Seit 40 Jahren im Dienst und immer noch gefragt
Von wegen Tik-Tok! Deshalb ist in der Schweiz Teletext erfolgreicher

Vor 50 Jahren in Grossbritannien erfunden, vor 40 Jahren in der Deutschschweiz eingeführt – und noch immer quicklebendig: Teletext erlebt bei uns derzeit eine Renaissance. Wie der Informations-Dinosaurier im digitalen Zeitalter überlebt.
Publiziert: 19.02.2024 um 11:05 Uhr
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Aktualisiert: 22.02.2024 um 09:09 Uhr
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Die Liebsten kommen heute aus den Ferien zurück und freuen sich auf einen Abholdienst am Flughafen. Die Swissair-Maschine sollte um 13 Uhr landen, doch mit Verspätungen ist immer zu rechnen. Also schnell den Fernseher einschalten, den Sender SF DRS wählen und die TXT-Taste auf der Fernbedienung drücken. Nun die Zahl 815 für Flugverkehr eintippen, zwischen Zürich-Kloten, Genf-Cointrin und Basel-Mulhouse wählen, dann «Ankunft 12 bis 15 Uhr». Und warten, bis die Seite aufschaltet.

So war das im letzten Jahrtausend, noch bis in die 1990er-Jahre. Teletext war das Internet, bevor Computer in Haushalten Einzug hielten; eine erste digitale Schiefertafel. Teletext war die Nachlese für verpasste Nachrichten, bevor TV-Sender die Replay-Funktion einführten; eine schriftliche Notiz für Vergessliche. Teletext war der Text auf Verlangen, bevor die Streamingdienste alle Kanäle mit Video on Demand fluteten; der öffentliche Schriftverkehr mit Halt an jeder Ecke.

NEWS 100

Was heisst hier Teletext war? Teletext ist! 2023 konnte das Ultra-Uraltmedium gegenüber dem Vorjahr eine satte halbe Million Nutzerinnen und Nutzer in der Schweiz dazugewinnen. Aktuell informieren sich 2,5 Millionen Personen hierzulande zumindest gelegentlich via Teletext. Das ergab die letztjährige repräsentative Befragung zur Nutzung elektronischer Medien in der Schweiz, veröffentlicht von der Interessengemeinschaft elektronische Medien (Igem) und der Werbemittelforschung (Wemf).

Die Typografie mit tiefer Auflösung ist Kult – die Nutzer wünschen keine Änderung.

Damit liegt Teletext vor Linkedin (2 Mio.), Tiktok (1,1 Mio.) und X (0,7 Mio.) und knapp hinter Facebook (2,8 Mio.), Spotify (2,8 Mio.) und Netflix (2,9 Mio.). Letztgenannte Videoplattform verlor allerdings innert Jahresfrist 300’000 Nutzerinnen und Nutzer. Bei jenen, die das elektronische Medium täglich einschalten, liegen Netflix und Teletext 2023 mit je 800’000 Personen jetzt gleichauf. Der hierzulande vor 40 Jahren aufgeschaltete Informations-Kanal bietet dem Streamingdienst, der erst seit zehn Jahren verfügbar ist, die Stirn.

SPORT 180

«Die Teletextnutzung ist sehr stark vom Sport getrieben», sagt Edi Estermann (58), Leiter der Medienstelle Generaldirektion der SRG, die für den Inhalt von Teletext verantwortlich ist. «In Jahren mit grossen Sportereignissen wie Fussball-Welt- oder Fussball-Europameisterschaft sowie Olympia sind die Nutzungszahlen deshalb jeweils hoch.» Mit der Männer-Fussball-EM in Deutschland von Juni bis Juli und den Olympischen Sommerspielen in Paris von Juli bis August dürfte der Höhenflug von Teletext 2024 weitergehen.

1974 erfunden, 1984 bei uns eingeführt, erlebt Teletext einen Höhenflug

Die Nutzer sind durchschnittlich 54 Jahre alt und mehrheitlich männlich – zu bekennenden Teletext-Fans gehören Kabarettist Bänz Friedli (58, «warum sollte mit der nächsten Retrowelle nicht auch der Teletext wieder hip werden?») und alt Bundesrat Ueli Maurer (70): «Ich schaue mir am Morgen Teletext an, (…) ob ich etwas genauer anschauen muss oder nicht.» Und der Nachwuchs? «In letzter Zeit entdecken immer mehr Jugendliche die Vorzüge der Plattform», sagt Estermann.

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Vorzüge? Zwar gibt es seit 2009 eine Teletext-App für Smartphones, aber der Auftritt ist immer noch im Look der 1980er-Jahre gehalten: meist schwarzer Hintergrund, leuchtende Schrift in einer von acht Neon-Farben, Buchstaben gepixelt im Lego-Design. «Technisch wäre es längst möglich, die Texttafeln fein aufgelöst darzustellen», sagt Estermann. «Entsprechende Versuche haben wir aber rasch rückgängig gemacht, weil das Publikum den Teletext genau so wünscht.»

