«Viva Puccini!» von Jonas Kaufmann
«Puccini hatte Frauenaffären, veranstaltete Spielabende und genoss das Leben»

Er ist vielleicht der letzte Startenor: der deutsche Sänger Jonas Kaufmann (55). Vor seinem Auftritt im KKL Luzern spricht er über den 100. Todestag von Komponist Giacomo Puccini, den Boykott von Anna Netrebko und die düsteren Aussichten für junge Tenöre.
Publiziert: 02.11.2024 um 18:09 Uhr
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Aktualisiert: 04.11.2024 um 09:48 Uhr
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Der deutsche Sänger Jonas Kaufmann ist der letzte Startenor.
Foto: IMAGO/AAP

Auf einen Blick

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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Herr Kaufmann, leben Totgesagte länger?
Jonas Kaufmann: Sie spielen wahrscheinlich auf die Oper oder die Klassik im Allgemeinen an.

Nein, mir geht es konkret um Ihr Programm, mit dem Sie momentan durch Europa touren: Es heisst «Viva Puccini!», dabei jährt sich am 29. November der Todestag des italienischen Komponisten zum 100. Mal.
So habe ich es noch gar nicht betrachtet. Aber es geht natürlich um «Viva!» im Sinn von «er lebe hoch!» und nicht im Sinn von «er lebt».

Am 9. November präsentieren Sie «Viva Puccini!» im KKL Luzern. Was macht Puccini für Sie so lebendig?
Puccini war jemand, der hier und heute, ja fast in der Zukunft gelebt hat. Er war die zweite Privatperson, die in Italien ein Auto besass. Er hatte Frauenaffären, veranstaltete Spielabende und genoss das Leben. Das spürt man in seiner Musik.

imago/Eibner Europa
«König der Tenöre»

Jonas Kaufmann kommt 1969 in München (D) zur Welt. 1989 beginnt er dort ein Studium an der Hochschule für Musik und Theater und schliesst 1994 mit dem Examen als Opern- und Konzertsänger ab. Sein Bühnendebüt hat er 1993, und ab 2001 ist er am Opernhaus Zürich. Ab 2003 tritt er bei den Salzburger Festspielen auf und debütiert 2004 am Royal Opera House in London und 2006 an der Met in New York. Darauf kürt ihn die Kritik zum «neuen König der Tenöre». Für seine Auftritte und Alben bekommt er zahlreiche Preise. Kaufmann lebt mit seiner zweiten Ehefrau in Salzburg (A) und hat vier Kinder – drei erwachsene mit seiner ersten Frau, einen fünfjährigen Buben mit seiner zweiten Frau.

imago/Eibner Europa

Jonas Kaufmann kommt 1969 in München (D) zur Welt. 1989 beginnt er dort ein Studium an der Hochschule für Musik und Theater und schliesst 1994 mit dem Examen als Opern- und Konzertsänger ab. Sein Bühnendebüt hat er 1993, und ab 2001 ist er am Opernhaus Zürich. Ab 2003 tritt er bei den Salzburger Festspielen auf und debütiert 2004 am Royal Opera House in London und 2006 an der Met in New York. Darauf kürt ihn die Kritik zum «neuen König der Tenöre». Für seine Auftritte und Alben bekommt er zahlreiche Preise. Kaufmann lebt mit seiner zweiten Ehefrau in Salzburg (A) und hat vier Kinder – drei erwachsene mit seiner ersten Frau, einen fünfjährigen Buben mit seiner zweiten Frau.

Wie meinen Sie das?
Wie er es geschafft hat, einen Ohrwurm nach dem anderen rauszuhauen, ist faszinierend: Er ist der König der Melodien. Der kann was erzählen, weil er es erlebt hat. Und alles das, was wir von ihm hören, kennen wir aus dem Leben oder haben es gar am eigenen Leib verspürt.

An welche Komposition denken Sie da?
Zum Beispiel an die Oper «La Bohème»: Die ersten Annäherungsversuche eines jungen Liebespaars, dieses erste Kribbeln im Bauch, all das beschreibt er unglaublich realistisch, sodass wir es gut nachvollziehen können.

Die Kritiker monierten deshalb oft, Puccinis Kompositionen klängen wie Filmmusik.
Das finde ich im Gegenteil ein unglaublich tolles Kompliment. Denn was ist die Uraufgabe von Filmmusik? Sie muss mit unseren Gefühlen spielen.

«Puccini: Love Affairs» heisst der Titel des Albums, das Sie dieses Jahr veröffentlicht haben – darauf haben Sie Liebesduette mit nicht weniger als sechs Sopranistinnen eingespielt.
Auch wenn die sechs Frauen nicht den Klischees divenhafter Sopranistinnen entsprechen, war es nicht einfach, sie alle unter einen Hut zu bekommen – die Verantwortlichen bei der Plattenfirma haben das eine oder andere graue Haar bekommen.

