«Wenn man heute etwas abmacht, ist es nicht mehr fix»
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Fehlende Wertschätzung:«Wenn man heute etwas abmacht, ist es nicht mehr fix»

«No Shows» haben sich vervielfacht
Busse für Restaurant-Schwänzer

Einen Tisch reservieren, ihn kurzfristig absagen oder gar nicht erst auftauchen: Seit Beginn der Corona-Pandemie versetzt die Kundschaft ihre Restaurants fünf Mal so häufig. Die Gastrobranche sucht nach Lösungen.
Publiziert: 21.01.2023 um 00:09 Uhr
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Aktualisiert: 23.01.2023 um 14:39 Uhr
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Im Gasthaus zum Bären in Birmenstorf AG kommt es im Schnitt einmal pro Abend dazu, dass Gäste trotz Reservation nicht auftauchen.
Foto: zVg
Jana Giger und Lea Ernst

Warmes Kerzenlicht flackert über das karierte Tischtuch. Aus der Küche scheppern Schüsseln und Pfannen, es riecht nach Kaffee. Das Personal bereitet sich auf den Freitag vor, den Spitzentag des Gasthofs zum Bären in Birmenstorf AG. Doch statt voll besetzt und laut schnatternd bleiben die reservierten Tische immer häufiger leer.

Dass Gäste einfach nicht auftauchen, trübt Harry Pfändlers (58) Leidenschaft, mit der er und seine Frau das Restaurant im Dorfkern seit 21 Jahren führen. Im Schnitt passiert das einmal pro Tag. «Diese Situationen sind für uns sehr mühsam», sagt er. «Die Gäste realisieren gar nicht, was das für uns bedeutet.»

Das Nichterscheinen, sogenannte «No Shows», seien ein grosses Problem der Branche, bestätigt der Verband GastroSuisse. Besonders in einer Zeit, in der Betriebe wegen der Teuerung und des Personalmangels auf eine möglichst gute Auslastung angewiesen sind, um die Kosten zu decken.

Die Gesellschaft wird immer unverbindlicher

Immer mehr essen wir so, wie wir daten: schnelllebig, überfordert von der gigantischen Auswahl, mit ein paar Klicks vom Sofa aus eingefädelt, durch anonyme Onlinesysteme zur Unverbindlichkeit verführt. Wer spontan keine Lust oder viel um die Ohren hat, sagt kurzfristig ab oder meldet sich nicht mehr. In der Gastronomie tun wir das immer herzloser: Im Vergleich zu vor der Pandemie hat sich die Zahl der Kunden, die ihren gebuchten Tisch im Restaurant versetzen, vervielfacht.

«Die Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern fehlt», sagt Pfändler. Wenn er einen Gast anrufe, um zu fragen, wo er und seine Gruppe bleibe, lautet die Antwort: «Entschuldigen Sie, wir haben es vergessen.» Im schlimmsten Fall bleiben Tische leer. Die Auswirkungen für das Restaurant? Enorm. Die Folgen für den Gast? Keine.

Ob Pizza, Sushi oder Schnitzel: Noch nie war der Restaurantbesuch schneller organisiert als heute. Gewünschtes Zeitfenster auswählen, Name, Handynummer und E-Mail-Adresse eintragen, fertig. Wie Pfändler nutzen immer mehr Gastronomen Buchungssysteme wie Lunchgate, den grössten Anbieter in der Deutschschweiz, dem über 11'000 Gastrobetriebe angeschlossen sind. Noch wenige Minuten vor dem Termin kann der Gast stornieren – bisher ohne Konsequenzen.

Lunchgate verlangt bald Kreditkartendetails

Zwischen 2013 und 2021 war die Anzahl No Shows stabil, wie die Zahlen von Lunchgate zeigen: 0,1 Prozent der Reservationen waren davon betroffen. «Doch seit Beginn der Corona-Pandemie ist sie monatlich gestiegen», sagt Yves Latour (45) von Lunchgate. Heute sind es über 0,5 Prozent der Buchungen. Fünf Mal so viele wie noch vor zwei Jahren. Und es ist keine Besserung in Sicht: Diesen Dezember und im bisherigen Januar sind besonders viele Gäste nicht aufgetaucht. «Jeden Tag melden sich Gastronomen bei uns, um zu fragen, ob wir eine Lösung dafür haben», sagt Latour.

In Abstimmung mit den Gastronomen hat Lunchgate deshalb beschlossen, bald die Kreditkartendaten der Gäste zu verlangen. Sagen diese kurzfristig ab oder tauchen gar nicht auf, wird eine kostendeckende Gebühr abgebucht. Wie hoch diese Gebühr sein soll, ob sie nur für ausgewählte Abende oder ab einer gewissen Gruppengrösse gilt, entscheiden die Gastronomen jeweils selber. «Damit wollen wir die Gäste für die Schwierigkeiten der Gastrobranche sensibilisieren», sagt Latour.

Pfändler hofft nicht, dass er dies einführen muss. «Meine Kernaufgabe ist es, Gastgeber zu sein und den Leuten einen schönen Abend zu bieten.» Wenn er eine Reservierung fast schon vertraglich festhalten müsse, verliere diese schöne Aufgabe an Bedeutung.

225 Franken Entschädigung

Um das Problem der Absagen und No Shows abzuschwächen, greifen Gastrobetriebe zu unterschiedlichen Mitteln. Das Sternerestaurant Sens im Hotel Vitznauerhof am Vierwaldstättersee verrechnet Gästen, die trotz Reservation nicht erscheinen oder weniger als 24 Stunden im Voraus absagen, eine Gebühr von 225 Franken pro Person (Blick berichtete). Andere neue Betriebe wie die Aperitivo-Bar Lupo in Zürich nehmen gar keine Reservationen mehr entgegen.

Das im Oktober 2022 eröffnete Elmira geht sogar noch einen Schritt weiter. Wer in dem Zürcher Gourmet-Restaurant essen will, zahlt bereits im Voraus den gesamten Pauschalbetrag für das Essen und Trinken. Wie in vielen gehobenen Restaurants gibt es nur ein Menü mit lokalen Zutaten, keine Speisekarte. «Wenn wir genau wissen, wie viele Gäste kommen, können wir viel besser planen und den Food Waste fast auf null reduzieren», sagt Loïc Mesqui (39).

In der Gastrobranche brauche es ein Umdenken, sagt Mesqui, Mitgründer des Restaurants. «Beim Konzert oder Theater kauft man das Ticket ja auch im Vorhinein, damit die Veranstalter wissen, wie viel Personal sie einplanen sollen.» Das neue System seines Restaurants komme bei den Gästen gut an und sei für beide Seiten von Vorteil: Der Rechnungsschock am Ende des Abends bleibe aus, dafür könne sich das Team voll und ganz auf die erwarteten Gäste konzentrieren.

Der persönliche Kontakt und eine harmonische Atmosphäre liegen auch Harry Pfändler vom Bären in Birmenstorf am Herzen. Im Austausch verlangt er von seinen Gästen nicht viel: «Einen Anruf, dass man nicht kommen kann, genügt», sagt er. Dann macht er sich auf den Weg in die Küche, wo die Vorbereitungen für das Mittagessen bereits auf Hochtouren laufen.

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