Porno-Gigant aus Luxemburg
Ein Zuhälter namens Mindgeek

Alle haben von Facebook, Google und Netflix gehört – doch einen global aktiven Techgiganten kennt niemand. Dabei bestimmt Mindgeek zunehmend unsere Sexualität. Mit einem ausgeklügelten Geschäftsmodell und einem Nahezu-Monopol auf Pornografie.
Publiziert: 11.02.2020 um 00:52 Uhr
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Aktualisiert: 31.12.2020 um 09:48 Uhr
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Die kanadische Sexplatform Pornhub, hier auf der Fachmesse Dmexco 2019  in Köln, ist die weltweit meistgenutzte Pornowebseite.
Foto: imago images / Future Image
Silvia Tschui

Früher mussten Jungs (und Männer) was tun, um zu Pornografie zu kommen. Ob man nun heimlich beim Vater die «Penthouse»-Heftli geklaut hat, um sie nachher im Baumhaus den Schulkollegen zu zeigen, oder ob man als Erwachsener zum Kiosk gehen und verschämt ein «Füdliblatt» zwischen die «NZZ» gelegt hat – Pornokonsum war mit Heimlichkeit behaftet und mit ziemlich viel Scham. Heute ist alles anders. Die Heftli sind im grossen Ganzen vorbei, sogar der jahrzehntelange Marktführer «Playboy» hat schon 2016 bekannt gegeben, auf volle Nacktheit zu verzichten – «in Zeiten, in welcher jeder erdenkliche Sexakt nur ein Mausklick weit weg ist, ist unser Konzept passé», hat damals «Playboy»-CEO-Scott Flanders gesagt.

Heute wird Pornografie gratis auf Handys und Computern gestreamt – und es lässt sich mehr Geld damit verdienen denn je. Nach diversen Schätzungen setzt die Pornoindustrie weltweit ungefähr 97 Milliarden US-Dollar pro Jahr um – das ist viel mehr als Hollywood mit 11,1 Milliarden und Netflix mit 11,7 Milliarden zusammen.

Eine Firma, unzählige Pornowebseiten

Die beliebtesten Portale heissen Pornhub (33,5 Milliarden Besuche im Jahr 2018) und Youporn (4 Milliarden Besuche). Ihnen und sehr vielen anderen Sexportalen ist eines gemeinsam. Sie gehören alle derselben Firma: Mindgeek. Das in Kanada 2004 gegründete Unternehmen mit heutigem Hauptsitz in Luxemburg kauft ab 2010 diverse Pornoseiten – mittlerweile sind es fast hundert – und Pornoproduktionsfirmen und -studios auf und beschäftigt heute rund 1400 Mitarbeiter an Standorten wie Luxemburg, den Britischen Jungfaueninseln, Kanada, Curaçao, Zypern, Deutschland, Irland, Mauritius, den Niederlanden, England und den USA. Sie wiesen 2015 einen Gewinn von 460 Millionen US-Dollar aus.

Datenkrake Mindgeek analysiert jeden Klick

Seit einigen Jahren ist Mindgeek sozusagen ein Monopolist auf dem Pornomarkt und hat damit Zugang zu so vielen Daten, dass die Firma sich besser in den Hirnen der Pornobenutzer auskennt als Siegmund Freud und sämtliche Sexualtherapeuten zusammen. Zwei Milliarden Menschen greifen pro Monat auf eine der Mindgeek-Pornoseiten zu, 42 Milliarden Besuche verzeichnete 2019 allein die Seite Pornhub. Das beschert Mindgeek eine unfassbar riesige Datensammlung zu den geheimsten und häufigsten sexuellen Wünschen ganzer Länder und Gesellschaftsschichten. Jede Suchanfrage, jedes Stichwort, jeder Klick, jede Verweildauer wird registriert, gespeichert, analysiert und ausgewertet.

