Schweizer Astronaut Claude Nicollier über Panne im All
«Das Leben auf einer Raumstation ist wie ein Zeltausflug»

Zwei US-Astronauten stecken seit über 60 Tagen im All fest. Ist das ein real gewordener Albtraum? Der Schweizer Astronaut Claude Nicollier ordnet ein.
Publiziert: 17.08.2024 um 01:14 Uhr
|
Aktualisiert: 17.08.2024 um 10:58 Uhr
1/10
Claude Nicollier ist der einzige Schweizer, der bisher im All war.
Foto: Thomas Meier

Sie sind auf engstem Raum gefangen und schweben im Weltraum, 400 Kilometer über der Erde. Was wie ein Sci-Fi-Thriller klingt, ist Realität geworden.

Zwei Nasa-Astronauten hätten für einen Testflug acht Tage auf der Internationalen Raumstation (ISS) verbringen sollen. Nun stecken sie seit über 60 Tagen im All fest. Im Extremfall müssen sie dort bis Februar 2025 ausharren. Denn die «Starliner»-Rakete von Boeing, die sie zurückbringen sollte, weist technische Mängel auf.

Bislang hat die Nasa den definitiven Entscheid über die Rückkehr aufgeschoben. Diese Woche hiess es, eine abschliessendes Urteil könnte Ende August folgen.

Herr Nicollier, Sie sind viermal ins All geflogen. Hatten Sie jemals Angst, dort hängenzubleiben?
Claude Nicollier:
Nein, ich hatte immer Vertrauen in die Technik. Es gab auch stets Notfallpläne, um mich zurück auf die Erde zu bringen. Und falls doch etwas schiefgegangen wäre, hätte ich gewusst: Die Nasa holt mich irgendwie zurück.

Seit zwei Monaten stecken zwei Astronauten auf der ISS fest. Das klingt wie ein Albtraum.
Das ist natürlich peinlich für den Raketenhersteller Boeing. Aber es ist kein Drama für die Astronauten. Denn sie stecken nicht fest. Sie werden wieder zurückkommen. Die Frage ist nur, wann und wie.

Persönlich

Claude Nicollier (79) ist bis heute der einzige Schweizer Astronaut, der je im Weltraum war. Gleich viermal (1992, 1993, 1996 und 1999) umkreiste der Wissenschaftler und Pilot die Erde an Bord eines amerikanischen Spaceshuttles. Insgesamt verbrachte er 42 Tage, 12 Stunden, 6 Minuten und 9 Sekunden im Weltraum, umrundete 680-mal die Erde und verbrachte 8 Stunden und 10 Minuten ausserhalb der US-Raumfähre. Seine wohl wichtigste Aufgabe war 1993 die erfolgreiche Reparatur des Weltraumteleskops Hubble. Nicollier ist seit 17 Jahren Witwer, hat zwei Töchter und lebt in Vufflens-la-Ville VD bei Lausanne.

UIG via Getty Images

Claude Nicollier (79) ist bis heute der einzige Schweizer Astronaut, der je im Weltraum war. Gleich viermal (1992, 1993, 1996 und 1999) umkreiste der Wissenschaftler und Pilot die Erde an Bord eines amerikanischen Spaceshuttles. Insgesamt verbrachte er 42 Tage, 12 Stunden, 6 Minuten und 9 Sekunden im Weltraum, umrundete 680-mal die Erde und verbrachte 8 Stunden und 10 Minuten ausserhalb der US-Raumfähre. Seine wohl wichtigste Aufgabe war 1993 die erfolgreiche Reparatur des Weltraumteleskops Hubble. Nicollier ist seit 17 Jahren Witwer, hat zwei Töchter und lebt in Vufflens-la-Ville VD bei Lausanne.

Wie können sie denn zurückkommen?
Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder sie fliegen mit der «Starliner»-Kapsel von Boeing. Oder eine «Crew Dragon»-Kapsel von SpaceX holt sie ab. Beide Optionen sind jedoch nicht ohne Risiko.

Weshalb?
Bei der «Starliner»-Rakete sind mehrere Triebwerke ausgefallen und die Nasa weiss nicht, weshalb. Zwar wäre es möglich, mit den noch funktionierenden Triebwerken zurückzufliegen. Aber das wäre riskant, solange die Ursachen des Problems ungeklärt sind. Für die SpaceX-Rakete benötigen die Astronauten spezielle Raumfahrtanzüge. Diese müssten zuerst ins All geschickt werden.

Geplant gewesen wäre nur eine Woche Aufenthalt auf der ISS. Die Astronauten nahmen nicht einmal frische Kleider mit. Wie überleben sie nun monatelang im All?
Ich bin sicher, die Astronauten erhalten neue Kleider. Zur ISS fliegen regelmässig Versorgungskapseln. So wird auch Essen und Wasser geliefert.

Und wenn es mit dem Wasser doch einmal knapp wird?
Dann trinken sie ihren eigenen Schweiss und Urin. Dafür gibt es auf der ISS spezielle Recyclingstationen, die Körperflüssigkeiten in trinkbares Wasser umwandeln.

Monatelang auf engstem Raum gefangen zu sein: Was macht das mit einem?
Natürlich ist der psychische Druck enorm und die Astronauten wären jetzt lieber bei ihren Familien. Aber sie wurden auf solch unerwartete Ereignisse vorbereitet. Und letztlich ist es im All gar nicht so schlimm. Das Leben auf einer Raumstation ist wie ein Zeltausflug.

Ein Lagerfeuer mit Cervelat gibt es dort aber nicht. Wie schlägt man im All die Zeit tot?
Die haben schon genug zu tun, keine Sorge. Die Nasa wird allerlei Forschungsaufträge an die beiden Astronauten erteilen. Zudem muss die ISS fortwährend gewartet werden. Das nimmt viel Zeit in Anspruch.

Aber auch im All gibt es Freizeit. Und man kann ja nicht nur auf die Erde starren. Wird einem da nicht langweilig?
Die Erde aus dem All zu sehen, das soll langweilig sein? Ich könnte davon nicht genug bekommen! Ich bin sicher, den beiden Astronauten geht es gleich.

Was denken Sie: Kehren die zwei Raumfahrer noch dieses Jahr zurück?
Das weiss ich nicht, aber die Nasa wird schon richtig entscheiden. Was ich jedoch weiss: Die Astronauten Suni Williams und Butch Wilmore kommen bestens zurecht.

Woher wissen Sie das?
Ich kenne die beiden. Wir haben schon zusammen Kaffee getrunken und Ideen ausgetauscht. Das sind brillante Astronauten und taffe Leute.

Fehler gefunden? Jetzt melden

Was sagst du dazu?