Welchen Einfluss hat Pornografie auf Beziehungen?
Keinen so guten. Sexualtherapeutin Esther Elisabeth Schütz beobachtet, dass Männern nach der ersten Verliebtheitsphase heute oft die Lust vergeht, während sie früher weniger Probleme hatten, in Langzeitbeziehungen sexuell aktiv zu sein. Denn die Partnerin könne mit den wechselnden Reizen der Internetpornografie nicht mithalten, wie sie jüngst der «NZZ am Sonntag» sagte. Oft erfahren die Frauen nichts vom Pornokonsum ihrer Männer. Wenn doch, verunsichert es sie, wie die Sexualtherapeutin Ursina Brun del Re kürzlich dem SonntagsBlick Magazin sagte. Die Frauen würden sich hintergangen und betrogen fühlen.
Wer schaut Pornos?
Der durchschnittliche Pornogucker ist 36 Jahre alt und männlich. Und er bevorzugt Amateurclips. Das zumindest zeigen die Statistiken von Pornhub, der weltweit grössten Plattform für Pornofilme. Der Anteil pornofiler Frauen beläuft sich je nach Land zwischen 25 und 39 Prozent.
Welche Unterschiede gibt es beim Pornokonsum von Männern und Frauen?
Die Universität Giessen (D) hat herausgefunden, weshalb Männer mehr mit Pornografie anfangen können. Das männliche Gehirn reagiert stärker auf sexuelle Reize. Bei ihm wird das Belohnungssystem stärker aktiviert. Wenn es um die Vorlieben geht, sind die Unterschiede gemäss den Statistiken der Plattform Pornhub gar nicht so gross. Bei den Frauen ist «lesbisch» die beliebteste Kategorie, während Männer am meisten auf «japanische» Pornos stehen. Beides sagt aber beiden zu, genauso wie «Dreier», «Amateur» oder «anal». Auffallend ist vielleicht ein anderer Unterschied: Frauen bevorzugen viel öfter als Männer Filme, in denen «Vagina lecken», «fingern», «Romantik» und «Gangbang» vorkommen.
Wie beeinflusst Pornografie das Körperbild von Frauen?
«Das Körperbild der Frau wird dadurch nur unwesentlich beeinflusst», sagt Ben Kneubühler, Psychologe und Psychotherapeut am Institut für Sexualpädagogik und Sexualtherapie (ISP). Die Forschung zeige, dass Frauen weniger typische Mainstream-Darstellungen und -Filme konsumieren. Wenn Männer solche Filme schauten, liege ihr Fokus weniger auf diesen Attributen. Denn: «Während der sexuellen Erregung ist es den meisten Männern nicht das Wichtigste, ob die Frau einen ‹perfekten› Körper hat oder nicht», sagt Kneubühler. Sexuelle Darstellungen hätten viel stärker einen Einfluss auf die Rollenbilder und Erwartungen an sich und das Gegenüber im Bett als auf das Körperbild im psychologischen Sinn. «Das Körperbild ist viel stärker durch Mode und Darstellungen in Social Media geprägt», so der Psychologe. Schliesslich hänge das Körperbild nicht nur von dem ab, was wir sehen, sondern auch davon, wie wir unseren Körper wahrnehmen und uns darin wohlfühlen. Deswegen, so raten Sexualpsychologen, ist es bei Jugendlichen wichtig, emotionale und körperliche Kompetenz zu vermitteln. Also die Fähigkeit zu fördern, den eigenen Körper anzunehmen.
Worin liegt die Gefahr für Männer?
Selbstbefriedigung anstatt Sex: Der erste Mann, der diese Entscheidung trifft, ist Onan aus der biblischen «Genesis» – auf ihn geht der Begriff Onanie zurück. Mit üblen Folgen: Gott tötet ihn. Männer, die heute onanieren, kommen zwar nicht ums Leben. Aber Konsequenzen hat es durchaus, wie verschiedene Studien zeigen. So haben gemäss Psychologen Männer mit einem erhöhten Pornokonsum grosse Mühe mit realen Beziehungen. Das lässt sich durch Zahlen belegen: Bei Männern, die sich übers Internet befriedigen, besteht eine 60 Prozent höhere Scheidungswahrscheinlichkeit und eine um 80 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit für eine aussereheliche Affäre als bei Männern, die keine Pornos schauen.
