Darum gehts
- Campingplatz Morteratsch in Pontresina GR erlebt Rekordwinter
- Gäste schätzen Naturerlebnis, Wintersport und Privatsphäre trotz enger Platzverhältnisse
- Winterübernachtungen auf Schweizer Campingplätzen haben sich seit 2014 mehr als verdoppelt
In der Nacht heulte der Wind um die Wohnmobile und Schlaffässer, die sich über ein weitläufiges Gelände verteilen. Frühmorgens ist es still. Eine dicke Schneeschicht liegt auf dem Waldboden; die hohen weiss-grauen Bergflanken glitzern in der Sonne. Campingplatz-Betreiber Peter Käch (62) schaufelt den Neuschnee vor der Treppe zum Campingladen weg.
Der Campingplatz Morteratsch in Pontresina GR liegt auf einer Höhe von 1860 Metern über Meer inmitten der Engadiner Bergwelt und ist 365 Tage im Jahr offen. Im Sommer gibt es rund 500 Stellplätze, im Winter ist es etwa die Hälfte. Nahezu alle Plätze sind belegt. Hinzu kommen Miethäuschen, Schlaffässer und Zelte. «Diese Saison gibt es wohl wieder einen Rekordwinter», sagt Peter Käch.
Das schöne Wetter im November habe zum Saisonstart dreimal mehr Menschen auf den Campingplatz gelockt als in anderen Jahren. Die meisten, die hier im Winter campen, sind Wintersportfans. Sie fahren Ski, langlaufen, wandern, schlitteln, snowkiten auf den weiten Flächen am Berninapass oder besuchen die zahlreichen Events und Wettkämpfe im Tal. «Die Vielfalt, die das Engadin auf begrenztem Raum bietet, gibt es sonst nirgends in den ganzen Alpen», sagt Käch. Und hier oben, auf Europas höchstgelegenem Ganzjahres-Camping, gebe es nicht nur viel Schnee, sondern meistens auch Sonne.
Viermal so viele Wintergäste wie vor zehn Jahren
Wintercamping erfährt derzeit einen bemerkenswerten Boom. Laut Bundesamt für Statistik hat sich die Anzahl Winterübernachtungen auf Campingplätzen in den letzten neun Jahren mehr als verdoppelt. Waren es in der Wintersaison 2014/15 noch rund 72’000, sind es im Winter 2023/24 knapp 145’000. Auf dem Campingplatz Morteratsch nächtigten diesen Winter sogar viermal so viele Gäste wie im Winter 2014/15.
«Wegen der engen Verhältnisse an ihrem Wohnort, Arbeitsplatz und im Verkehr wollen viele Menschen auch im Winter raus in die Natur», vermutet Peter Käch. Auch wenn man auf seinem Stellplatz nur wenige Meter Abstand habe zum Nächsten – wenn dazwischen ein halber Meter Schnee liegt, wirke es nach mehr. «Da ist man wirklich auf seiner Insel und hat seine Privatsphäre», so Käch.
Zwei Gäste, die wegen des Engadiner Skimarathons auf dem Campingplatz weilen, sind Rick (61) und Mare Peters (65) aus dem US-Bundesstaat Oregon. Mit einer Zeit von 2:22 Stunden für eine Strecke von rund 42 Kilometern gehört Rick Peters bei den Männern zum besten Drittel. Es ist nicht der erste Winter, den das amerikanische Paar mit Schweizer Pass auf dem Campingplatz Morteratsch verbringt.
Aneinanderkuscheln gegen die Kälte
Meistens bleibt das Paar im Winter für zwei bis drei Wochen im Engadin, es geniesst die schöne Natur, den Wintersport und die Sonne. Ein kleiner elektrischer Ofen sorgt im Inneren des Campers für etwas Wärme, doch nachts mummeln sich die beiden in dicke Winterschlafsäcke und viele Decken ein, kuscheln sich eng aneinander und tragen Mützen zum Schlafen. Es kann im Camper so kalt werden, dass die Bananen gefrieren.
Durchschnittlich bleiben Wintergäste – es sind vor allem Schweizer – vier bis fünf Tage. Der Campingplatz erstreckt sich über eine Fläche von einem Quadratkilometer, dazu gehören zwei Seen, Bäche, Wald und ein Naturschutzgebiet. Gäste verpflegen sich im kleinen Campingrestaurant, wo es Capuns und Gemüsepizokel gibt, im Hotel-Restaurant am Bahnhof oder setzen sich ins Bistro im kleinen Laden.
