Auf einen Blick
- Schweizer Radio feiert 100 Jahre und verabschiedet sich von UKW-Ausstrahlung
- Radio war lange Zeit das meistgenutzte elektronische Medium in der Schweiz
- Ab 2025 senden SRG-Sender nur noch über DAB+ und Internet
Der Beatles-Song «Hello, Goodbye» ist die perfekte Vorlage – Begrüssung und Verabschiedung folgen dieses Jahr Schlag auf Schlag: Am 23. August feierte die Schweiz die Ansage «Hallo, hallo, Radiostudio Zürich» – mit diesen Worten nahm gleichentags 1924 der erste Deutschschweizer Sender seinen Betrieb auf. Und am 31. Dezember sagen die SRG-Radiostationen Tschüss zur Ausstrahlung über UKW.
«Hello, Goodbye»: Das Auf und Ab von 100 Jahren Schweizer Radio-Geschichte spiegelt sich 2024 in nur wenigen Wochen wider. Zwar ist nach kommendem Silvester kein Sendeschluss. Und Radio ist in der Schweiz gemäss IGEM-Digimonitor 2023 nach TV immer noch das meistgenutzte elektronische Medium: Über 6 Millionen Menschen hörten letztes Jahr mindestens gelegentlich rein, davon 4 Millionen täglich.
Ende 2024 schalten alle SRG-Radioprogramme (SRF, RTS, RSI und RTR) ihre Ausstrahlung über UKW ab, bis spätestens Ende 2026 folgen alle Privatradios. Empfangbar sind die Sender zukünftig über DAB+, Internet, Kabel und die SRG-Radios auch über Satellit. DAB+ schliesst ausländische Stationen aus, fürs Internet braucht es einen Vertrag mit einem Provider. Da die meisten Sender eine App haben, lässt sich Radio auch übers Smartphone unterwegs hören. Und die alten UKW-Empfänger? Über den AUX-Anschluss kann man die Stereoanlage oder das Autoradio mit einem DAB+-Adapter oder dem Smartphone verbinden und kann so Radio hören.
Ende 2024 schalten alle SRG-Radioprogramme (SRF, RTS, RSI und RTR) ihre Ausstrahlung über UKW ab, bis spätestens Ende 2026 folgen alle Privatradios. Empfangbar sind die Sender zukünftig über DAB+, Internet, Kabel und die SRG-Radios auch über Satellit. DAB+ schliesst ausländische Stationen aus, fürs Internet braucht es einen Vertrag mit einem Provider. Da die meisten Sender eine App haben, lässt sich Radio auch übers Smartphone unterwegs hören. Und die alten UKW-Empfänger? Über den AUX-Anschluss kann man die Stereoanlage oder das Autoradio mit einem DAB+-Adapter oder dem Smartphone verbinden und kann so Radio hören.
Aber die Zahl ist in den letzten Jahren rückläufig: Hörten 2018 noch gut 1,4 Millionen täglich den meistgehörten Schweizer Sender SRF 1, so sind es 2024 noch knapp 1,1 Millionen. «Spätestens seit der Jahrtausendwende gilt das Radio als angestaubt», schreibt der ORF-Radiojournalist Wolfgang Kos (75) in seinem vor kurzem im Residenz-Verlag erschienenen Buch «Das Radio».
Radio ist Souvenir vergangenen Fortschritts
Und «angestaubt» ist für reine Radioapparate durchaus wörtlich zu nehmen, denn in der digitalen Ära sei Mischnutzung die vorherrschende Form, so Kos: «Die Funktion Radio wurde zu einem Untermieter von vielen», schreibt er. Als exklusives und optisch eindeutiges Objekt des Alltags verschwinde es langsam: «Das Radio ist zum Souvenir vergangenen Fortschritts geworden.»
Ein riesiger Fortschritt war das! Keine andere kommunikationstechnische Innovation des 20. Jahrhunderts habe sich derart schnell durchgesetzt, schreibt Kos weiter, «ähnlich überfallartig geschah das erst wieder in der digitalen Ära mit Internet, Smartphone und Social Media». Trotz riesiger Antennen, miserablen Empfangs und unpraktischer Kopfhörer verzauberte Radio in den 1920er-Jahren die Menschen.
«Wo man geht / Wo man sitzt und steht / Ist vom Radio heut’ nur die Red' / Vom Kellerloch bis hoch zur Mansard' / Ist alles drin vernarrt», heisst es 1925 im Schlager «Die schöne Adrienne hat eine Hochantenne» des deutschen Rundfunksängers Max Kuttner (1883–1953). In den wenigen Stunden Sendezeit pro Tag kamen neben Musik auch Nachrichten, Börsenkurse und Wetterprognosen zur Ausstrahlung.
