Die Kleinen beim Trauern unterstützen
«Kinder sollten früh lernen, mit dem Tod umzugehen»

Das Thema Tod würden alle Eltern gerne von ihren Kindern fernhalten. Doch Verlust gehört zum Leben dazu. Eine frühe Auseinandersetzung ist von grosser Bedeutung, wie die Trauer- und Sterbebegleiterin Nicole Spesny (48) weiss.
Publiziert: 12.01.2021 um 07:36 Uhr
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Aktualisiert: 12.01.2021 um 08:21 Uhr
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Kinder sollten früh lernen, was der Tod ist und welche Endgültigkeit er bedeutet.
Foto: zVg
Vanessa Büchel

2019 starben rund 1200 Väter und Mütter, die minderjährige Kinder hinterliessen. Halbwaisen oder Waisen kommen früh mit Tod und Trauer in Berührung. Über das Thema wird vorher aber nur in wenigen Familien gesprochen.

«Ist ein geliebter Mensch verstorben, wollen die Kinder es nicht von einer fremden Person erfahren, sondern von einem Familienmitglied, das ihnen nahesteht», so die Lehrerin, Familientrauerbegeleiterin sowie Inhaberin der Praxis für Abschied und Trauer go on Nicole Spesny (48) zu BLICK.

Im Interview erklärt die Trauerexpertin, wie Eltern ihre Kinder richtig unterstützen können, wenn jemand im Umfeld stirbt und welche Erfahrungen sie selbst mit Trauer machen musste.

BLICK: Eine allgemeine Frage vorweg: Wie trauert man richtig?
Nicole Spesny: Es gibt kein Richtig und kein Falsch. Es gibt Menschen, die trauern kürzer, und es gibt Menschen, die trauern länger. Im Leben wird es immer wieder Momente geben, wo man traurig sein wird. Der Verlust einer geliebten Person begleitet einem ein Leben lang.

Über das Thema Sterben spricht niemand gerne. Verdrängen wir den Tod aus unserer Gesellschaft?
Das sehe ich nicht so. Aktuell ist der Tod wegen Corona in den Medien recht gegenwärtig. Der Tod ist kein Tabu mehr. Aber manche Menschen sträuben sich dagegen, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Sie glauben nicht, dass es auch sie bald treffen könnte.

Ab wann sollte man mit Kindern über den Tod sprechen?
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir trauern lernen können. In meinen Augen wäre es extrem hilfreich, schon früh den Tod mit einzubeziehen, weil er einfach zum Leben gehört. Früher oder später werden Kinder mit dem Tod in Berührung kommen – egal, ob es die Oma, ein Elternteil, ein Geschwisterchen oder ein Haustier ist.

Wie spricht man mit einem Kind über den Tod?
Offen und ehrlich, aber kindgerecht. Man sollte unbedingt auf die richtige Wortwahl achten und nicht sagen, dass jemand gegangen oder eingeschlafen ist. Das vermittelt nur ein falsches Bild. Eltern sollten den Kindern Erklärungen liefern. Die Kleinen sollten erfahren, was einen toten Körper ausmacht, damit sie vorbereitet darauf sind.

Begreift ein Kind denn von Beginn an, was der Tod ist?
Kleinkinder haben keine Vorstellung vom Tod, sie trauern und vermissen aber dennoch und spüren vor allem die Emotionen der Personen, die sie betreuen. Später im Alter von etwa drei bis sechs Jahren tritt die sogenannte «magische Phase» auf. Diese Zeit ist geprägt von Fantasiebildern. Sie stellen sich vor: «Der Papi ist jetzt ein Engeli und lebt im Himmel.» Kinder reden in dieser Phase auch häufig mit den Verstorbenen, sehen sie bei sich. In ihren Augen ist der Tod nicht endgültig. Ab einem Alter von zirka sieben realisieren Kinder dann, dass der Tod Endgültigkeit bedeutet. Oftmals kommt es dann nochmals zu einer Trauerphase, die Kinder sind extrem aufgewühlt und der Verlust beschäftigt sie erneut. Es ist so, als ob sie das Ganze nochmals neu begreifen würden.

Und wie ist es bei Teenagern?
Teenager wissen, was Sterben bedeutet. Ihnen ist bewusst, was es heisst, wenn jemand nicht mehr lebt. Jugendliche trauern ganz unterschiedlich. Manche ziehen sich zurück, während andere über das Geschehene reden wollen. Das Schwierige für Eltern ist, bei Teenagern einen Einblick zu bekommen. Denn sie befinden sich in einer Phase, in der sie sich von den Eltern ablösen.

Wie anders trauern Kinder im Vergleich zu Erwachsenen?
Kinder – Teenager ausgeschlossen – trauern extrem sprunghaft. Während sie im einen Moment unglaublich traurig sind, lachen und spielen sie im nächsten Moment wieder unbeschwert. Erwachsene versinken dagegen mehr in eine Art Trauersumpf und kommen nur schwerer wieder hinaus.

Wie kann man sein Kind beim Trauern unterstützen?
Meistens trauern Eltern selbst auch – das ist das Schwierige am Ganzen. Für Kinder ist es darum wichtig, dass man im Leben weiterhin auch die schönen Sachen sieht und geniesst. Ein Kindergeburtstag ist, wenn man beispielsweise den Partner verloren hat, immer schwierig. Ausfallen lassen sollte man ihn aber nicht.

