Ein historischer Mordfall und das wichtigste Beweismittel ist ein Cervelat: Die «Neue Zürcher Zeitung» berichtete am 12. November 1888 von einem Leichenfund am Alpenquai in Enge, das damals noch nicht zur Gemeinde Zürich zählte. Die ermordete «Frau Hubel, geb. Mattmann», offenbar «Strassendirne», wies Schnittwunden am Hals auf. Schnell verhaftete die Polizei einen Mann mit Degen nahe des Tatorts. Das Hauptbeweismittel: Er trug einen Brief mit sich, in dem eine Frau schrieb, er soll «das nächste Mal eine Cervelatwurst aus Zürich» mitbringen. In der Tasche des Mordopfers fand man: einen Cervelat. Tönt nach Philip Maloney, ist aber tatsächlich passiert. Ob der Mann des Mordes überführt wurde, liess sich nicht mehr herausfinden.
Unser geliebte Cervelat
Er schrieb positive Schlagzeilen, er schrieb negative. Man kann ihn lieben als die Ur-Wurst unserer Kindheit, zubereitet in allen erdenklichen Varianten: paniert, mit Speck, Käse, Mayonnaise oder Senf. Vor allem: mit Haut. Oder man kann ihn hassen, weil fett und ungesund. Den Cervelat, die Schweizer Nationalwurst.
Maskulin und mit -t am Ende
Nicht die Cervelat – übrigens – sondern der. Auch wenn Hunderttausende Schweizer es anders sagen. Diese Wurst vermag noch so ur-schweizerisch zu sein, sie ist im ur-hochdeutschen Duden drin. Maskulin. Im führenden Wörterbuch gibt es auch nur die Variante mit einem -t am Wortende. Obwohl der eine oder andere Vertreiber dort lieber ein -s setzt. Dann heisst es Cervelas. Wenn wir uns schon an Schreibweise und Artikel so genüsslich entzweien können, so muss sie uns schon richtig was bedeuten, diese Wurst. Sie ist uns wirklich lieb und teuer.
Tradition hat ihren Preis
Teurer wird sie auch, wie fast alles auf der Welt. Während des Zweiten Weltkriegs legte noch die längst nicht mehr existierende Eidgenössische Preiskontrollstelle einen Höchstwert für die Wurst fest: ganze 40 Rappen pro Cervelat waren es im Frühling 1944. Der «SonntagsBlick» titelte schliesslich im Mai 1988: «Hoppla! Cervelats ab morgen 20 Rappen teurer.» 1.75 oder 1.80 Franken waren es damals, je nach Anbieter. Logischerweise für das Zweier-Päckli. Die Preise sind in der Zwischenzeit längst nicht mehr so heftig angestiegen und liegen beim Grossverteiler um die zwei Franken. So oder so belegen die Meldungen, wie wichtig der Cervelat dem Schweizer ist. Der Wienerli-Preis etwa wird in solchen Fällen nur ganz kurz erwähnt.
Die Wurst durchlebt eine turbulente Zeit
Der Cervelat ist robust. Er hat schon haufenweise Kritik und viele Probleme überstanden. Am bekanntesten ist die «Staatsaffäre», die im April 2006 begann. Die EU entschied sich in der Zeit von BSE für einen Importstopp für brasilianische Rindfleischdärme. Die Schweiz musste wegen der bilateralen Verträge mitziehen. Zunächst kein grosses Thema bei uns, ehe langsam auch der Letzte begriff: Aus solchen Därmen wird die Haut, die «Schinti», des Cervelats gefertigt. Und, ja, unsere Nationalwurst ist gefährdet, die Vorräte werden langsam knapp. Monatelang wurden mehr oder weniger fantasievolle Ersatzlösungen gesucht (siehe Text unten), ab Sommer 2008 kamen schliesslich Importe aus Argentinien, Uruguay und Paraguay zum Einsatz. 2012 hob die EU den Stopp für Brasil-Häute auf. Aufatmen.
Ist der kalte Cervelat-Verzehr bedenklich?
Der bekannteste Kritik-Punkt an der Wurst der Würste: Gefährdung der Volksgesundheit. 1992 warnte das Konsumentinnenforum (KF) eindringlich davor, Cervelats zu grillieren. «Krebserregend», so das Fazit eines Tests. Bei grosser Hitze könnten gepökelte Würste gefährliche Nitrosamine bilden. Man könne Cervelats «sehr wohl kalt geniessen», tröstete das KF immerhin. Das unerbittliche Urteil wird von der Internationalen Agentur für Krebsforschung geteilt. Sie meldete 2015, dass Würste generell krebserregend seien. Sie gehören gar zur Gruppe 1 der allergefährlichsten Schadstoffe, gemeinsam mit Asbest und Tabak-Rauch.
Wenn die Wurst den Wortschatz erweitert
Haben diese Skandale und Skandälchen des Schweizers Cervelat-Liebe abklingen lassen? Kaum. Wir kategorisieren gar unsere Prominenten nach der Wurst. Woher der Begriff «Cervelat-Promi» genau kommt, weiss niemand. Er tauchte plötzlich auf, wird erst seit den 90er-Jahren regelmässig von den Medien verwendet. Der erste People-Reporter beim Blick, Jack Stark, begründete den Begriff einst so: «Der Cervelat ist die billigste Wurst, Cervelat-Promis sind die billigsten Stars.»