Im Beibehalten von Bewährtem sieht Patrick Tschirky (57) den Vorteil von Teletext. Tschirky ist Sprachdozent im Studiengang «Kommunikation und Medien» an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und sagt: «In einer Welt, die sich schnell verändert, und in einer Medienwelt, die immer multimedialer, schnelllebiger, bunter und lauter wird, garantiert Teletext eine Kontinuität des schlichten, auf die Essenz reduzierten Nachrichtenjournalismus.»

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2015/16 veranstaltete Tschirky für Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) ein Schreibcoaching «Texten für Teletext». Worauf gilt es dabei zu achten? «Kürze, starke Orientierung an klassischer Nachrichtensprache, keine Emotionalisierung», sagt Tschirky. Teletext vermeide umgangssprachliche Wörter und Wendungen, verzichte auf trendige, marketingnahe und zeitgeistige sprachliche Elemente. Zusammenfassend sagt er: «Teletext kommentiert, provoziert oder polemisiert nicht.»

Seit 2009 gibt es den Teletext auch als App.
Foto: Keystone

Ein unbebilderter Text, in drei kurze Abschnitte gegliedert, auf einer Bildschirmseite dargestellt, ohne dass man scrollen muss: «Teletext ist sehr einfach zu bedienen, er ist schnell, schnörkellos, reduziert auf das Wesentliche, kein grosses Blabla», sagt Estermann von der SRG. Teletext habe zudem eine «emotionale Komponente» – nicht in der Sprache, aber er begleite die etwas älteren Menschen ein halbes Leben lang. Viele kennen die dreistellige Zahl ihrer Lieblings-Seite auswendig: Sport 180, Wetter 500, TV&Radio 700 …

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Ursprünglich ist Teletext ein Lückenbüsser: Das analoge Fernsehbild setzte sich gemäss europäischer Norm der 1970er-Jahre aus 625 Bildzeilen zusammen, wovon nur 576 für die Übertragung des Bildinhalts im Einsatz waren. Der Rest nannte sich Austastlücke, während der sich das TV-Gerät auf den Empfang des nächsten Bilds vorbereitete. In Grossbritannien kamen BBC-Techniker auf die Idee, diesen ungenutzten Bereich für die Übertragung von Zusatzinformationen einzusetzen.

Vor 50 Jahren – genau am 23. September 1974 – strahlte das britische Fernsehen BBC den weltweit ersten Teletext aus. Der Service hiess «Ceefax», wortspielerisch für «see facts» («sieh Fakten») – als wäre es ein Dienst gegen heutige Fake-News. Die Textdaten waren seitenweise organisiert, boten Platz für 25 Zeilen zu je 40 Zeichen Text. 96 Buchstaben, Ziffern und Sonderzeichen sowie 128 Grafikzeichen standen für die Gestaltung der Seiten zur Verfügung – ein Kurznachrichtendienst über 30 Jahre vor der Einführung von Twitter.

Der Teletext informiert nüchtern und übersichtlich – das macht ihn beliebt.

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Teletext ist eine Technologie, die schon längst ihr Ende erreicht hat. Ohne sein Gesicht zu verändern, hat er seit 1996 einen Internetauftritt. Weil damals jede Minute im Netz kostete, nutzten die meisten immer noch lieber das TV-Gerät, was das deutsch-österreichische Satirikerduo Dirk Stermann (58) und Christoph Grissemann (57) zur Aussage brachte: «Teletext ist Internet für Arme.» Heute lässt sich der digitale «neue Teletext» HbbTV per rotem Knopf auf der Fernbedienung aufrufen.

Seit 2009 gibt es Teletext auch als App fürs Smartphone – selbstverständlich mit der nostalgischen Pixelschrift. «Aufgrund der nach wie vor hervorragenden Nutzung und der grossen Fangemeinde wurde eine Abschaltung immer wieder hinausgeschoben und steht auch momentan nicht zur Debatte», sagt Estermann. Zudem sei der Betrieb von Teletext sehr kostengünstig: Seit 2008 bespielen die Multimedia-Redaktionen von SRF (Deutschschweiz), RTS (Romandie) und RSI (Tessin) den Dienst mit Inhalten.

«Ich kann mir gut vorstellen, dass Teletext noch eine lange Zukunft hat», sagt ZHAW-Dozent Tschirky. Der traditionelle Auftritt verkörpere das Original, habe Kultcharakter und stehe für Sachlichkeit, Faktentreue und Verlässlichkeit. Alles Werte, die in der heutigen Zeit gefragt sind.

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