Exportboom dank Corona
Wieso im Ausland so viel Fondue gegessen wird wie noch nie

Noch nie wurde so viel Käse ins Ausland exportiert wie zu Pandemie-Zeiten. Auch in flüssiger Form ist er beliebt – die Nationalgerichte Fondue und Raclette repräsentieren die Schweiz in Stuben rund um den Globus.
Publiziert: 31.07.2021 um 19:03 Uhr
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Aktualisiert: 01.08.2021 um 08:22 Uhr
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Eine Fondue-Party in den 1970ern. In den USA hatte damals das gemeinsame Tunken von Brot in einer Käsesuppe einen erotischen Beigeschmack.
Foto: H. Armstrong Roberts/ClassicStock
Jonas Dreyfus

Sie steht für alles, was «Ausländer» beim Fondueplausch falsch machen können: die Szene aus der Serie «Sex and the City», in der die Hauptfigur, Carrie Bradshaw, für ihren Liebhaber, Mr. Big, das Schweizer Nationalgericht zubereitet. «Ich habe gekocht», sagt sie. «Eigentlich hast du nur Käse geschmolzen», sagt er und tunkt ein Stück Brot in eine orangefarbene Masse. Das «Fangdu», wie die beiden New Yorker es aussprechen, ist aus Cheddar, es klebt unbeweglich am Boden eines winzigen Designer-Caquelons. Carrie und Mr. Big trinken dazu Rotwein aus dickbauchigen Gläsern. Das Schlimmste aber: Sie füttern sich gegenseitig. Corona hin oder her: Welches noch so verliebte Schweizer Pärchen würde sich gegenseitig Fondue-Gabeln in den Mund stecken?

Trotz Pandemie wurde im Jahr 2020 so viel Käse ins Ausland exportiert wie noch nie zuvor. 77'124 Tonnen Käse, Schmelzkäse und Fertigfondue im Wert von 693,8 Millionen Franken gingen gemäss der Milchstatistik von TSM Treuhand über die Grenze. Das sind 1,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch in verflüssigbarer Form war das Milchprodukt gefragt. Beim Schmelzkäse nahm die Exportmenge um 1,2, beim Fondue um 4,9 Prozent zu. Rund 5000 Tonnen Fertigmischung gingen in Ländern rund um die Welt über den Ladentisch. Ein Grossteil davon in Deutschland, gefolgt von den Beneluxstaaten, Kanada, Grossbritannien, Frankreich, Spanien und den USA. Die Spezialmischungen von Käse-Shops sind in der Statistik noch nicht einmal mitgerechnet.

Ein Luxusprodukt, das man sich zwischendurch leistet

Der Exportmarkt habe sich nach einem Einbruch während des ersten Lockdowns gut erholt, sagt Christa Wettstein von Switzerland Cheese Marketing. Die Menschen seien mehr zu Hause gewesen und hätten sich zwischendurch etwas Besonderes geleistet. «Im Verhältnis zu anderen Käsesorten ist Schweizer Käse im Ausland teurer.» Und sie hätten mehr Zeit gehabt. «Das ist ja eigentlich eines der Hauptmerkmale von Fondue und Raclette: Man isst es nicht schnell, schnell, sondern lässt sich Zeit.»

Wann sind Menschen ausserhalb der Schweiz auf den Fondue- und Raclette-Geschmack gekommen? Beim Fondue war das in der Nachkriegszeit, als wohlhabende Europäer und Amerikaner nach Zermatt VS und Gstaad BE zum Skifahren reisten und in den Restaurants die «Schweizer Käsesuppe» probierten. Bis zum Zweiten Weltkrieg war das Fondue selbst in der Schweiz wenig bekannt. Als Schweizer Nationalgericht hatte es sich in den 1950er-Jahren etabliert, als die Armee das Rezept dafür in ihr Kochbuch aufnahm.

Weiter zurück geht die Exportgeschichte des Raclettes. Bereits 1574 war das Käseschmelzen im Wallis bekannt. Der Walliser Käse, den es dafür braucht, wurde auch exportiert und bis zum 19. Jahrhundert sogar als Zahlungsmittel oder Arbeitsentgelt genutzt.

Fotos vom Raclette-Plausch machen sich gut in den sozialen Medien

Seit kurzem erlebt das Raclette vor allem in Deutschland ein Revival. Bereits 2019, vor der Corona-Krise, gingen die Exporte um 60 Prozent nach oben. Vermutlich liege es an den sozialen Medien, sagt ein Vertreter von Raclette Suisse zum Landwirtschaftlichen Informationsdienst. #Raclette zählte auf dem Portal Twitter in Deutschland eine Zeit lang zu den beliebten Hashtags.

In den USA steht Raclette seit einiger Zeit in immer mehr hippen Lokalen auf der Karte. Dass es lange gedauert hat, bis es die Speise über den Atlantik schaffte, dürfte gemäss einem Autor des US-Gastroportals Eater.com daran gelegen haben, dass es lange Zeit schwierig war, den Käse zu importieren. Für die Knappheit sorgte die Schweizer Käseunion, die die Produktion limitierte. 1970 wurden 1000 Tonnen Raclettekäse im Wallis und 1000 Tonnen in anderen Kantonen hergestellt. Nach Auflösung der Union im Jahr 1999 stieg die Produktionsmenge im Wallis auf 2000, in den anderen Kantonen auf 10'000 Tonnen.

Im Gegensatz zum Raclette-Erlebnis hat das Fondue-Essen in den USA offenbar etwas Anrüchiges. So schrieb der kanadische Gourmetpapst David Sax in einem Kommentar für den «Tages-Anzeiger», dass Fondue und Sex in den 1960er- und 70er-Jahren «irgendwie» zusammengehört hätten. Das erste Buch über Fondue-Partys von 1962 habe nur so vor erotischen Anspielungen gestrotzt. Das Licht müsse gedämpft sein, Kerzen sollten brennen. Es enthielt Flirt-Spiele. Wer sein Brot verliert, muss jemanden küssen, so die Anweisung. Kein Wunder also, können Carrie und Mr. Big ihre Fondue-Gabeln nicht voneinander lassen.

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