Kaum ein Moment im Jahr, an dem so viele Menschen Wert auf Pünktlichkeit legen wie heute am Silvesterabend gegen Mitternacht: Um 00.00 Uhr, genau dann, wenn der Sekundenzeiger bei analogen Uhren senkrecht auf die Zwölf weist, beginnt das neue Jahr – Korken knallen, Champagnergläser klirren, Menschen fallen sich in die Arme, küssen sich und wünschen einander alles Gute für 2024. Prosit Neujahr!
Armbanduhr, TV-Show oder Glocken ausschlaggebend
Um den richtigen Zeitpunkt ja nicht zu verpassen, gibt es unterschiedliche Methoden, die fast schon wie heilige Traditionen von Generation zu Generation weitergereicht werden: Manche schauen gebannt auf ihre Armbanduhr, andere sehen sich in der Silvestershow im Fernsehen den Moment des Jahreswechsels an, und wieder andere hören auf den Glockenschlag des nächsten Kirchturms.
Und so kommt es wie nächsten Sommer an der Fussball-Europameisterschaft der Männer in Deutschland: Während die einen auf einem Balkon bereits ein Tor bejubeln, gucken die anderen noch in die Röhre – je nach Empfangsart kann es mehrere Sekunden länger dauern, bis das Videosignal den Treffer auf den Bildschirm überträgt; die Digitalisierung hat dieses Problem sogar verschärft.
Wie die Fussballer nach dem Goal fürs TV-Publikum mehr oder weniger zeitverzögert wieder anstossen, so stossen die Partygäste nicht im selben Augenblick aufs neue Jahr an; und wir sprechen hier nicht von unterschiedlichen Zeitzonen – in Sydney feiern die Leute den Jahreswechsel Stunden vor uns, in San Francisco Stunden nach uns: Es geht hier um Sekunden oder gar Minuten am selben Ort.
Glockenschlag braucht für 330 Meter eine Sekunde
Klar, das mag an der Ungenauigkeit der Armbanduhr liegen, an der Verzögerung bei der TV-Show (dasselbe Problem wie bei der Fussballübertragung) oder daran, dass der Kirchturm zu weit entfernt ist, denn die Schallwelle braucht für rund 330 Meter eine Sekunde. Das heisst: Wenn die Kirche nur schon ein Kilometer vom Ohr entfernt ist, so erreicht einen der Glockenschlag mit gut drei Sekunden Verspätung.
Doch Menschen, die sich auf dieses analoge Signal fürs Anstossen verlassen, lassen den Korken unter Umständen über eine halbe Minute später knallen – und das nicht, weil sie so weit vom Glockenturm entfernt sind, sondern weil sie auf die falschen Töne hören. Das lässt sich im Gegensatz zur ungenauen Armbanduhr oder zum verzögerten Videosignal beim TV noch in dieser Nacht beheben.
Höre einfach genau hin! Eine Kirchturmuhr in unseren Breiten hat in der Regel einen Viertelstunden- und einen Stundenschlag: Eine höher klingende Glocke schlägt alle 15 Minuten an – ein Mal für Viertel nach, zweimal für halb und dreimal für Viertel vor. Zur vollen Stunde ertönt sie viermal; danach gibt eine tiefer klingende Glocke an, welche Stunde eben vollendet wurde.
Tradition, zwölf Trauben zu verschlingen, ist Tiktok-Hit
In dieser Nacht vom 31. Dezember auf den 1. Januar erliegen viele dem Irrtum, dass das neue Jahr nach dem zwölften Stundenschlag beginnt. Das mag von der über hundert Jahre alten spanischen Tradition herrühren, vor jedem Gong eine Traube zu essen und damit das alte Jahr zu verabschieden – wer bis zum zwölften Schlag ein Dutzend Trauben runterschlingen kann, hat für jeden Monat im 2024 einen Wunsch frei.
Der Brauch ist in den letzten Jahren viral gegangen: Auf Tiktok posteten immer mehr Leute, dass sie bei der letzten Silvesterparty Single waren, zwölf Weintrauben während der zwölf Schläge assen und jetzt in einer glücklichen Beziehung seien. Allerdings ragt der Brauch weit ins neue Jahr, denn die massgebenden zwölf Glockenschläge des königlichen Postamts in Madrid ertönen nach Mitternacht.
Drei Sekunden pro Stundenschlag bedeutet: Nach dem zwölften ist das Jahr bereits 36 Sekunden alt – und das ist nicht nur auf der Iberischen Halbinsel so, sondern auch im deutschsprachigen Raum. Das bestätigt Gernot Dürr von der Dürr Turmuhren & Glocken GmbH in Rothenburg ob der Tauber (D): «Beim Schlagwerk bin ich bei Ihnen, dass der erste Schlag von den zwölf genau um Mitternacht erklingen sollte.»
Atom- und Handy-Uhren sind am genauesten
Mitternacht, und damit Jahreswechsel, ist also beim ersten Stundenschlag, allenfalls beim vierten Viertelstundenschlag. «Ich kenne auch die Variante, wo der erste Viertelschlag zur vollen Stunde genau zur Sekunde null hörbar ist», sagt Restaurator Dürr. Auf keinen Fall ist es aber nach dem zwölften Stundenschlag exakt Mitternacht – das wäre technisch gar nicht so genau hinzubekommen.
Denn wenn man davon ausgeht, dass es nach dem letzten Stundenschlag Punkt ist, dann müsste das Klangwerk um Mitternacht oder am Mittag für die zwölf Schläge gut eine halbe Minute früher beginnen als um 1 Uhr nachts oder 13 Uhr mit einem Schlag. Um eine Regelmässigkeit zu gewähren, laufen die Schlagwerke im Viertelstundenschlag synchron. Der Stundenschlag ragt dann mehr oder weniger lang in die nächste Stunde.
«Früher bei mechanischen Uhren oder dort, wo diese noch im Einsatz sind, ist eine genaue Abstimmung allerdings sehr schwierig», sagt Dürr. «Bis der Zug nach oben zu den Glocken erfolgt, können einige Sekunden vergehen.» Wer also auf Nummer sicher gehen will, der schaut auf ein Zifferblatt, das mit einer Atomuhr Funkverbindung hat – oder schlicht auf die Handyuhr: Die wechselt genau um Mitternacht auf 00.00.