Schon als Vierjährige hatte Marine Besnard (35) die Chance, auf einer Bühne zu tanzen – bei der Jubiläumsfeier ihrer Tanzschule. Ein Erlebnis, das sie geprägt hat: «Dieses einmalige Gefühl, live vor Publikum zu tanzen, hat mich nicht mehr losgelassen.» Es war der Augenblick, in dem sich der Wunsch formte, Tänzerin zu werden.
Ein steiniger Weg und ein Traum, der für die Genferin erfüllend, aber auch herausfordernd war. Wie so viele Profitänzerinnen hat Besnard ihrem Körper alles abverlangt. Nach mehreren Verletzungen musste sie das Tanzen anders in ihr Leben einbinden. Inzwischen hat sie einen neuen Zugang zu ihrer Leidenschaft gefunden: als Choreografin und im Programm-Team von Steps, dem grössten Tanzfestival der Schweiz, das seit 1988 alle zwei Jahre vom sogenannten Migros-Kulturprozent konzipiert wird. «Heute interessiert es mich, Geschichten zu erzählen und gesellschaftliche Themen auf die Bühne zu bringen. Der Körper ist ein Medium mit einer universellen Sprache. So wie die Musik, die jeder verstehen kann und auf einer tieferen Ebene berührt.»
Die Kunst der Kontrolle
Insbesondere der zeitgenössische Tanz lässt mehr Freiheiten und Spielraum in der Inszenierung. «Er gibt dem Einzelnen und seiner Bewegungssprache mehr Raum. Tänzerinnen und Tänzer sind meist Teil des kreativen Prozesses», so Besnard. «Es geht darum, etwas Echtes und Wahres auf die Bühne zu bringen, mit dem sich das Publikum identifizieren kann.»
Tanzen bis zum Umfallen
Was Besnard am zeitgenössischen Tanz interessiert hat, ist, dass er weniger reglementiert ist als Ballett. Dennoch ist es so anspruchsvoll wie Hochleistungssport: «Der Körper wird zum Instrument, und man lernt, ihn zu gestalten und zu beherrschen», sagt Besnard. «Das fand ich als 18-Jährige spannend. Dabei habe ich aber vergessen, auf meinen Körper zu hören.» Einmal hat sie sogar ein Stück mit gebrochenem Fussgelenk zu Ende getanzt. Inzwischen ist es ihr wichtig, mit dem Körper und nicht gegen ihn zu arbeiten. «Die grosse Kunst ist, wenn man die volle Kontrolle erlangt hat, völlig loslassen zu können und sich der Bewegung hinzugeben – nur so kann man echte Emotionen transportieren und das Publikum berühren.»
Den Körper neu befreunden
In der Tanzszene ist laut Besnard ein Umdenken im Gange: «Früher hat man Tanz gelernt wie Mathematik in der Schule, mit bestimmten Schritten und Choreografien. Heute ist Improvisation wichtig, also das eigene Bewegungsmuster, die Technik folgt.» Vier Jahre ist es her, seit Besnard das Profitanzen wegen einer Hüftverletzung aufgeben musste. Sie vermisst das Tanzen und fängt auf neue Weise damit an: «Mein Fokus liegt jetzt mehr darauf, wie es sich anfühlt, statt wie es aussieht.» Ihr geht es darum, ihren Körper wieder zu befreunden: «Mir ist es wichtig, dass ich mit 80 noch auf eine Wanderung kann.»
Statt auf der Bühne tanzt sie jetzt in der Natur. «Für mich allein. Dabei verbinde ich mich mit mir selber und den Elementen um mich herum», sagt Besnard. Oft schüttelt sie dabei einfach nur den Körper aus. «Es geht um ein Loslassen, um meinen eigenen Ausdruck wiederzufinden.» Auch in ihrer Rolle als Co-Kuratorin von Steps lädt sie das Publikum im Stück «Dancing Public» dazu ein, sich auf Musik und Tanz der Performance einzulassen und allenfalls sogar selber mitzutanzen.