Ist der Alltag in der Schweiz von westlichen Werten bestimmt, von christlicher Kultur, von althergebrachter Tradition? Gut möglich. Ausser wenn es ums Essen geht. Denn das bevorzugte Frühstück der Schweizer, Kaffee und Gipfeli, kommt ja wirklich nicht aus den Alpen. Sondern historisch gesehen aus einer ganz anderen Richtung – dem Osmanischen Reich.
Dort war der ursprünglich aus dem Jemen und vom Horn von Afrika stammende Kaffee nach der Eroberung der arabischen Halbinsel durch die Türken 1522 rasch populär geworden. Die ersten Kaffeehäuser in Istanbul waren von einigen strengen Muslimen noch misstrauisch beäugt worden. Ihnen kam das aufregende neue Genussmittel verdächtig vor – war das nicht eines der gebrannten Getränke, die der Prophet verboten hatte? Unter den Gelehrten entflammte eine hitzige Debatte, wie mit den zahlreich aus dem Boden spriessenden Kaffeehäusern umzugehen sei.
Valentin Groebner ist Professor für Geschichte mit Schwerpunkt Mittelalter und Renaissance sowie Autor von Büchern wie «Retroland. Tourismus, Geschichte und die Sehnsucht nach dem Authentischen».
Yella Nicklaus schloss im Sommer 2021 ihr Masterstudium der Geschichte ab. An der Universität Luzern promoviert sie zur Geschichte globaler Speisen in der Schweiz im späten 20. Jahrhundert.
Valentin Groebner ist Professor für Geschichte mit Schwerpunkt Mittelalter und Renaissance sowie Autor von Büchern wie «Retroland. Tourismus, Geschichte und die Sehnsucht nach dem Authentischen».
Yella Nicklaus schloss im Sommer 2021 ihr Masterstudium der Geschichte ab. An der Universität Luzern promoviert sie zur Geschichte globaler Speisen in der Schweiz im späten 20. Jahrhundert.
Kaffee machte der Biersuppe den Garaus
Aber nicht lange: Was gut schmeckt, setzt sich durch, in einer Grossstadt mit vielen Sprachen und mehrheitlich christlichen Bewohnern wie Istanbul im 16. Jahrhundert sowieso. Wenig später verbreitete sich der Kaffee dann auch im restlichen Europa – zunächst noch als Luxusgut kleiner Eliten.
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts erklärte der Papst dessen Konsum für religiös unbedenklich, das erste Kaffeehaus wurde 1645 in Rom eröffnet. Kaffeepflanzen wurden in botanischen Gärten gezüchtet und waren begehrte Geschenke an den Königshöfen. Mit zunehmender Verbreitung kam auch die breite Bevölkerung auf den Geschmack, zumal Kaffee durch die Sklavenarbeit auf den amerikanischen Plantagen immer billiger produziert werden konnte. Im Laufe des 18. Jahrhunderts ersetzte er dann in weiten Teilen Europas die Biersuppe als bevorzugtes Morgengetränk.
Eine ähnliche Erfolgsgeschichte durchliefen auch die Backwaren aus gezogenem und vielfach gefaltetem Teig aus Weizenmehl, vermutlich eine persische Erfindung, die sich als Baklava im gesamten Mittleren und Nahen Osten verbreitete. Wiener Bäcker kopierten es als «Kipferl», das in Frankreich zum «Croissant» und in der Schweiz zum «Gipfeli» adaptiert wurde, buttriges Süssgebäck in der Form eines Halbmonds. Aus dem Symbol des bedrohlichen Erzfeinds im Osten wurde im 18. Jahrhundert ein schickes Gebäck, passend zur romantischen Orientbegeisterung der Gebildeten. Oder schmeckt Blätterteig einfach allen, egal welcher Religion?