Ein Radioempfänger war in den Anfangszeiten ein Luxusgerät – viele bastelten deshalb einen im Eigenbau. Erst in den 1930er-Jahren kamen Lautsprecher auf und schafften die Voraussetzung, dass sich das Radio zu einem Massenmedium entwickeln konnte. In Restaurants, Vereinslokalen oder Coiffeursalons versammelten sich Menschen, um gemeinsam Radio zu hören.
Still sitzen bei den Nachrichten um 12.30 Uhr
Lange vor dem Fernseher hatte das Radiogerät die Funktion eines Lagerfeuers, um das sich alle versammeln. Mit den 12.30-Uhr-Nachrichten auf Radio Beromünster rettete sich dieses Kollektivgefühl bis in die 1970er-Jahre hinein – am Mittagstisch musste die ganze Familie still sitzen, damit der Vater den Neuigkeiten aus aller Welt lauschen konnte.
«Weltempfänger» hiessen die damaligen Radiogeräte, weil sich mit ihnen über Mittelwelle (MW) in die Ferne horchen liess. Auf der Skala der Apparate sind neben dem Landessender Beromünster (531 Kilohertz) England (648 Kilohertz), Hilversum (1008 Kilohertz) und der Vatikan (1530 Kilohertz) angeschrieben – eine klangliche Europareise in noch wenig touristischen Zeiten.
In den 1960er-Jahren überholten kleine Transistor- die Wohnzimmerradios – das Hören war fortan mobil und nicht mehr zwingend ein Kollektivereignis. «Mediensoziologisch kann man ab den Sixties von einem Trend zur Vereinzelung des Radiohörens sprechen, aber auch von einer Emanzipation», schreibt Kos in «Das Radio». Das Medium ritt trotz Konkurrenz vom TV auf einer Erfolgswelle.
«Monja» des deutschen Sängers Roland W. war am 2. Januar 1968 der Toptitel in der ersten Hitparade «Bestseller auf dem Plattenteller» des Schweizer Radios – auf Platz 4 übrigens die Beatles mit «Hello, Goodbye». Das ist Musik! Der Wechsel von MW zu UKW machte Radio zudem zu einem Hörgenuss. Kos: «Der Erfolg des Radios gab der Musikindustrie Auftrieb.»
Das Radio als Feelgood-Maschine
Voice meets Vinyl: Mit seiner tiefen, charismatischen Stimme war der Basler Christoph Schwegler (78) der erste Präsentator der Schweizer Hitparade. Was wäre Radio ohne markige Moderation? Ueli Beck (1930–2010) und Elisabeth Schnell (1930–2020) sind weitere legendäre Radiostimmen aus der Schweiz, Stefanie Tücking (1962–2018) von SWR 3 ist es in Deutschland.
Heute ziehen Sabrina Kemmer (39) sowie das Duo Michael Wirbitzky (61) und Sascha Zeus (67) die SWR-3-Hörerschaft in ihren Bann. In der Schweiz hat SRF-3-Moderator Reeto von Gunten (61) Kultstatus erlangt. Und international lässt der irische Autor und Sprecher John Kelly (59) mit seiner rauen Stimme bei der «Mystery Train»-Show von RTÉ Lyric FM aufhorchen.
Der legendärste Radio-DJ ist aber bestimmt der New Yorker Robert Weston Smith (1938–1995): In den frühen 1960er-Jahren sendete er als «Howling Wolfman» aus Mexiko in die USA und blieb danach beim Pseudonym Wolfman Jack. «Wir sind auf der Welt, um uns zu amüsieren», lautet eine seiner berühmten Ansagen. «Dadurch fühlen sich andere Menschen gut – und der Kreislauf geht weiter.»
Das Radio als Feelgood-Maschine. Eindrücklich zeigte sich das bei Wolfman Jacks erstem öffentlichem Gastauftritt im Spielfilm «American Graffiti» (1973) von George Lucas (80): Wolfmans Stimme aus den Autoradios begleitet eine Jugendclique durch die Nacht in einer amerikanischen Kleinstadt – bis einer der jungen Männer Wolfman im Morgengrauen trifft. Wow!
Roger Schawinski sorgt 1979 für eine Renaissance
«Video Killed the Radio Star» heisst der Song, den das britische Popduo The Buggles am 7. September 1979 veröffentlichte. Die Single war in der Schweiz ein Nummer-1-Hit. Keine zwei Jahre später war das dazugehörige Musikvideo der erste Clip im 1981 neu lancierten MTV. Mit diesem Todesstoss schien das Ende des Radiozeitalters besiegelt.
