Siegeszug durch unsere Küchen
Riz Casimir wurde in Zürich erfunden und galt als total hip

Das Reisgericht mit den exotischen Früchten ist eine Schweizer Kreation, die noch heute viele lieben. Zutaten für den Siegeszug von Riz Casimir durch die Deutschschweizer Küchen: ein trendy Gastronomiekonzept, eine Kunstfigur, Kochschülerinnen – und die Armee.
Publiziert: 18.02.2023 um 10:28 Uhr
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So oder ähnlich angerichtet kam Riz Casimir in Deutschschweizer Haushalten sonntags auf den Tisch.
Foto: Betty Bossi Buch «Fleisch für Sonntag und Alltag»
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Karen SchärerTeamlead Gesellschaft

Platz 18 der 100 schlechtesten Gerichte weltweit! Fast persönlich beleidigt reagierten manche auf die Meldung, dass unser süsslich-scharfes Riz Casimir vielen nicht mundet.

Das Ranking poppte kürzlich auf dem Instagram-Account von Taste Atlas auf, einem digitalen kulinarischen Reiseführer für internationale Traditionsgerichte. Nutzerinnen und Nutzer aus aller Welt beurteilen, was sie gegessen haben; Einheimische dürfen ihre eigenen Gerichte nicht bewerten.

In der Schweiz ist das fruchtige Reisgericht bei vielen mit emotionsgeladenen Erinnerungen verbunden. Erinnerungen an Sonntage in der Kindheit, an Ski- und Klassenlager. Nostalgie pur.

Riz Casimir gab es nur im angesagtesten Lokal

Zu verdanken haben wir Riz Casimir Ueli Prager (1916–2011). Er eröffnete 1948 das erste Mövenpick-Restaurant überhaupt unweit des Bürkliplatzes in der Stadt Zürich. Inspiriert von Zeitschriften aus den USA erfand er ein Gastro-Konzept, befreit von jeglichem bürgerlichen Mief: Statt weiss gedeckten, mit Schüsseln überladenen Tischen und vorgegebenen Menüs erwartete die Gäste ein unkompliziertes Ambiente mit farbigen Speisekarten, Tellerservice und Wein im Offenausschank. «Wer hier einkehrte, wankte danach nicht vollgestopft und betrunken nach Hause, sondern ging beschwingt noch in den Ausgang», sagt Historiker Roger Sidler (54).

Der Legende nach von einem längeren Aufenthalt in London inspiriert, tüftelte Ueli Prager mit seinem Küchenteam verschiedene Reisgerichte auf der Basis einer Rahm-Currysauce aus und setzt diese ab 1952 auf die Karte. Am häufigsten bestellt wurde Riz Casimir, das im Originalrezept Reis und Kalbsgeschnetzeltes mit Rahm, einer aufwendigen, selbst hergestellten Currysauce, roten Peperoni, Bananen und Ananas kombiniert. Das Rezept veröffentlichte Mövenpick übrigens erst 1988.

Man konnte sich etwas gönnen

Mit diesem farbigen, exotisch schmeckenden Gericht traf Ueli Prager den Nerv der Zeit. Zwar habe es nach dem Zweiten Weltkrieg relativ lange gedauert bis zum wirtschaftlichen Aufschwung, sagt der freischaffende Historiker Sidler. Ab Mitte der 1950er-Jahre verfügte die Bevölkerung aber über ein wachsendes Haushaltsbudget und befand sich im Übergang zur Konsumgesellschaft. «Es herrschte eine Aufbruchstimmung. Gleichzeitig steckte man im Kalten Krieg und hatte Angst vor einem Atomschlag», sagt Sidler.

In diesem Spannungsfeld folgten viele der Devise: Jetzt auskosten – man weiss nicht, was noch kommt. Wer sich etwas leisten wollte, kehrte im Mövenpick ein. So führte auch Mani Matter (1936–1972) im Alter von 24 Jahren seine spätere Frau Joyce Döbeli 1960 ins Berner Trendlokal Mövenpick aus, wie in Wilfried Meichtrys Biografie des Troubadours nachzulesen ist.

Elisabeth Fülschers Idee von etwas Exotischem

Bis das Gericht seine volle Breitenwirkung in der ganzen Deutschschweiz entfaltete, dauerte es noch ein, zwei Jahrzehnte – und dazu brauchte es weitere Akteure. Der Siegeszug von Riz Casimir führte von der Gastronomie zunächst in die wohlhabenden Haushalte.

Gut situierte Frauen besuchten damals die Kochschule von Elisabeth Fülscher (1895–1970) in Zürich, wo sie alles über die gehobene Küche und Haushaltsführung lernten. Als Rezeptautorin konnte sich Fräulein Fülscher, wie sie genannt werden wollte, dem Wunsch nach fremdländischen Rezepten nicht verschliessen: Im Fülscher-Kochbuch von 1960 präsentierte sie als Rezept 740 ein Risotto Casimir.