Mindgeek benutzt diese Daten in mehrfacher Weise: Zum einen weiss die Firma ganz genau, was der einzelne Nutzer mag – und schaltet so gezielt individualisierte Werbung auf die IP-Adresse des Nutzers – dies ist Mindgeeks erste Einnahmequelle. Zum anderen wertet die Firma die gesammelten Daten und Suchanfragen aus, erkennt länderweite, globale oder auch altersspezifische Trends und verfeinert diese mit sogenanntem A/B-Testing. Das heisst: Mindgeek testet die Wirkung ihrer Filme, in dem Nutzern leicht voneinander abweichende Pornos gezeigt werden. So weiss Mindgeek etwa genau, welche Unterhosenfarbe an welchem Körper am besten ankommt.

Auch Pornoproduktionsfirmen gehören zum Imperium

Mit diesen Daten füttert Mindgeek nun seine zweite Einkommensquelle: für den Massengeschmack wie auch für Nischen massgeschneiderte Pornofilme, für die Nutzer schliesslich auf unzähligen Seiten bezahlen. Denn zu Mindgeek gehören nicht nur die Gratis-Streaming-Seiten wie Pornhub, sondern auch Bezahlseiten wie Brazzers, Digital Playground, Men.com usw. Mindgeek unterhält sogar Pornoproduktionsfirmen und Filmstudios. Und das ist das Geheimnis, wie Mindgeek Gewinn macht – im Jahr 2015 ganze 460 Millionen US-Dollar, obwohl die Pornografie auf dem Handy und Computer grösstenteils vermeintlich gratis ist. Zahlen tut der User wie bei allen Diensten, die gratis sind, mit seinen nutz- und verkaufbaren Daten.

Als dritte Einkommensquelle führt Mindgeek auf seinen Gratisseiten ein ausgeklügeltes System. Jeder kann einen Account einrichten und mit eigenen Sexvideos oder Liveshows via Webcams Geld verdienen, etwa durch geschaltete Werbung oder durch «Tips» genanntes Trinkgeld von Zuschauern. Natürlich zweigt der Webseitenbetreiber, also letztendlich Mindgeek, je nach gewähltem Modell einen grösseren oder kleineren Teil für sich ab – wie ein klassischer Zuhälter.

Der Niedergang der Schmuddelfilm-Produzenten

Mit seinem Geschäftsmodell hat Mindgeek eine ganze Branche komplett umgekrempelt. Professionelle Schmuddelfilm-Produzenten, die ihre Filme gegen Bezahlung an den Kunden liefern, sei es als Video oder DVD, gibt es heute praktisch nicht mehr. Stattdessen hat Mindgeek das Geschäft uberisiert: Wie der kalifornische Taxidienstleister stellt die Techfirma aus Luxemburg eine Plattform zur Verfügung – die von selbständigen Amateurdarstellern genutzt wird, um ihre Videos unters Volk zu bringen. Allein im letzten Jahr meldeten sich gemäss Pornhub 98'000 neue Darsteller an. Pro Streaming gibt es eine kleine Entschädigung – ähnlich wie bei Musikplattformen wie Spotify. So hat es Mindgeek praktisch zum Monopol gebracht.

Mindgeek verdient sogar am Schutz vor Mindgeek

Gänzlich absurd wird dieses Monopol, sieht man sich eine seit kurzem stattfindende Posse in England an: Dort versucht die britische Regierung, Kinder von Pornografie fernzuhalten. Altersüberprüfungen, via Identifikationsausweisen oder Kreditkarten, sollen auf Pornowebseiten dafür sorgen, dass niemand unter 18 Jahren die gängigen schlüpfrigen Seiten nutzen kann. Die britische Regierung hat über diverse Sicherheits-Unterlieferanten schliesslich ein Altersbegrenzungssystem gekauft, das wohl wer entwickelt hat? Sie ahnen es: Mindgeek, die Firma, welche auch gleich noch vom Problem profitiert, welches es selber schafft.

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