Neben dem Campingladen führt eine Treppe runter zum Bächli, darüber erstreckt sich eine kleine Holzbrücke. Einige Dutzend Meter weiter findet man – spätabends mithilfe einer Taschenlampe – das moderne Wohnmobil von Ruth (63) und Eugen (65) Hänggi aus Grellingen BL. Die Hänggis campen schon seit über 40 Jahren, früher mit ihren zwei Kindern, heute zu zweit. Auf dem Campingplatz Morteratsch weilten sie schon letzten Mai.
Schneespaziergänge und Kutschenfahrten
Doch das Campieren im Winter ist für beide eine Premiere. «Wir haben uns dieses neue Wohnmobil erst im Herbst gekauft und wollten es gleich ausprobieren. Es ist grösser als der VW California, den wir vorher hatten, und bietet mehr Komfort», erzählt Eugen Hänggi. Täglich kocht das Paar in seinem Camper, auch ein Fernseher gehört zur Ausstattung. Hier oben sind die beiden, um ihre Ruhe zu geniessen. «Bei uns im Baselbiet hat es im November einmal einen halben Meter Schnee und dann nichts mehr, hier aber ist es im Winter noch Winter», so Eugen Hänggi. Ihre Tage im Engadin verbringt das Paar mit ausgedehnten Schneespaziergängen und Ausflügen mit der Bahn. Einmal fuhr es auch mit der Kutsche ins Rosegtal.
In der Nacht werde es im Wohnmobil bis 20 Grad warm, das sei mit warmen Decken optimal zum Schlafen. Und dank des eingebauten WCs müssen die Hänggis nachts nicht frierend den langen rutschigen Weg zur Sanitäranlage schlurfen. «Camping ist genau das Richtige für uns», erzählt Eugen Hänggi, «da hilft man einander, man ist wie eine grosse Familie, das ist etwas vom Schönsten, das es gibt.» Doch den Campingboom spürt das erfahrene Camping-Paar deutlich. «Gegenüber der Vor-Corona-Zeit ist heute das Spontane verloren gegangen», sagt Ruth Hänggi, «in den Zeiten, in denen viele unterwegs sind, kann man fast nirgends mehr hin, ohne dass man vorher reserviert hat.»
Dernière für das Betreiberpaar
Julia Schollerer (33) und Teresa Zahorka (26) aus Rosenheim (D) sind heute mit ihren Freunden Benedikt Puff (27) und Anian Rottmüller (25) auf dem Campingplatz angekommen und bleiben acht Tage. Auch für sie ist es das erste Wintercamping. Die beiden Frauen wohnen im Wohnmobil von Schollerers Schwester, die Männer nächtigen in einem Schlaffass. Doch viel Zeit werden sie nicht in ihren Unterkünften verbringen: «Möglichst viel Langlaufen und Skitouren, am besten mit Sonne, das ist der Plan», so Zahorka.
Das Wichtigste in ihrer Ausstattung: warme Jacken, Schuhe und Bettwäsche sowie genügend Handtücher, falls etwas nass ist. «Es ist hier zwar sehr kalt, doch im Wohnmobil ist es genug warm, wir haben eine Standheizung», sagt Schollerer. Mehr Respekt hätte sie vor den Übernachtungen im Schlaffass, denn dieses ist zwar ebenfalls geheizt, aber viel enger als der Camper. Für den Proviant haben die Freunde gesorgt: Sie haben für die ganze Woche Lebensmittel dabei und werden möglichst selbst kochen. Dies allerdings in einem Mini-Vorzelt, um starke Gerüche im Camper zu vermeiden, den man im Winter nicht gut lüften könne.
Das Berner Ehepaar Käch betreibt den Campingplatz nun im 13. Winter. Im Winter packt Käch bei den Arbeiten auf dem Platz selbst an. Dazu gehört das Schneeräumen, Eispickeln, oder auch einmal ein Fahrzeug aus dem Schnee ziehen, weil es nicht die richtige oder gar keine Schneekette hat. «Auch muss ich bei den Fahrzeugen regelmässig Starthilfe leisten, weil die Batterie leer ist oder falsch getankt wurde», so Käch.
Er macht viele Handgriffe zum letzten Mal: Im Frühling verlässt das Ehepaar den Campingplatz und gibt ihn in andere Hände. «Ich möchte bis zur Pensionierung noch etwas anderes machen», sagt Peter Käch. Der Campingboom aber hält an. Im Frühling, im Sommer, im Herbst – und im Winter.