Ab wann ist Pornografie schädlich?
Die meisten Leute konsumieren Pornografie in Massen. Pornosucht betrifft in der Schweiz laut Schätzungen 300’000 Menschen. Alarmiert sollte sein, wer täglich schaut und zudem feststellt, dass er immer mehr und immer extremere und unkonventionellere Filme sehen muss. Sobald der Pornokonsum zum Zwang wird, man Verabredungen absagt oder die ganze Freizeit oder Arbeitspausen mit Pornogucken verbringt, sollte man sich Hilfe holen.
Was passiert beim Pornokonsum im Hirn?
Pornokonsum belohnt das (zumeist männliche) Hirn mit einem kurzfristigen Dopamin-Anstieg. High durch Hardcore. Das Glückshormon hebt die Stimmung für ein, zwei Stunden und sorgt für ein generelles Wohlgefühl. Dasselbe Hormon beglückt das Hirn allerdings auch, wenn man Kokain schnupft oder Glücksspiel betreibt. Und hier zeigt sich das Problem: All diese Tätigkeiten können süchtig machen. Und Sucht bedeutet: Man braucht mehr und stärkeren Stoff, um den Dopamin-Ausstoss hoch zu halten. Im Fall von Pornografie bedeutet das: Konsumenten schauen zunehmend härteres Material – bis hin zu Gewaltdarstellungen mit Frauen oder Pornos mit Kindern.
Führt übermässiger Pornokonsum zu sexueller Gewalt?
Die Hinweise verdichten sich, dass dem so ist. In der «NZZ am Sonntag» sagte Ende Januar Andreas Hill, Leitender Arzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, Pornokonsum erhöhe gemäss aktueller Metastudien die Zahl sexueller Übergriffe auf Frauen. Er zitiert eine schwedische Studie, nach der 10,5 Prozent der befragten 18-jährigen Männer täglich Pornofilme schauten. Mehr als die Hälfte gaben an, dass sie das, was sie sahen, selbst ausprobierten. Und ein Viertel beging dabei auch sexuelle Übergriffe. In einer britischen Studie gab eine Mehrheit eher junger Pornokonsumenten zu, ihre Sexpartnerinnen zum Analsex zu überreden, wenn diese sich zierten. Hinzu kommt, was der SonntagsBlick 2018 publik machte: Monika Egli-Alge, Geschäftsführerin des Forensischen Instituts Ostschweiz (Forio), trifft immer häufiger auf Männer, die sich Kinderpornografie ansehen – aber nicht pädophil sind. Wegen des Suchteffekts, den Porno haben kann. Weil bei manchen irgendwann ein gewöhnlicher Sexfilm für den Kick nicht mehr reicht.
Ist Pornodarstellerin ein Traum- oder Knochenjob?
Ein Knochenjob, keine Frage. In der US-Pornoindustrie dauert eine Karriere oft nicht länger als sechs Monate. Das hat mit dem Pornoboom auf Youporn und Co. zu tun: immer mehr Konsumenten, immer mehr Filmchen, immer mehr Anbieter, immer mehr Darsteller. Um als solche im Business bestehen zu können, gehen Letztere schneller mal an ihre eigenen Grenzen. Stichwort: Analsex. Laut einer US-Umfrage sind junge Darstellerinnen schon nach sechs Monaten dazu bereit, eine Analszene zu drehen. In den 80ern warteten sie dafür im Schnitt zwei Jahre. Einer anderen Studie zufolge hat der Job generell für die Darsteller gesundheitliche Folgen: 70 Prozent der Männer haben Erektionsprobleme. Hinzu kommt, dass die Streaming-Plattformen zu Drehscheiben für Filme wurden, die ohne Einwilligung der Beteiligten ins Netz gestellt werden. Es gibt auch Fälle, in denen Videos von sexuellen Übergriffen und sogar Vergewaltigungen auf Pornoseiten landen.