Darum gehts
- Trend zur «Mikro-Rente»: Junge nehmen längere Auszeiten für persönliche Entwicklung
- Auszeiten bieten Vorteile für mentale Gesundheit, Selbstentfaltung und neue Erfahrungen
- Junge fühlen sich stärker von Stress belastet und orientierungslos bei Entscheidungen
Der Blick auf die Rentenzukunft fällt nicht allzu rosig aus. Immer mehr Menschen beziehen länger Rente – zugleich wird sie von weniger Erwerbstätigen finanziert. Besonders bei den jüngeren Generationen sorgt das für Unsicherheit. Darum stellen sich immer mehr die Frage: Lohnt sich das klassische Durcharbeiten bis zum Rentenalter überhaupt noch?
Vor allem bei der Generation Z zeichnet sich der Trend zur «Mikro-Rente» ab. Dahinter stecken längere berufliche Auszeiten, die der persönlichen Weiterentwicklung dienen sollen. Blick hat mit einem Generationenforscher über den Trend gesprochen und erklärt dir die wichtigsten Punkte.
Mentale Gesundheit
Nach der Arbeit komplett ermattet aufs Sofa fallen. Noch irgendwas machen? Keine Chance. Wenn die Work-Life-Balance aus dem Gleichgewicht ist, sehnen sich viele nach mehr Zeit für sich selbst. Mögliche Lösung: eine längere Auszeit, um die mentale Gesundheit zu schützen.
«Junge Menschen heute empfinden deutlich mehr Stress als junge Menschen vor ein paar Jahren und deutlich mehr als alle andere Generationen innerhalb der Gesellschaft», stellt Psychologe und Generationenforscher Rüdiger Maas (46) vom Institut für Generationenforschung klar. Das hat eine aktuelle Studie des Instituts ergeben.
Das lasse sich zum einen über die subjektive Wahrnehmung von Stress allgemein oder im Alltag und bei der Arbeit erklären, so Maas. Junge steigerten sich stärker in eine negative Betrachtung herein: «Jetzt muss ich das auch noch, wo bleibt da die Me-Time», während ältere Generationen im gleichen Alter den Stress vielmehr als «Teil des Lebens» akzeptierten, so der Experte. Auch der Konsum an Informationsverarbeitung über die sozialen Medien steigere das generelle Stressbefinden.
Selbstentfaltung
Eine «Mikro-Rente» kann mehr Zeit einräumen, sich endlich all den Dingen und persönlichen Zielen zu widmen, die im Arbeitsalltag sonst untergehen. Das kann zum Beispiel der Sprachkurs sein, den man schon vor Ewigkeiten beginnen wollte. Auch Zeit für Eigenreflexion bietet sich an – was ist mir wichtig, was will ich erreichen? Damit bleibt zudem Raum zur Neuorientierung.
Wichtig bei einer Auszeit: Die finanzielle Absicherung nicht aus den Augen verlieren. Es braucht eine solide Planung, Sparmassnahmen oder alternative Einkommensquellen wie Nebenjobs. Auch die Lücke im Lebenslauf sollte bei Bewerbungsgesprächen gut begründet werden. Denn im Gegensatz zu einem Sabbatical muss man sich im Anschluss wieder neu auf dem Arbeitsmarkt bewerben. Die Altersvorsorge sollte ebenfalls nicht ignoriert werden, denn bei einer Auszeit sind die Renteneinzahlungen vermindert.
Die Unsicherheit, sich selbst zu entwickeln, führt Rüdiger Maas auf Überbehütung der Eltern und der Institutionen (Schule, Uni, Ausbildung) zurück. Die «erlernte Hilflosigkeit» werde gesteigert, während die Verantwortung verstärkt nach aussen gegeben werde. Die sozialen Medien würden dies noch verstärken.
Orientierungslosigkeit
Der Generationenforscher Maas verdeutlicht, dass die moderne Gesellschaft, die unzählige Optionen bereithält, für Orientierungslosigkeit sorgen kann: «Wir nennen das kurz FOBO (Fear of better option), die am Ende zu einer Optionsdepression führt. Da die Auswahl in vielen Bereichen so gross ist, haben immer mehr junge Leute das Gefühl, sich nicht mehr richtig entscheiden zu können. Permanent haben sie die Angst, sich falsch entschieden zu haben.»
Hier zeige sich auch ein Generationenunterschied, so Maas: «Ältere Menschen hatten in ihrer Berufswahl nicht diese Auswahlmöglichkeiten, sie hatten viel mehr Konkurrenz auf den Arbeitsmarkt (geburtenanzahlbedingt).» Man sei deshalb viel stolzer gewesen, eine umkämpfte Stelle zu erhalten. Ein Grund, auch länger im entsprechenden Job zu bleiben.
Mittlerweile sei dies anders: «Wenn sich heute fünf Unternehmen bei mir bewerben, bin ich Kunde und kein Bewerber mehr. Das Gefühl, stolz darauf zu sein, den Job zu bekommen, ist dadurch maximal unterminiert.»
Umdenken in der Arbeitswelt
Sechs Monate mit dem Rucksack von Südostasien über Australien nach Südamerika – Erfahrungen und Herausforderungen, an denen man wächst und seine Blickweisen erweitert. Dies kann eine Auszeit bieten. Oder man unterstützt eine soziale Organisation oder ein Förderprojekt, erweitert die eigenen Kompetenzen und kann etwas bewegen.
Rüdiger Maas verdeutlicht, dass es aber vor allem ein Umdenken in der Arbeitswelt braucht: «Wir müssen den Jungen wieder das Gefühl geben, stolz auf das Geschaffte zu sein. Und zwar nicht, indem wir sie ständig für alles Mögliche loben, sondern indem wir wieder Herausforderungen schaffen, an denen man sich messen kann.»
Unternehmen sollten bei Bewerbungen mehr auf Qualität setzen, auch wenn dies bedeute, weniger Bewerbungen zu erhalten: «Die Hürden sollten wieder höher gesetzt werden, um so den Neuen die Chance zu geben, wieder stolz darauf zu sein, genommen worden zu sein.»