Der weltweit meistgestreamte Song des letzten Jahres ist «As It Was» (Wie es war) vom Briten Harry Styles (29). Doch so, wie es war, ist es nicht mehr und wird es auch nie mehr sein, denn viele drücken momentan aufs Gas. «Sped up» (beschleunigt) ist der aktuelle Modebegriff. Und so klingt auch Musik schneller, wirkt aufputschender und ist tanzbar wie Techno.
Zwei Minuten und 46 Sekunden braucht Songwriter Styles im Original, um über «Internet in Lichtgeschwindigkeit» zu singen und «die Schwerkraft, die ihn zurückhält». In der Sped-up-Version hebt er vollends ab und kommt knapp eine halbe Minute früher zum Schluss – nach genau zwei Minuten und 19 Sekunden.
«Sped up» ist ein aktueller Trend, der durch das Videoportal Tiktok die Massen erfasst. Mittlerweile bietet der Streamingdienst Spotify eine eigene Playlist mit schneller abgespielten Songs an. The Weeknd (32) kommt dort ebenso ins Schleuderprogramm wie Ellie Goulding (36) oder Madonna (64) – über hundert Titel, die über eine Million Likes hervorrufen.
Willkommen an der Helium-Party!
Die Gasgeber-Gassenhauer verursachen neben Daumen hoch auch Fragezeichen. So kam die Musikerkennungsapp Shazam in den letzten Wochen am häufigsten bei der Sped-up-Version von Lady Gagas (36) Hit «Bloody Mary» zum Einsatz, weil das Original nicht mehr erkennbar ist – 28 Schläge pro Minute schneller wirkt der Titel wie das Lied der Schlümpfe. Highspeed und hohe Stimmen: Willkommen an der Helium-Party!
Was auf Tiktok und Spotify neu ist, hat auf anderen Plattformen ohne Stimmverzerrung beinahe schon Tradition: Auf Youtube lassen sich die Filme bereits seit 2010 schneller wiedergeben, Netflix bietet die Funktion seit 2020 an und Whatsapp seit 2021 – damit man die überlange Sprachnachricht der Kollegin innert nützlicher Frist abhören kann.
Beim Videoportal Youtube ist die anderthalbfache Abspielgeschwindigkeit am beliebtesten, gefolgt von der doppelten. Natürlich liesse sich der Film auch auf ein Viertel des Tempos runterbremsen, aber das will kaum jemand. Vielmehr macht sich Youtube Überlegungen, demnächst die vierfache Geschwindigkeit anzubieten.
Speed Watching ist kein reines Internetphänomen – auch beim Betrachten von Kunst in Museen ist eine Beschleunigung festzustellen. Da sich dort die Bilder an den Wänden nicht vorspulen lassen, läuft das Publikum einfach schneller an ihnen vorbei. Mass die Zeppelin-Universität in Friedrichshafen (D) 2012 noch eine Verweildauer von zwölf Sekunden pro Bild, so errechnete das Kunstmagazin «Monopol» 2018 noch vier Sekunden.
Schnellleser verstehen mehr
Nachdem das SonntagsBlick Magazin diesen Fakt publik gemacht hatte, beschwichtigte Björn Quellenberg, Pressesprecher des Kunsthauses Zürich. «Ein Werk kann einen Betrachter binnen Sekunden begeistern», sagte er, «und ein anderer findet auch nach mehreren Minuten keinen Zugang – weder emotional noch intellektuell.» Das höhere Tempo ist also per se keineswegs beunruhigend.
Das Beispiel zeigt: Nicht allein die digitale Welt treibt Konsumentinnen und Konsumenten zur Eile statt Weile. Manchmal sorgt das Analoge sogar für mehr Schub: So ergab eine Studie des dänischen Fachbuchautors und Software-Spezialisten Jakob Nielsen (65) aus dem Jahr 2021, dass die Lesegeschwindigkeit von Testpersonen mit gedruckten Büchern höher ist als bei solchen mit E-Books.