«Mit dem Rezept setzte sie die Idee von etwas Exotischem um, mit dem sie selbst aber noch keine konkreten Erfahrungen auf Reisen gemacht hatte», sagt Köchin Susanne Vögeli (70), die heute die Rechte an den Fülscher-Rezepten besitzt. Elisabeth Fülscher zeigte sich vorsichtig offen für Fremdes, präsentierte aber bei genauerem Hinsehen nicht mehr als ein Zürcher Geschnetzeltes, das sie mit ein paar Löffelchen Currypulver und Ananas aus der Dose ergänzte. Früchte aus der Konserve waren billig, servierbereit und schön farbig.

Fülschers Rezept trug massgeblich dazu bei, dass Ueli Pragers Gericht an Popularität gewann, denn: «Wer etwas auf Kochkultur und kultiviertes Essen hielt und die Mittel hatte dazu, hatte das Fülscher-Kochbuch zu Hause stehen», sagt Susanne Vögeli.

Mit Betty Bossi in die Familienküchen

Was Elisabeth Fülscher für die wohlhabende Gesellschaftsschicht war, wurde Betty Bossi für alle anderen. Die von einer Werbetexterin erfundene Köchin vermarktete ab 1956 in kostenlos abgegebenen Rezepten und später in Rezeptbüchern die Öle und Speisefette der Firma Astra.

Riz Casimir tauchte bei Betty Bossi über die Jahre in verschiedenen Varianten auf. Mit der Publikation in «100 Wunderrezepte» von 1976 sei das Gericht endgültig in der breiten Masse angekommen, sagt Roger Sidler, der sich mit diesem «Nationalgericht einer Epoche» ausgiebig beschäftigt hat.

Das Reisgericht, das wie auch der Kartoffelstock traditionell kreisförmig mit der Sauce in der Mitte arrangiert wird, war in den 1970er- und 1980er-Jahren so populär, dass die Firma Hero aus Lenzburg AG auf ihrem Dosen-Fruchtsalat die Anmerkung anbrachte, das Produkt sei für Riz Casimir bestens geeignet.

In Rezeptbüchern von Schule und Armee

Erste Berührungspunkte gab es für viele in Schule und Armee: Im obligatorischen Kochschulunterricht begegnete Mädchen ab 1967 in der neusten Auflage des Lehrmittels «Tiptopf» ein Riz-Casimir-Rezept. Hier wurde einer Béchamel-Sauce aus Butter, Mehl und Milch Currypulver beigemischt.

Junge Männer wiederum assen vielleicht in der Rekrutenschule erstmals ein Riz Casimir. 1974 wurde das Gericht in die Rezeptsammlung für die Militärküche aufgenommen. Das edle Kalbfleisch war da schon in den meisten Rezepten durch günstigeres Schweinefleisch ersetzt worden, in den 1980er-Jahren dann durch Pouletgeschnetzeltes.

Heute lieber authentisch indisch

Zwar steht Riz Casimir in etlichen Restaurants heute noch auf dem Menü und wird auch fleissig bestellt. In Pflegeheimen wünschen es sich viele Bewohnerinnen und Bewohner zum Geburtstagsmahl. Und in Lagern wie etwa dem Bundes-Pfadilager vergangenen Sommer ist es vom Menüplan nicht wegzudenken. Doch die Glanzzeiten des Gerichts sind vorbei. Heute wollen viele nicht pseudo-indisch essen, sondern authentisch indisch.

Betty Bossi verzichtet in neueren Kochbüchern auf das Rezept, bietet es aber als Fertiggericht an, wie auch andere Hersteller. Neuauflagen vom Schullehrmittel «Tiptopf» halten bislang am Rezept fest. Und Fülscher-Rezepte-Hüterin Susanne Vögeli hat sich entschieden, Riz Casimir für ihr Kochbuch «Fülscher heute» neu zu rezeptieren.

Rezept für Riz Casimir

Für 4 Personen

Zutaten

200 g Pouletfleisch, geschnetzelt, oder Fleischersatzprodukt, nature
250 g Basmatireis
3 dl Wasser
½ TL Salz
1 Zwiebel, fein geschnitten
Wenig Bratbutter
1 TL Masala oder ein scharfes Currypulver
2,5 dl Kokosmilch
½ TL Salz
4 Babybananen, längs halbiert
Wenig Butter
2 Pfirsichhälften oder Mango, geschält, in feine Schnitze geschnitten
3 Scheiben Ananas, frisch oder aus der Dose
4–8 Cherry-Kirschen
2 EL Mandeln, in feine Stifte geschnitten, leicht geröstet

Zubereitung

1. Reis in ein Sieb geben und abspülen. Im Salzwasser aufkochen und bei kleinster Hitze zugedeckt 15 Minuten ausquellen lassen.