Salat galt in Europa als gesundheitsschädlich
Europäische Reisende des 16. und 17. Jahrhunderts ins Osmanische Reich staunten über die Vielfalt der dortigen Küche und darüber, dass Gemüse roh als Salat verzehrt wurde – das galt bei ihnen zu Hause als gesundheitsschädlich. Sie genossen die mit Eis gekühlten und gezuckerten Fruchtsäfte, die auf den Basaren überall erhältlich waren – türkisch (und eigentlich persisch) «sherbet», das Vorbild für unser heutiges Wort «Sorbet». Sie lesen richtig: Nicht nur das Lieblingsfrühstück, sondern auch das Lieblingsdessert der Schweizer kommt aus der arabisch-persischen Esskultur: die Glace.
Dasselbe gilt allerdings auch für den Apfelstrudel. Unsere «Chuchichäschtli» sind ohnehin voller Importe aus dem Orient. Die ersten Zitrusfrüchte, Orangen und Zitronen, waren im Mittelalter von den Arabern am Mittelmeer angebaut worden. Sie brachten auch Mandeln mit und jenes weiss-braune Luxusprodukt, das eine noch weitere Reise hinter sich hatte – Zucker, zuerst in Indien kultiviert und dann im Nahen Osten und in Ägypten angebaut. Dem Wort «sukkar» merkt man in seiner spanischen und portugiesischen Variante «azucar» heute noch die arabische Herkunft an, an der Vorsilbe al – wie beim Alkohol. Denn die Herstellung von Hochprozentigem beruht ebenfalls auf orientalischer Technologie.
Reis auf türkische Art mit Zucker, Nüssen und kandierten Früchten
Es war auch jahrhundertelang viel Zucker notwendig, um Orangen zuzubereiten, denn die waren bis ins 18. Jahrhundert bitter und mussten erst lange gekocht werden, um zur duftenden Delikatesse zu werden. Von den Osmanen im 15. und 16. Jahrhundert auf europäische Küchentische gebracht wurden auch Aprikosen, Pfirsiche und süsse Melonen, Auberginen und so etwas vermeintlich Selbstverständliches wie Reis. Der wurde als «riso alla turchesca» auf türkische Art mit Zucker, Nüssen und kandierten Früchten zubereitet. Das Luxusdessert der Renaissance schlechthin wurde auf Hochzeitsbanketts christlicher Fürsten ebenso serviert wie am Hof des Papstes im 16. Jahrhundert.
Denn Glaubensfeinde hin oder her: Wenn die gut kochen, wollen wir das auch. Umgekehrt hatten die von den christlichen Spaniern aus Mittelamerika importierten Chilis in der muslimischen Welt ebenfalls begeisterte Aufnahme gefunden, bis in die letzten Winkel des osmanisch beherrschten Südosteuropa – als Paprika.
Fazit? So gerne wir die eigene Küche als Heimat und Ursprung feiern, historisch gesehen stammt sie grossteils von «fremden Fötzeln». Aber Tradition ist ohnehin Import-Export. Das urchig-gesunde Müesli, das der Schweizer Reformarzt Dr. Bircher-Benner in seinem Zürcher Sanatorium ab 1904 als Abhilfe gegen moderne Zivilisationskrankheiten propagierte, bestand neben Haferflocken und Äpfeln aus einem neuen Schweizer Industrieprodukt, das damals gerade seinen Siegeszug über den Planeten angetreten hatte: Kondensmilch.
Aber was assen dann eigentlich die alten Eidgenossen zum Frühstück, unsere urchigen mittelalterlichen Vorfahren? Saure Milch und warmen Hirsebrei. Guten Appetit.
In der Schlafphase regenerieren sich viele Zellen des Körpers. Um am Morgen wieder neue Energie zu tanken, empfiehlt sich ein nahrhaftes Frühstück. So starten Sie gesund in den Tag!
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Frühstücksvorlieben variieren stark: Während manche zu einer süssen Mahlzeit tendieren, wünschen sich andere nach dem Aufstehen eher etwas Salziges. Wir sagen Ihnen, auf welche Lebensmittel Sie morgens aber besser verzichten sollten.
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