Sind Sie für die Aufnahmen den Sopranistinnen nachgereist?
Ja, das ging nicht alles an einem Ort. Und wir mussten ein paar Mal umplanen, weil es sich die Damen nicht immer so gedacht hatten, wie ich es mir dachte. Aber am Schluss hatten wir alles im Kasten.

Mit «Nessun dorma» veröffentlichten Sie bereits 2015 ein hochgelobtes Puccini-Album. Ist Puccini ein Verkaufsschlager?
Karajan und Co. sind in den 1970er-Jahren Plattenmillionäre geworden – das ist heute nicht mehr denkbar. Weil ich einen langfristigen Vertrag habe, bekomme ich einen Vorschuss. Aber ich habe es über die Jahre nie geschafft, so viel zu verkaufen, dass das, was ich als Vorschuss bekommen habe, nicht genug gewesen wäre.

Live-Auftritte sind umso wichtiger. Sehr gerne treten Sie im KKL auf. Weshalb?
Es ist diese Kombination aus klassischer Schuhschachtel mit technischen Kniffen: Das KKL kann in der Probe einen vollen Saal simulieren. Das kann kaum ein anderer Saal. So sind zum Beispiel viele Künstler über die Akustik des Musikvereins in Wien schockiert, wenn sie im leeren goldenen Saal proben.

In Luzern treten Sie mit der italienischen Sopranistin Valeria Sepe auf. Ist es für Sie als Deutscher eine besondere Herausforderung, mit einer italienischsprachigen Sopranistin Puccini zu singen?
In meinem Fall nicht – das kann ich ohne Eigenlob sagen. Weil meine Eltern so grosse Italienliebhaber waren, ist Italienisch für mich wie eine Muttersprache. Da brauche ich mir keine Gedanken zu machen.

Am 29. November treten Sie an einem Puccini-Abend in der Mailänder Scala mit der Russin Anna Netrebko auf. Das KKL sagte im Mai ein Konzert von ihr ab, weil «die öffentliche Wahrnehmung der Solistin weiterhin kontrovers» sei. Ist das für Sie kein Problem?
Wir hatten noch nie einen solchen Konflikt, in dem Kunstschaffende – egal welcher Couleur – so oft aufgefordert wurden, Farbe zu bekennen. Ich wage zu behaupten, dass man sie in früheren Zeiten in Ruhe gelassen hätte.

Bei Anna Netrebko ist die angebliche Putin-Nähe das Problem.
Sie sitzt zwischen den Stühlen: Sie hat einen russischen und einen österreichischen Pass, sie lebt seit vielen Jahren in Österreich, hat aber russische Verwandtschaft. Sie hat sich vielleicht in der Vergangenheit nicht ideal verhalten. Aber egal, was sie jetzt tut, sie ist im Westen manchenorts unerwünscht und in Russland Persona non grata …

… eine berufliche Einschränkung für sie …
… und sie ist unbestritten eine der begabtesten Künstlerinnen, die wir haben. Und es ist einfach zu kurzsichtig, wenn wir zulassen, dass solche Künstlerinnen von unseren Spielplänen verschwinden. Man kann sich nicht einfrieren und in zwanzig Jahren wieder auftauen lassen, um die Karriere fortzusetzen.

Ist Musik die verbindende Sprache zwischen Ihnen und Anna Netrebko?
Das ist absolut so. Musik ist wie Sport: Im Fussball ist es in den allermeisten Fällen egal, welche Ansichten einer hat oder welcher Religion er angehört, solange er so spielt, dass alle begeistert sind. Musik ist ebenfalls ein Transportmittel von Emotionen ohne Worte und dementsprechend verbindend.

Wenn wir schon beim Verbindenden sind: Früher gab es die Zusammenarbeit der drei Tenöre Carreras, Domingo und Pavarotti. Ist so etwas heute nicht mehr machbar?
Es ist heute für einen jungen Künstler praktisch unmöglich, eine solche Fangemeinde aufzubauen und Karriere zu machen. Das ist sehr schade, denn es gibt einige grossartige Talente und schöne Stimmen. Wenn, dann müssten sich heute Sänger aus verschiedenen Genres zusammenschliessen.

Gibt es Musikerinnen und Musiker aus der Sparte Unterhaltungsmusik, die Sie schätzen?
Als Sänger bin ich immer sehr angetan, wenn Leute eine wahnsinnig schöne Stimme haben. Adele oder Michael Bublé haben echte Stimmen, die man nicht vergisst. Früher waren das Frank Sinatra und Dean Martin. Das sind Stimmen, die haben sich ins Gedächtnis eingegraben, weil sie einzigartig sind.

Jonas Kaufmann, «Viva Puccini!», KKL Luzern, 9. November, 19.30 Uhr

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