Dann sollte man vor den Kindern traurig sein?
Seine eigenen Gefühle sollte man unbedingt leben. Tränen sind das eine, manchmal kommt auch Wut oder Verzweiflung vor. Auch die Emotionen der Kinder sollte man annehmen und nicht aufhalten. Sich für das Kind einzusetzen, ist ebenfalls ein wichtiger Punkt. Es sollte merken, dass es in Ordnung ist, dass die Leistungen in der Schule gerade nicht stimmen – auch wenn die Lehrer Druck ausüben. Als Elternteil sollte man Verständnis zeigen, für das, was das Kind durchmacht.

Welche Rituale können Kindern helfen?
Kinder sollten bei der Beerdigung mit einbezogen werden. Wichtig ist dabei, dass sie begleitet und unterstützt werden. Es können Särge oder Urnen angemalt, für den Verstorbenen Briefe geschrieben oder Zeichnungen gemalt werden. Vielleicht tut es den Kindern auch gut, wenn man aus einem Kleidungsstück des Verstorbenen ein Trost-Kissen für sie näht. Dann gibt es weitere Rituale, die sich in Absprache mit den Kleinen herauskristallisieren können – dass man in Zukunft beispielsweise den Geburtstag des Verstorbenen auf eine andere Art weiterhin feiert.

Es sind schwere Themen wie Tod und Verlust, mit denen Sie sich als Trauerbegleiterin beschäftigen. Wie sind Sie zu diesem Beruf gekommen?
Einerseits habe ich die Fähigkeit, dass Menschen auch in wirklich traurigen Zeiten mit mir reden können. Ich kann ihren Schmerz und ihre Trauer mitfühlen und mittragen – ohne selbst mitzuleiden. Andererseits spielte sicher auch meine eigene Erfahrung mit. Als mein Mann starb und ich mit drei kleinen Kindern alleine war, liess ich mich von einer Familientrauerbegleiterin betreuen. Viele ihrer Tipps und Inputs konnte ich bei der Begleitung meiner Kinder gut gebrauchen und waren unglaublich wertvoll. In den Jahren nach dem Tod meines Mannes kamen dann immer wieder Menschen zu mir, die einen ähnlichen Prozess wie ich durchliefen. Diesen Leuten wollte ich gerne mit fundiertem Wissen helfen können.

Zur Person

Nicole Spesny (48) ist Familientrauerbegleiterin, Trauer- und Sterbebegleiterin, Regionalleiterin im Verein Aurora und Oberstufenlehrerin. Die Jonschwilerin hat ausserdem ihre eigene Praxis für Abschied und Trauer go on in Bichwil SG. Dort führt sie alle sechs Wochen Trauergruppen für Kinder und Jugendliche. Aber auch Erwachsene kommen für Beratungsgespräche oder Trauerbegleitung zu Spesny. Ihre Ausbildung zur Trauer- und Sterbebegleiterin absolvierte Spesny bei Jemanja, die zur Familientrauerbegleiterin bei Lebensgrund in Luzern.

Als Regionalleiterin des Vereins Aurora unterstützt die 48-Jährige Verwitwete mit minderjährigen Kindern. «Dort haben wir drei Standbeine. Wir haben einerseits eine Art Stammtisch, der einmal im Monat stattfindet. Diesen leite ich mit einer Kollegin zusammen. Dann machen wir einmal im Monat einen Anlass, wo man mit den Kindern teilnehmen kann. Und einmal im Jahr gibt es eine Woche Ferien, die der Verein organisiert.» Ebenfalls engagiert sich Spesny für den Verein Familientrauerbegleitung, der Familien beim Abschied nehmen und in der Trauer beratend und begleitend unterstützt.

zVg/Mirjam Weber

Nicole Spesny (48) ist Familientrauerbegleiterin, Trauer- und Sterbebegleiterin, Regionalleiterin im Verein Aurora und Oberstufenlehrerin. Die Jonschwilerin hat ausserdem ihre eigene Praxis für Abschied und Trauer go on in Bichwil SG. Dort führt sie alle sechs Wochen Trauergruppen für Kinder und Jugendliche. Aber auch Erwachsene kommen für Beratungsgespräche oder Trauerbegleitung zu Spesny. Ihre Ausbildung zur Trauer- und Sterbebegleiterin absolvierte Spesny bei Jemanja, die zur Familientrauerbegleiterin bei Lebensgrund in Luzern.

Als Regionalleiterin des Vereins Aurora unterstützt die 48-Jährige Verwitwete mit minderjährigen Kindern. «Dort haben wir drei Standbeine. Wir haben einerseits eine Art Stammtisch, der einmal im Monat stattfindet. Diesen leite ich mit einer Kollegin zusammen. Dann machen wir einmal im Monat einen Anlass, wo man mit den Kindern teilnehmen kann. Und einmal im Jahr gibt es eine Woche Ferien, die der Verein organisiert.» Ebenfalls engagiert sich Spesny für den Verein Familientrauerbegleitung, der Familien beim Abschied nehmen und in der Trauer beratend und begleitend unterstützt.

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