anarchy»: Es ist Dienstag, 21. März 2023, kurz vor der «Säuberungsnacht» – in Amerika sind von 19 Uhr bis 6 Uhr morgens alle Notrufsysteme ausser Betrieb und sämtliche Verbrechen inklusive Mord legal, um die Kriminalitätsrate und Arbeitslosenzahl tief zu halten. Anarchie pur!

Nicht mehr Lebewesen aus Fleisch und Blut, sondern bereits wandlungsfähige Roboter mit Superkräften – sogenannte Sentinels – machen in der Comicverfilmung «X-Men: Days of Future Past» (X-Men: Zukunft ist Vergangenheit) Jagd auf Mutanten und Menschen, die denen helfen wollen. Die X-Men stellen sich den Sentinels entgegen, denn wer nicht tot ist, der wird versklavt – und das im Jahr 2023.

Gleiche Zeiteinstellung, andere Vorstellung: Im vierten Teil der US-amerikanischen TV-Serie «WandaVision» kehrt Weltraumagentin Monica Rambeau auf die Erde zurück. Hier erhält sie den Auftrag, einen Vermisstenfall in der Stadt Westview aufzuklären. Doch nichts dringt in die Stadt, nichts kommt raus. Da lässt Rambeau eine Kameradrohne über das Gebiet fliegen – worauf zuerst die Drohne in einem seltsamen Energiefeld verschwindet, danach die Agentin selber.

Je ferner zeitlich, umso realitätsnaher

Ziemlich abgehobene und abgefahrene Visionen aus der Vergangenheit, die nichts mit der heutigen Wirklichkeit zu tun haben. Oder nahm «The Purge: Anarchy» den anarchistischen Aufmarsch der Bolsonaro-Anhänger in Brasilia vorweg? Thematisierten «X-Men» die aktuelle Diskussion um künstliche Intelligenz? Und warnte «WandaVision» vor den Gefahren der 5G-Technologie? Wohl kaum.

Es ist auch nicht anzunehmen, dass die Macher beabsichtigten, mit ihren Werken heutige Wirklichkeiten abzubilden. Wenn sie das gewollt hätten, wäre das sicher genauer möglich gewesen, denn all diese Zukunftsvisionen sind keine zehn Jahre alt. Und in dieser Zeitspanne wäre absehbar, was im Jahr 2023 real sein könnte – sicher keine Menschen jagenden Roboter oder auf die Erde zurückkehrende Weltraumagentinnen.

Es scheint fast so, als sei die Realitätsnähe umso grösser, je weiter Entstehung und Inhalt von Science-Fiction zeitlich auseinanderliegen. So vergingen zwischen dem Schreiben und dem Beschriebenen von Orwells «1984» satte 36 Jahre – und Mitte der 80er-Jahre rieb man sich die Augen, was alles eingetroffen war. Spätestens 1990 mit dem Fichenskandal in der Schweiz und dem NSA-Skandal in den USA 2013 war der von Orwell beschriebene Überwachungsstaat real.

So wirkt auch hier das älteste Werk, das 2023 thematisiert, am realistischsten: das zwölf Jahre alte Computerspiel «Crysis 2». Zwar ist die Invasion der Aliens (Ceph) mehr Fantasy als Science-Fiction, aber das Setting ist beängstigend wahr: 2023 steht die Menschheit nach einer Vielzahl an Klimakatastrophen am Rand des Zusammenbruchs. Nachdem man im finalen Level die Welt vor einer Invasion der Aliens gerettet hat, endet das Spiel mit dem Satz: «Man nennt mich Prophet.»

«23 Skidoo» brachte alles ins Rollen

Was machte 2023 in der Vergangenheit so anziehend für derart düstere Vorstellungen kommender Zeiten? Es liegt wohl an der Primzahl 23, die im menschlichen Leben eine zentrale Bedeutung hat: So tragen Samen und Ei je 23 Chromosomen zur Befruchtung bei, 23 Sekunden braucht das Blut, um den menschlichen Körper zu durchfliessen, und der sogenannte Biorhythmus beträgt 23 Tage.

«Twenty-three» ist zudem ein Slangausdruck, der in den USA seit 1899 nachgewiesen ist und die Bedeutung «abhauen», «verschwinden» und «Tschüss» hat. 1901 kommt «skidoo» dazu, was sich vom Verb «skedaddle» für «türmen» ableitet. In der Folge ist die Redewendung «23 skidoo» vor allem in den 1920er-Jahren eine sehr geläufige amerikanische Redewendung, und zwar im auffordernden Sinn: «Hau ab!»

1967 greift US-Schriftsteller William S. Burroughs (1914–1997) den Ausdruck auf und veröffentlichte eine Kurzgeschichte unter dem Titel «23 Skidoo» – eine Story über eine unbegreifliche und unfassbare Verschwörung. Der mit Burroughs befreundete Autor Robert Anton Wilson (1932–2007) nimmt den Gedanken auf und veröffentlicht ab 1969 zusammen mit Robert Shea (1933–1994) die Roman-Trilogie «Illuminatus!», worin 23 die Zahl des Unglücks, der Zerstörung und der Erleuchteten ist.

Von nun an rechnen alle mit der Zahl: Im Film «Latigo» (1971) setzt der Protagonist beim Roulette immer alles Geld auf die 23, im Thriller «Number 23» (2007) verfolgt die Zahl den Schauspieler Jim Carrey (61), und der Roman «Passagier 23» (2018) des deutschen Schriftstellers Sebastian Fitzek (51) stellt die Behauptung auf, dass jährlich 23 Menschen spurlos von Kreuzfahrtschiffen verschwinden.

Da lässt sich nur noch «twenty-three skidoo!» sagen und abhauen – bevor der Meeresdampfer vom rettenden Hafen ablegt.

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