Doch am 28. November gleichen Jahres erlebte der Rundfunk in der Schweiz eine Renaissance: Der Schweizer Radiopionier Roger Schawinski (79) machte sich die Methode von Wolfman zunutze und sendete vom Ausland in die Heimat: Mit dem damals stärksten UKW-Signal der Welt strahlte er vom italienischen Pizzo Groppera das Programm von Radio 24 ins rund 130 Kilometer Luftlinie entfernte Zürich aus.
Von Schweizer Behörden und italienischer Polizei gejagt, löste der «Piratensender» bei uns eine Volksbewegung aus: Aus Solidarität flatterten weisse Stoffbändchen an Autoantennen, und in einer Petition forderten über 200’000 Personen vom Bundesrat die Zulassung von Radio 24. Die Bewegung führte schliesslich zur Zulassung von Privatradios in der Schweiz.
Queen warnt in «Radio Ga Ga» vor dem Niedergang
Am 1. November 1983 gingen von der Innerschweiz bis Schaffhausen, von Bern über Basel bis Zürich sieben Privatradios plus der gemäss Eigenwerbung «amtlich bewilligte Störsender» DRS 3 – das heutige SRF 3 – auf Sendung. Gegenwärtig bestrahlen über ein Dutzend nicht kommerzielle und gegen 60 kommerzielle Privatradios das Land – von Rouge FM in Lausanne bis Radio Melody in St. Gallen.
Durch die breite Einführung der Lokalradioprogramme nahm die Radionutzung bis ins Jahr 2000 stark zu – am deutlichsten in der Deutschschweiz. Doch der anfänglichen Euphorie folgte bald die ernüchternde Erkenntnis, dass die Stationen ihren lokalen Charakter zugunsten des Mainstreams aufgeben – die meisten Radios brachten einen ähnlichen Musikmix.
«You gave them all those old-time stars / Through wars of worlds, invaded by Mars», sang Freddie Mercury (1946–1991) 1984 im Queen-Hit «Radio Ga Ga», «Du brachtest sie alle, diese Stars der alten Zeiten / Durch Kriege der Welten, Invasion vom Mars» – eine Anspielung auf das berühmte Hörspiel «Krieg der Welten» von Orson Welles (1915–1985), das 1938 in den USA zu Massenpanik führte.
Ideenreich und sorgfältig gestaltet, so Wolfgang Kos, könne Radio «seinen stärksten Trumpf ausspielen, die Unmittelbarkeit». Doch Queen warnte in ihrem Song «Radio Ga Ga»: «Werd' nicht zu einem blossen Hintergrundrauschen / Eine Kulisse für die Mädchen und Jungs / Die es nicht besser wissen oder denen es einfach egal ist / Und die sich erst beschweren, wenn du nicht mehr da bist.»
Mit DAB+ könnte das Radio sein eigenes Grab schaufeln
Am 1. Januar 2025 sind alle SRG-Sender weg von UKW und lassen sich nur noch über DAB+ und Internet empfangen, bis spätestens Ende 2026 folgen alle Privatradios. Eine riskante Abwanderung, wie ein Blick nach Norwegen zeigt: Anfang 2018 beendeten die Skandinavier als weltweit Erste die Ausstrahlung der Radioprogramme über UKW, seither ist DAB+ der Standard für die Landessender.
In der Folge sind die Hörerzahlen eingebrochen: Bei den jüngeren Norwegerinnen und Norwegern bis 44 ging die Radionutzung von 60 Prozent im Jahr 2017 auf 40 Prozent im Jahr 2022 zurück. «Damit ist das befürchtete Fiasko eingetreten», urteilt das skandinavische Fachportal Digital Radio FM. «Das bedeutet, dass das norwegische Radio schneller Hörer verliert als das Radio in anderen Ländern.»
Für den deutschen Journalisten und Radiomoderator Christoph Lemmer (63) zeigt sich in dieser Entwicklung, dass der erzwungene Umstieg die Hörerschaft auf ganz neue Gedanken bringe: «Nämlich ihr Zeitbudget mit Blick auf Streaming, Podcasts und andere digitale Angebote von Grund auf neu zu verteilen.» Mit DAB+ könnten sich die Radios also ihr eigenes Grab schaufeln.
Das Radio ist tot! Es lebe das Radio! «Das Radio ist weiterhin eines der zuverlässigsten und am meisten benutzten Medien der Welt und damit Grundnahrungsmittel und Wundertüte», schreibt Wolfgang Kos in «Das Radio». «100 Jahre nach seiner Erfindung sei mit Nachdruck festgehalten, dass die Magie des Radiohörens nach wie vor wirksam ist.» Fürwahr!
Wolfgang Kos, «Das Radio» aus der Reihe «Dinge des Lebens», Residenz