Neuartige Verpackung für Lebensmittel
Zweite Haut für die Orange

Detailhändler experimentieren mit neuartigen Verpackungen für Früchte und Gemüse. Damit wollen sie Foodwaste und Plastik reduzieren.
Publiziert: 26.05.2020 um 17:00 Uhr
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Aktualisiert: 10.07.2020 um 15:18 Uhr
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Frische Gurke: Neue sogenannte Coatings sollen den Zerfall aufhalten.
Foto: pixabay
Caroline Freigang («Beobachter»)

Zitronen, die nicht nach einer Woche schimmeln, Erdbeeren, die nicht gleich matschig werden, Gurken, die auch ohne Plastik knackfrisch auf dem Teller landen: Das klingt zu schön, um wahr zu sein. Doch mehrere Firmen arbeiten an Lösungen.

Etwa das von Bill Gates unterstützte kalifornische Start-up Apeel. Es hat ein sogenanntes Coating entwickelt, eine hauchdünne, essbare Schicht, die zum Schutz auf Früchte und Gemüse gespritzt wird. Sie soll die Haltbarkeitszeit verdoppeln oder gar verdreifachen – und macht es möglich, Frischware ohne Plastikverpackung zu verkaufen.

Die Luft bleibt draussen

Die Produkte verlieren mit dem Coating weniger Wasser, und weniger Sauerstoff dringt ein. So wird der Zersetzungsprozess verlangsamt, die Ware bleibt länger frisch.

Die neuartigen Schutzschichten bestehen aus pflanzlichen Materialien, meist aus Abfällen wie Traubenkernen, Stielen und Samen. Sie sind geruch und geschmacklos, und man fühlt sie nicht – anders als bei Wachs, das ebenfalls als Konservierungsmittel verwendet wird. Apeel hat bereits für 30 Sorten Rezepturen entwickelt, etwa für Avocados, Heidelbeeren, Pfirsiche, Tomaten. Denn jedes Produkt verdirbt anders.

Die Coatings könnten Händler aus einem grossen Dilemma retten. Denn die wollen zwei Dinge zugleich: auf Plastik verzichten und garantieren, dass die Lebensmittel möglichst lange haltbar bleiben. Bislang gab es dafür keine befriedigende Lösung, Plastik galt oft als beste Option. Das zeigt sich etwa bei Gurken, die durch Plastikfilme besonders in den Wintermonaten vor Wasserverlust geschützt werden.

Umhüllte Lebensmittel halten länger

Mit der unsichtbaren Schutzschicht könnte nicht nur bei Gurken der Plastikmüll reduziert werden. Das Potenzial ist riesig, zeigt eine Studie des Konsumentenschutzes vom letzten Jahr: 83 Prozent des Bio-Gemüses sind in Plastikfolien eingepackt.

Die Coatings dürften aber vor allem gegen Foodwaste helfen, weil umhüllte Lebensmittel länger haltbar bleiben. In der Schweiz fallen pro Jahr 2,8 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle an. Das Magazin «Forbes» spricht sogar von einer «potenziellen Lösung für den Hunger auf der Welt».

In Deutschland verkaufen erste Detailhändler wie Edeka und Rewe Lebensmittel mit Coatings. Edeka hat Avocados, Orangen und Clementinen mit der Apeel-Schutzschicht im Regal, Konkurrent Rewe verkauft Avocados mit Schutzhüllen auf Fruchtzuckerbasis der britischen Firma Agricoat Natureseal. Detailhändler in Dänemark und Grossbritannien haben ebenfalls erste Produkte mit «zweiter Haut» auf den Markt gebracht.

Weniger Pestizide

Auch in der Schweiz laufen erste Tests mit Coatings. Die Migros arbeitet mit dem Schweizer Start-up Agrosustain zusammen, einem Spin-off der Universität Lausanne. In den Migros-Regalen finden sich aber noch keine entsprechenden Produkte. Die neuen Coating-Verfahren seien insbesondere für schnell verderbliche Früchte und Gemüse interessant, sagt ein Migros-Sprecher. Ziel sei es, die Haltbarkeit der Produkte zu optimieren und Foodwaste zu reduzieren – aber auch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Denn ein weiterer Nebeneffekt der Coatings ist laut Herstellern, dass weniger Pestizide eingesetzt werden müssen.

Auch Coop testet das Verfahren – man will aber nicht verraten, mit welchen Partnern. Bei Aldi Suisse heisst es, man arbeite mit den Lieferanten daran, den Einsatz in der Schweiz bald zu testen. Konkurrent Lidl Schweiz beobachtet das Thema Schutzfilme immerhin «mit grossem Interesse».

Kaffeekapseln im Visier

Verpackungsexperte Selçuk Yildirim von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) sieht beim Coating auch Potenzial für Nicht-Frischwaren. Auch er arbeitet mit seinem Team an innovativen Verpackungen. Das sei wichtig. Dann müsste man Kaffee nicht mehr in Alu- und Plastikkapseln verkaufen und so tonnenweise Abfall produzieren, sagt er. Man könnte auch mit biologisch abbaubaren Hüllen arbeiten.

Für ihre Coatings nutzen die ZHAW-Forschenden Abfallprodukte wie Kaffeesatz sowie Schalen von Kartoffeln und Kakaobohnen. Daraus extrahieren sie Substanzen für Verpackungen. Aus dem Panzer von Krustentieren und Insekten haben sie Chitosan gewonnen und damit eine unsichtbare Schutzschicht für Lebensmittel getestet. Chitosan-Schichten seien antibakteriell und biologisch abbaubar.

Coatings funktionieren aber nicht für alle Produkte. «Fleisch zum Beispiel kann man nicht beschichten. Das muss in einer festen Verpackung verkauft werden, die Schutzgase enthält. Nur so bleibt es möglichst lange haltbar», sagt Selçuk Yildirim. Und Beeren müsse man mit stabilen Verpackungen für den Transport schützen.

Wegen der Corona-Pandemie werde es jetzt zusätzlich notwendig, zu untersuchen, wie hygienisch diese Hüllen sind, so Yildirim. Offen sei zum Beispiel, ob Mikroorganismen oder Viren besser auf Coatings haften als auf der unbeschichteten Frucht oder auf Plastik.

Plastik boomt im Moment auch genau wegen seiner schützenden Eigenschaften. Verpackte Früchte und Gemüse scheinen in Pandemiezeiten plötzlich wieder Vorteile gegenüber lose verkauften Waren zu bieten.

Plastik besser recyceln

Plastik habe zu Unrecht ein derart schlechtes Image, sagt Yildirim. Es sei ein gutes Material, um Qualität und Haltbarkeit von Lebensmitteln sicherzustellen. Das Problem sei die Entsorgung. «Wir brauchen weltweit einen besseren Umgang mit Plastik, bessere Wiederverwertungsund Recyclingsysteme.» Es gebe zwar bereits Plastik aus nachwachsenden Rohstoffen als Alternative. Das mache bis heute aber nur einen kleinen Teil des verwendeten Plastiks aus.

Das grössere Problem sei, dass in vielen Ländern Verpackungen gänzlich fehlten und dadurch die Lebensmittelverschwendung enorm sei. «Auch hier könnten die einfach aufzutragenden Coatings das Problem entschärfen.»

Beobachter
Artikel aus dem «Beobachter»

Dieser Artikel wurde aus dem Magazin «Beobachter» übernommen. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.beobachter.ch

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