Nun pilgern sie wieder in die nächstgelegenen Gaststätten und auf die Höfe: die Blutwurst-Begeisterten und Gnagi-Geniesser. Es ist Metzgete-Zeit. Die Bauern bringen ihre über den Sommer gemästeten Tiere zum Schlachten und setzen das Fleisch vom eigenen Hof ihren Gästen vor.
Wir waren dabei, als Schweine beim Metzger geschlachtet wurden – und haben uns bei einer Bauernhof-Metzgete dazu gesetzt.
Beim Metzger
Am Freitagmorgen häutet Metzger Bruno Signer (57), ausgerüstet mit Schürze und Gummistiefel, in Kollbrunn ZH gerade noch das letzte Kalb, als ein Bauer mit seinem Anhänger vorfährt. Vier Schweine hat er dabei. Nach sechs Monaten Mast sind sie rund 140 Kilogramm schwer und bereit fürs Schlachten. Vom Anhänger gehts direkt in einen Stall neben dem Schlachthaus.
Im Zweiergrüppli treibt man sie vom Stall in einen weiss gefliesten Raum. Hier wird ihr Leben ein Ende nehmen. Dann geht es schnell! Signer setzt eine grosse Zange an den Schläfen des ersten Schweins an. Der Stromschlag lässt das Schwein zucken, es sackt bewusstlos zusammen.
Der Metzger legt um eines der Hinterbeine eine Schlinge, zieht sie zu und hängt das Tier am Haken über einem Kessel auf. Dann sticht er in die Brust des Schweins; das Blut fliesst in Strömen. Ungefähr dreissig Sekunden habe man nach dem Stromschlag Zeit, um es zu töten, erklärt der Arbeitskollege von Signer, dann wache das Schwein wieder auf.
Schon ist das zweite Säuli dran: Zange. Aufhängen. Bruststich. Während die andere noch ausblutet, hieven Signer und seine beiden Mitarbeiter die erste Sau in einen grossen Bottich mit heissem Wasser. Er erinnert an eine Schuhputzmaschine; nach dem Schrubben sind die meisten Borsten vom Schwein entfernt. Penetrant ist der Geruch, als Signer die restlichen Haare mit einem Flammenwerfer abbrennt – er bildet die Kopf-, Herz- und Basisnote des Schlachthausparfums, wenn man so will.
Signer schärft sein Messer und schneidet den Kopf des ersten Säuli ab. Enthaart und geköpft wird es ausgenommen und dann mithilfe einer grossen elektrischen Fleischsäge entzwei geteilt. Bis Montag kommen die beiden Hälften in den Kühler, danach schneidet man sie in kleinere Stücke. Die Krönung des Prozesses ist das Wursten am Mittwoch, wo Blut, Leber und Fleischabschnitte zu den klassischen Metzgete-Gerichten werden.
Ob die Tiere merken, was vor sich geht? Das sei ganz unterschiedlich, erzählt Signer. Heute ist es nicht anders: Säuli zwei schaut relativ unbekümmert der Tötung von Säuli eins zu. Doch Säuli vier rennt wie verrückt im Kreis und quietscht, als Säuli drei mit der Zange betäubt wird.
Bei der Metzgete
Seit 2013 bietet Judith Rüegg (52) Metzgeten auf ihrem Hof in Hinwil ZH an. Sie tischt nur eigenes Fleisch auf. Die Familie Rüegg bringt ihre Säue Ende September zu Bruno Signer, der sie schlachtet. Die Transportwege sind vergleichsweise kurz: mit dem Anhänger 40 Minuten zum Schlachthaus, ein paar Tage später mit dem Kühlwagen zurück auf den Hof.
Rüeggs Metzgete-Projekt hat Erfolg. Am Anfang seien neue Gäste vor allem durch Mund-zu-Mund-Propaganda gekommen. Jetzt kennt die Bäuerin aber viele, die kommen, nicht persönlich. Die diesjährige Auftakt-Metzgete war ausgebucht. Ungefähr 50 Personen finden bei den Rüeggs Platz. Die Gäste essen im umgebauten Geissenstall mit Fussbodenheizung; das Menü à discrétion kostet 50 Franken pro Person. Die Gerichte vom Säuli werden am Buffet serviert, die Beilagen sind Rösti, Sauer- und Rotkraut, Dörrbohnen und Apfelmus.
«Nose to Tail gibt es bei uns wirklich», sagt die Bäuerin. Die englische Bezeichnung beschreibt etwas, was früher selbstverständlich war: Man verwertet das ganze Tier.
Dies sorgt für die Leckereien, die man in grossen Lebensmittelgeschäften nicht bekommt und mittlerweile sogar beim Metzger vorbestellen muss. Dazu zählen Blut- und Leberwürste, Zunge, Ohren und mehr. Das ganze Tier eben, von vorne bis hinten, von der Schnauze bis zum Schwänzli.
Doch es gibt noch was anderes ausser des einzigartigen Genusses, den Coop und Migros so nicht bieten können, die Metzgete aber schon: Bei den verpackten Steaks und vorgeformten Hamburgern der Lebensmittelriesen geht schnell vergessen, dass das auf unserem Grill mal auf vier – oder zwei – Beinen fröhlich durch die Gegend trottete. Das ist beim Verzehr von Schnörrli, Öhrli und Schwänzli anders: Das Fleisch auf dem Teller ist als Tier erkennbar.
Das könnte ein Grund sein für den Aufschwung, den die Metzgete wieder erlebt. Zweifelsohne sind viele Besucher alte Hasen, die sich schon in der Kindheit auf das Gnagi im Herbst freuten.
Doch gleichzeitig kann die Tradition eine neue Zielgruppe ansprechen: Diesen Menschen ist Nachhaltigkeit wichtig und sie sind keine Fans der industriellen Fleischproduktion. Trotzdem wollen sie nicht auf den Genuss von Braten, Speck und Co. verzichten. Für sie bieten Metzgeten bewussteren, umweltschonenderen Fleischkonsum, mit dem sie lokale Bauern unterstützen können.