Video zeigt Wale im Mittelmeer
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Tiere sind gefährdet:Video zeigt Wale im Mittelmeer

Meeresbiologin über Wale im Mittelmeer
«Vielen ist nicht bewusst, dass sie uns so nahe sind»

Viele wissen nicht, wie nahe uns Wale sind. An den Badeorten Liguriens oder der Côte d'Azur tummeln sich im Sommer Pottwale und Finnwale. Die Meeresbiologin Caterina Lanfredi (43) setzt sich zusammen mit Freiwilligen seit 25 Jahren für ihren Schutz ein.
Publiziert: 18.08.2023 um 00:39 Uhr
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Aktualisiert: 23.08.2023 um 08:44 Uhr
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Wale im Mittelmeer: Vielen ist nicht bewusst, wie nahe uns die grössten Meeressäuger sind.
Foto: tethys
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Katja RichardRedaktorin Gesellschaft

Es ist überwältigend. Wenn sich auf einmal der gigantische Rücken eines Wals mit gewaltigem Schnauben über die Wellen erhebt, um wie in Zeitlupe wieder in die Tiefe hinabzugleiten, halten alle den Atem an. Dann wird an Bord der Pelagos gejauchzt. «Viele haben Tränen in den Augen», sagt die Meeresbiologin Caterina Lanfredi (43). «Die Begegnung mit einem der grössten Säugetiere der Welt lässt keinen unberührt.»

Seit 25 Jahren engagiert sich Lanfredi beim Forschungsinstitut Tethys für den Schutz der Meeressäuger vor der Küste Liguriens, zunächst als Assistentin, heute als Vizedirektorin. Jede Woche von Mai bis Oktober sticht der 21 Meter lange Zweimaster Pelagos in See, mit an Bord sind Forschende und Freiwillige, um Wale und Delfine zu beobachten. «Auf diese Weise konnten wir in den letzen drei Jahrzehnten wertvolle Daten sammeln. Die sind wichtig für den Schutz der Tiere», so Lanfredi.

Die Meeresbiologin Catarina Lanfredi setzt sich für den Schutz von Meeressäugern im Mittelmeer ein.
Foto: tethys

Freiwillige und Forschende

Als Passagier mit an Bord war kürzlich auch Antonio Cantore (58) aus Lausanne VD, der Ingenieur und Lehrer stammt ursprünglich aus der norditalienischen Region Emilia-Romagna: «Vielen ist gar nicht bewusst, dass uns die Wale im Mittelmeer so nahe sind.» Er ist seit 30 Jahren erfahrener Segler. Delfine hat er schon viele gesehen, jetzt zum ersten Mal Wale, zwei Pottwale und zwei Finnwale: «Der eine war 13 Meter lang, also fast so gross wie unser Boot. Ein unvergessliches Erlebnis.» Die zweitgrössten Meeressäuger können bis zu 24 Meter lang werden. Einfach sei es nicht, die Tiere aufzuspüren. Jeder der acht Freiwilligen an Bord hilft mit und kann die Forschungsarbeit beobachten. «Alle halten Ausschau am Horizont und wir konnten auch die wissenschaftlichen Instrumente nutzen», erzählt Cantore. Wichtig seien dafür vor allem die Unterwassermikrofone, mit denen die Geräusche der Wale aufgenommen und vom Computer ausgewertet würden. 

Freiwillige an Bord der Pelagos: Delphine begleiten den Segler regelmässig.
Foto: tethys

«So kann man die Wale lokalisieren, man erfährt aber auch mehr über ihr Verhalten unter Wasser, etwa wie sie fressen oder kommunizieren», erklärt Meeresbiologin Lanfredi. Besonders faszinieren dabei die Klicklaute der Pottwale. Mit einer Frequenz von mehr als 30 KHz können Pottwalgeräusche mit dem Hydrofon wahrgenommen werden. Pottwale nutzen den Schall nicht nur zur Kommunikation, sondern auch um ihre Beute in der stockdunklen Tiefsee in bis zu 1000 Metern Tiefe zu orten: Zu ihren Leibspeisen gehören mittelgrosse Kalmare, also Tintenfische. «Die Reichweite ihrer Laute nimmt zu, wenn sie jagen», erklärt Lanfredi. 

Laut aktuellen Schätzungen leben etwa 1000 Zwergwale und einige Hundert Pottwale im gesamten Mittelmeer. Dank des Engagements von Tethys ist 1999 bereits das Meeresschutzgebiet Pelagos entstanden. Es reicht von der Côte d’Azur bis nach Sardinien und von dort bis an die toskanische Küste. Auf einer Fläche von 90'000 Quadratkilometern leben hier acht Arten von Delfinen und Walen – die meisten davon sind gefährdet. Lanfredi schätzt, dass es im Gebiet nur noch 60 bis 70 Pottwale gibt. Über die Jahrzehnte wurden 200 Pottwale katalogisiert, alle bekommen Namen, unterscheiden kann man sie an ihrer Schwanzflosse. Ein besonderes Exemplar ist Freddy. 

Freddy ist wie ein alter Freund

«Ihm begegnen wir sehr oft. Es ist, als ob man einen alten Freund antreffen würde», so Lanfredi. Zum ersten Mal ist Freddy vor 15 Jahren aufgetaucht, seit 2011 hat er eine lange Narbe, die direkt vor seiner Rückenflosse verläuft. «Er muss von einem Schiff gerammt worden sein, es ist ein Wunder, dass er überlebt hat», sagt Lanfredi. Jedes Jahr sterben auf diese Weise Hunderte Wale im Mittelmeer. Lanfredi: «Oft wird dies erst bemerkt, wenn eine Fähre oder ein Frachter das verendete Tier bis in den Hafen schleppt oder es an den Strand gespült wird.» 

Freddy ist wie ein alter Freund: Der Wal wird regelmässig gesichtet.
Foto: tethys

Gefährlich wird es für die Wale an der Wasseroberfläche, wo sie Zeit zum Atmen verbringen. Eine Expressfähre nach Sardinien oder Korsika ist mit bis zu 70 Stundenkilometern unterwegs, damit bleibt dem Wal nicht genug Zeit zum Abtauchen. Laut Schätzungen von Tethys verkehren innerhalb des Schutzgebietes täglich 9000 Schiffe. «Darum müssen sie ihre Geschwindigkeit drosseln, das ist die einzige Lösung», so die Meeresbiologin. Die internationale Seeschifffahrtsorganisation IMO hat das nordwestliche Mittelmeer im Juli zu einer besonders sensiblen Zone erklärt, um Kollisionen zu verhindern. Das ist allerdings eine freiwillige Massnahme. Ob sich die Schifffahrtsgesellschaften daran halten, bleibt ihnen überlassen. 

«Darum ist es so wichtig, bewusst zu machen, wie fragil diese Giganten der Meere sind», warnt Lanfredi. Denn Wale vermehren sich nicht in dem Tempo wie andere Meerestiere. Weibliche Pottwale sind nur alle fünf Jahre trächtig, tragen ihr Junges bis 15 Monate aus und säugen es ein Jahr lang. Lanfredi: «Darum ist das Leben jedes einzelnen Wals so wertvoll.» 

Info für Wal- und Delfin-Segeln mit Tethys: whalesanddolphins.tethys.org/join-us 

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