Verschlingen ist das eine, verstehen das andere. Verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen konnten allerdings nicht belegen, dass schnell lesende Personen weniger vom Text verstünden. Im Gegenteil: Langsam Lesende (10 bis 100 Worte pro Minute) sind meist ungeübter und weisen ein Textverständnis von 30 bis 50 Prozent aus. Bei gut Lesenden (400 und mehr Worte pro Minute) liegt dieser Wert bei 70 bis 80 Prozent.
Einen ähnlich schlechten Ruf wie Speed Reading haben Sped up bei Songs und Podcasts oder Speed Watching von Filmen – oberflächlich sei das, es gehe nicht in die Tiefe. Es bleibe nichts haften, die Menschen verlören die Fähigkeit, sich auf etwas zu konzentrieren, und seien bloss auf der Suche nach dem nächsten Kick. Denn beim Hören oder Sehen gefälliger Inhalte schüttet der Körper das Glückshormon Dopamin aus.
Einstellungslänge von sieben auf drei Sekunden verkürzt
Sind wir alles Junkies, süchtig nach neuem Stoff? Tatsache ist, dass Menschen heute eine schnellere Auffassungsgabe haben. So bestätigt 2020 eine Untersuchung von 24'000 Schachpartien durch den deutschen Ökonomen Uwe Sunde (49) von der Universität München (D), dass die Spieler von Generation zu Generation schneller und besser werden.
Rasche Auffassungsgabe ist offenbar das Fundament für die intellektuelle Entwicklung. Und dabei scheint der digitale Fortschritt sogar förderlich zu sein. «Wir können in unseren Daten klar nachweisen, dass vor allem die Jüngeren von den Vorteilen des Computerschachs profitiert haben», sagt Sunde.
Die Menschen reagieren schneller, konsumieren rascher und beschleunigen aktuell sogar die Wiedergabe. Parallel zu dieser individuellen Einstellung haben allerdings die Produkte selber einen Zacken zugelegt: So entwickelten sich in der Musik der späten 1970er- und frühen 1980er-Jahre der Speedmetal mit bis zu 200 Schlägen pro Minute und in den 1990ern aus der Technobewegung der Speedcore mit bis zu 500 Schlägen pro Minute.
Aber auch in Filmen prasseln immer mehr Bilder auf uns ein. Robert Blanchet (52) vom Seminar für Filmwissenschaft an der Universität Zürich mass, dass sich die durchschnittliche Einstellungslänge bei klassischen Hollywood-Produktionen in den 2000er-Jahren verglichen mit der letzten Dekade des letzten Jahrtausends von sieben auf drei Sekunden verkürzte.
Orgelstück dauert 639 Jahre lang
«Auch bei drei Sekunden durchschnittlicher Einstellungslänge sind wir noch lange nicht überfordert», sagt Vinzenz Hediger (53), Professor für Filmwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt am Main (D). «Da geht noch etwas.» Andersrum muss der jüngsten Kinogeneration etwa ein Ingmar-Bergman-Film aus den 1960er-Jahren mit seinen langen Einstellungen fast schon wie ein Standbild vorkommen.
«Schnelle Schnitte und höherer Rhythmus können zu einem höheren emotionalen Engagement führen», sagt Hediger, «aber übertreiben sollte man es auch nicht: Irgendwann werden wir müde und schalten ab.» Rhythmuswechsel seien wichtig; da komme es dann auf das Talent der involvierten Künstlerin, des involvierten Künstlers an.
Apropos Rhythmuswechsel: Wer es gern gemächlich hat, der muss nach Halberstadt (D) und sich in der St.-Burchardi-Kirche das Orgelstück «ORGAN2/ASLSP» (1987) des US-Musikers John Cage (1912–1992) anhören: Der erste Ton der Komposition war bereits 2001 zu hören, und erst im Jahr 2640 wird es wieder still in der Kirche. Bei der Uraufführung brauchte der Organist gut eine halbe Stunde, jetzt dehnt die Technik das Stück auf 639 Jahre – definitiv das Gegenteil von Sped up.
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