Eine Polemik
Die Stuhllehne ist keine Garderobe!

Restaurantgäste schleppen Jacken und Mäntel immer häufiger an den Tisch. Und Gastronomen befördern diesen Trend mit fehlenden oder schlechten Garderoben. Schluss damit, ein Umdenken tut not!
Publiziert: 12.12.2022 um 14:28 Uhr
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Aktualisiert: 12.12.2022 um 21:27 Uhr
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«Tatsächlich ist zu beobachten, dass Gäste die Garderobe vermehrt mit an den Tisch nehmen», sagt Gastrosuisse-Direktor Daniel Borner.
Foto: keystone-sda.ch
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Jetzt, während der Firmen-Essen in der Vorweihnachtszeit, passiert es wieder massenhaft: Horden von Menschen verunstalten Restaurants und sorgen dafür, dass es dort wie im Kleiderbasar aussieht und nach nassem Hund riecht. Der Grund: Die Gäste missbrauchen Rückenlehnen der Stühle als Garderobe für ihre feuchten Jacken und Mäntel.

Das ist eine Unsitte, die bei uns in den letzten Jahren immer häufiger zu beobachten ist. Überkleider, die draussen Witterungsschutz bieten, sind beim Eintreten in die warme Gaststube an der Garderobe aufzubewahren! Seit dem 16. Jahrhundert ist der Begriff «Garderobe» im Deutschen bekannt, seit dem 17. solche Kleideraufbewahrung hier gebräuchlich.

Garderobenzwang für Restaurants!

Ursprünglich im Eingangsbereich von Theatern und Museen gegen Entgelt üblich, gilt dort – aus Sicherheits- und Sauberkeitsgründen – meist bis heute ein Garderobenzwang. Den sollte man auch für Restaurants einführen! Zum Nutzen des Gasts, denn eine Garderobe dient der Langlebigkeit des Kleidungsstücks: An einem Bügel ist es besser aufbewahrt als über einer Rückenlehne, die das Futter zerreissen kann und an der man sitzend den nach vorne ragenden Kragen zerknittert.

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Wenn das gute Stück am Ende des Abends nicht zerknautscht wie aus einem Kuhmaul aussieht, so stinkt ist doch oft wie aus einem Schweinestall.
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Und wenn das gute Stück am Ende des Abends nicht zerknautscht wie aus einem Kuhmaul aussieht, so stinkt es doch oft wie aus einem Schweinestall, weil es unmittelbar neben stark riechenden Speisen wie Fondue, Fritten oder Filet-Grilladen ausgebreitet war.

Noch schlimmer, wenn Fett- oder Weinspritzer auf der ummantelten Rückenlehne landen – den Wirt freuts, denn so ist sein Stuhl geschützt. Und überlange Jacken und Mäntel, die mit dem Saum auf den Boden reichen, wischen gleich noch den Boden auf. Manche Gäste benutzen deshalb eine freie Sitzfläche als Ablage für ihre langen Überkleider. Aber das sieht dann aus wie an einem Wühltisch mit Sonderrabatt eines Billigkleiderladens und ist so unhöflich wie die Tasche auf dem freien Nebensitz in öffentlichen Verkehrsmitteln.

Rechtliche Verpflichtung des Wirts

«Mini Jagge hät en Innetäsche / wo immer voll isch mit Züüg», singt die Schweizer Band Dabu Fantastic in einem ihrer Hits. Tatsächlich stecken speziell Männer Smartphone, Portemonnaie und Schlüssel am liebsten in Jacken und nehmen sie deshalb an den Tisch. Denn während Frauen dafür seit jeher modische Handtaschen haben, blieben den Männern bis vor kurzem bloss abschreckende Horst-Schlemmer-Herrentaschen. Doch mittlerweile gibt es schön designte, kleinformatige Umhängetaschen für persönliche Effekten.

Doch selbst wenn die Wertsachen nicht mehr in den Innentaschen sind, befürchten viele, die Markenjacke oder der teure Wintermantel könnte in der Garderobe abhandenkommen – durch eine banale Verwechslung oder einen mutwilligen Diebstahl. Wenn dann dort noch ein Schildchen steht mit der Aufschrift «Für die Garderobe wird nicht gehaftet», dann ist das der Vertrauensbildung nicht zuträglich. Es wirkt gleich so, als dürfte der Wirt ungestraft Tomatensauce über die Kleider schütten.

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Während Frauen seit jeher modische Handtaschen haben, blieben den Männern bis vor kurzem bloss abschreckende Horst-Schlemmer-Herrentaschen.
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Gemäss Artikel 100 im Schweizerischen Obligationenrecht (OR) darf der Aufbewahrer die Haftung ausschliessen, allerdings nur, wenn er für die Aufbewahrung kein Entgelt verlangte. Ganz aus der Verantwortung kann er sich allerdings nicht stehlen. Denn Artikel 472 des OR besagt, dass der Gastgeber mit der Entgegennahme einer persönlichen Sache einen Hinterlegungsvertrag abschliesst: Dadurch wird der Aufbewahrer dazu verpflichtet, das ihm anvertraute Gut zu übernehmen und sicher aufzubewahren.

«Grund dafür ist die Corona-Pandemie»

Das rührt an den Kern des französischen Worts Garderobe: Es ist eine imperativische, also befehlende Zusammensetzung aus «garder» für bewachen, bewahren, hüten und «robe» im Sinn von Rock und Gewand. Eine Verpflichtung, zu der immer weniger Gastronomen bereit sind. Gerade in der aktuell personell angespannten Lage verzichten sie lieber gleich ganz auf eine Garderobe und fördern dadurch den Trend zur Zweckentfremdung des Stuhls.

«Tatsächlich ist zu beobachten, dass Gäste die Garderobe vermehrt mit an den Tisch nehmen», sagt Gastrosuisse-Direktor Daniel Borner (58). Das liegt seiner Ansicht nach aber nicht am fehlenden Willen der Wirtinnen und Wirte. «Grund dafür ist die Corona-Pandemie», sagt er. «Im Rahmen der Schutzkonzepte war vom Bund vorgegeben, dass die Garderoben geschlossen werden mussten und kein Garderobenservice gemacht werden durfte.»

Daher geht Gastrosuisse davon aus, dass sich die Situation wieder verändern werde – auch vor dem Hintergrund, dass professioneller Garderobenservice in gehobenen Betrieben sehr wohl noch zu erleben sei. Oder wie es der Schweizer Stilexperte Jeroen van Rooijen (52) einmal formulierte: «Ein Restaurant, das diesen Service nicht anbietet, verdient seine Qualifikation als Gaststätte nicht.»


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