Zugegeben, es braucht eine Prise Mut und Verrücktheit, um 1000 Liter Wein im See zu versenken! Diese Charaktereigenschaften hat Robert Irsslinger (31) zweifellos. Der Winzer sucht Herausforderungen und scheut nicht davor zurück, abseits der ausgetretenen Pfade zu gehen.
«Es wird einem im Leben nichts geschenkt, ein Ziel erkämpft man sich», erzählt er Blick. Mit dieser Einstellung überrascht es nicht, dass Irsslinger bereits mit Mitte zwanzig ein Weingut gepachtet und sich den Traum der Selbstständigkeit erfüllt hat.
Der Coup mit dem schwimmenden Wein
Als Mann der Tat zögert er nicht lange. Das war auch so, als ihm sein österreichischer Winzerkollege Fabian Sloboda vorschlug, ins Projekt «Wellentänzer» einzusteigen. Seit 2019 führen es die beiden partnerschaftlich, am Zürichsee und am Neusiedlersee im Burgenland.
Dabei wird die Hälfte eines fertig vinifizierten Weissweins in eine doppelwandige Boje gefüllt. Nach der Einwasserung im See reift er dort während mehrerer Wochen.
Die zweite Hälfte bildet den «Zwillingswein». Er bleibt auf dem Weingut und wird behandelt wie jedes andere weisse Gewächs.
Durch die Lagerung im Wasser ist der Wein in der ersten Phase seiner Reifung durch den Wellengang in steter Bewegung und in Kontakt mit der Grobhefe. Dadurch bilden sich zusätzliche Geschmacksstoffe, Proteine und Kohlensäure, die für ein cremigeres Mundgefühl und zugleich für einen frischen, spritzigen Geschmack sorgen.
Zum Zerreissen gespannt
Das Risiko schien kalkulierbar, darum hat er sich als dreifacher Familienvater auf das Wagnis eingelassen. Dazu beigetragen hat der Rückhalt, den er von seiner Ehefrau Chantal, seinen Eltern und Schwiegereltern erhalten hat. Auf dem Familienbetrieb packen alle an und tragen zum Erfolg bei. Er kann auch auf Freiwillige zählen, die ihn bei der Bewachung der Boje unterstützen. «Eine Restunsicherheit blieb. Einmal bin ich auf den See gerudert und habe nach dem Rechten gesehen», gibt er schmunzelnd zu.
Von Anfang an wurde das Experiment wissenschaftlich vom Weinbauzentrum Wädenswil begleitet und die Proben untersucht. «Ich wollte aufzeigen, dass der Wein sich tatsächlich verändert und nicht nur auf dem See lagert», meint Irsslinger.
Trinkfreude aus ehrlicher Handarbeit
Gekeltert wird der «Wellentänzer» aus der Zukunftssorte Johanniter. «Ich möchte pilzwiderstandsfähige Traubensorten bekannter machen. Sie können naturnah bewirtschaftet werden und passen zu meiner Philosophie als Weinbauer», erzählt Irsslinger. Im Rebberg macht er so viel wie möglich manuell. Rebschnitt und Lese von einer Maschine übernehmen zu lassen, kommt für ihn nicht infrage.
Die Arbeit im Keller ist von seiner Sorgfalt und viel Gespür für die Materie geprägt. «Ich kitzle die typischen Aromen aus der Traube heraus». Darum verwendet er keine Industriehefe, sondern setzt auf Zürichsee-Hefe. Sie wird aus einem ursprünglichen Hefestamm aus der Region gewonnen und erhält den unverfälschten Sortencharakter. Seine eigenständige Herangehensweise zeigt sich ebenfalls bei den spontan vergorenen Weinen, beispielsweise dem Orange Wine aus Souvignier Gris und der Scheurebe im Barrique.
Die Probe aufs Exempel
Zwischen Enten und Schwänen schaukelte diesen Winter schon der vierte «Wellentänzer» vor dem Hafen in Rapperswil SG. Zwar sprechen die Analysewerte für sich, dennoch wollte ich mir das Vergnügen nicht nehmen lassen, einen seegereiften Wein zu verkosten. Den «Wellentänzer 2020» habe ich im direkten Vergleich mit seinem Pendant des gleichen Jahrgangs degustiert.
Der Zwillingswein duftet nach grünen Äpfeln, Limette und Zitrone. Im Gaumen ist er ausgesprochen knackig und mineralisch. Gedanklich verbinde ich ihn sofort mit einem sonnigen Frühlingstag. Daneben wirkt der «Wellentänzer 2020» runder und weicher. Er zeigt Nuancen von Brioche und Quittengelée. Besonders angenehm empfinde ich das samtige Mundgefühl. So unterschiedlich wie Geschwister eben sein können, sind auch diese zwei Exemplare.
Irsslingers Wein weckt Emotionen. Wir sind gespannt, wohin die nächste Fahrt seines Weinabenteuers führt.