2. Die Zwiebel in wenig Bratbutter andünsten, bis sie glasig ist. Masala oder Curry beigeben. Mit der Kokosmilch ablöschen, Salz dazugeben und 15 bis 30 Minuten leicht köcheln lassen. Nach Belieben kann die Sauce mit dem Stabmixer fein püriert werden.

3. Pouletfleisch oder Fleischersatz in einer Bratpfanne mit etwas Bratbutter kurz anbraten, das dauert rund 5 Minuten. In die Sauce geben und kurz aufkochen, nicht kochen lassen. Das Gericht mit weiterem Masala oder Curry und mit Salz abschmecken. Eventuell etwas Kokosmilch oder Wasser ergänzen.

4. In einer Pfanne wenig Butter erwärmen und Bananenhälften beidseitig bräunen.

5. Den gekochten Reis in eine gebutterte Ringform geben und leicht andrücken. Den Reisring auf eine Platte oder einen grossen Teller stürzen. Einen Teil des Currys in die Mitte des Reisrings geben, den Rest in einer separaten Schüssel servieren.

6. Die Früchte zum Reisring legen. Mit den gerösteten Mandelsplittern bestreuen.

Rezept von Susanne Vögeli aus «Fülscher heute», Hier und Jetzt 2022

Köchin Susanne Vögeli hat Elisabeth Fülschers Risotto Casimir von 1960 neu rezeptiert und das Gericht so ins Heute geholt.
Susanne Vögeli

Für 4 Personen

Zutaten

200 g Pouletfleisch, geschnetzelt, oder Fleischersatzprodukt, nature
250 g Basmatireis
3 dl Wasser
½ TL Salz
1 Zwiebel, fein geschnitten
Wenig Bratbutter
1 TL Masala oder ein scharfes Currypulver
2,5 dl Kokosmilch
½ TL Salz
4 Babybananen, längs halbiert
Wenig Butter
2 Pfirsichhälften oder Mango, geschält, in feine Schnitze geschnitten
3 Scheiben Ananas, frisch oder aus der Dose
4–8 Cherry-Kirschen
2 EL Mandeln, in feine Stifte geschnitten, leicht geröstet

Zubereitung

1. Reis in ein Sieb geben und abspülen. Im Salzwasser aufkochen und bei kleinster Hitze zugedeckt 15 Minuten ausquellen lassen.

2. Die Zwiebel in wenig Bratbutter andünsten, bis sie glasig ist. Masala oder Curry beigeben. Mit der Kokosmilch ablöschen, Salz dazugeben und 15 bis 30 Minuten leicht köcheln lassen. Nach Belieben kann die Sauce mit dem Stabmixer fein püriert werden.

3. Pouletfleisch oder Fleischersatz in einer Bratpfanne mit etwas Bratbutter kurz anbraten, das dauert rund 5 Minuten. In die Sauce geben und kurz aufkochen, nicht kochen lassen. Das Gericht mit weiterem Masala oder Curry und mit Salz abschmecken. Eventuell etwas Kokosmilch oder Wasser ergänzen.

4. In einer Pfanne wenig Butter erwärmen und Bananenhälften beidseitig bräunen.

5. Den gekochten Reis in eine gebutterte Ringform geben und leicht andrücken. Den Reisring auf eine Platte oder einen grossen Teller stürzen. Einen Teil des Currys in die Mitte des Reisrings geben, den Rest in einer separaten Schüssel servieren.

6. Die Früchte zum Reisring legen. Mit den gerösteten Mandelsplittern bestreuen.

Rezept von Susanne Vögeli aus «Fülscher heute», Hier und Jetzt 2022

Das 2022 erschienene Buch enthält neben ihrem adaptierten Riz Casimir das Originalrezept und eine textliche Einordnung zu Elisabeth Fülschers Umgang mit fremdländischen Küchen. «Mein neues Rezept kommt der Idee eines indischen Currys näher», sagt Susanne Vögeli. Ihre Absicht: Auch junge Leute sollen Riz Casimir kochen, «vielleicht angerichtet wie in den 50er-Jahren und mit einem Augenzwinkern».

Im Ranking hochgeklettert

Riz Casimir ist im Ranking von Taste Atlas bereits nicht mehr auf dem schlechten 18. Platz: Wer aktuell die Tabelle der 100 schlimmsten Gerichte der Welt abruft, entdeckt Riz Casimir auf Platz 64 – und damit nicht einmal mehr in der Nähe der Top 20.

Auf Mailanfrage erklärt eine Mitarbeiterin von Taste Atlas, dass durch die weltweit grosse Medienresonanz in kurzer Zeit sehr viele neue Bewertungen auf der Plattform eingegangen seien. Schon eine Veränderung in der durchschnittlichen Bewertung von 0,1 Prozentpunkten vermöge einem Gericht eine völlig andere Platzierung zu geben. Uns dürfte das Ansehen unseres Nostalgie-Gerichts im Ausland aber ohnehin einerlei sein.

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