Ihr altes Leben hat sie hinter sich gelassen. Was bleibt, sind digitale Schnipsel, die es aus den Tiefen des Internets an die Oberfläche spült: «Maimouna Ahmed (18), aus Lyss BE, Grösse 1,80». Dazu ein Bild, eine Frau mit pflaumenrotem Mund, grellglänzendem schwarzem Haar, die Hand lässig auf ein Bistro-Tisch gestützt, die langen Beine in Strümpfen und Ledershorts. So präsentierte der «Blick am Abend» die Finalistin des Modelwettbewerbs Elite Model Look Switzerland im Jahr 2012. Das war Maimouna Ahmeds Alltag. Der Blick von aussen, er bestimmte sie.
Heute entzieht sie sich ihm. Heute verdecken ein Hidschab Maimouna Ahmeds Haare und Hals. Heute sagt sie: «Wir muslimischen Frauen kommen selten zu Wort. Meistens wird für uns oder über uns gesprochen.»
Ein Thai-Restaurant in der Agglomeration von Zürich. Draussen wäscht der Regen den Russ von den verblichenen Industriefassaden. Drinnen steckt sich Maimouna Ahmed ein Mikrofon an ihren weit geschnittenen Blazer. Die letzten Tage des Fastenmonats Ramadan sind angebrochen, bald füllen sich die Bänke vor den gedeckten Tischen. Auf dem Programm heute: «Iftar», das gemeinsame Fastenbrechen. Und Maimouna Ahmed stimmt die Follower auf Instagram mit einer Videostory darauf ein, hält ihr Handy vors Gesicht und legt los: «Salam aleikum, meine Brüder und Schwestern.»
Zwei Frauen, der gleiche Mensch. Dazwischen liegen zehn Jahre.
Im Dienst des Islam und des Zentralrats
Maimouna Ahmed hat ihr altes Leben abgestreift, Modeljob, Tanzen an Partys, Singen mit Freunden – all das ist vorbei. Sie hat beim berüchtigsten islamischen Verein der Schweiz eine neue Heimat gefunden: dem Islamischen Zentralrat Schweiz (IZR). Maimouna Ahmed gibt ihm ein weibliches Gesicht. Sie ist Influencerin. Und als solche begleitet sie das Fastenbrechen, das der IZR an einem Samstag nach Ostern organisiert hat.
Über ihr Privatleben verrät sie so viel: Sie ist 28 Jahre alt, verheiratet, steht vor der Zulassungsprüfung für das Medizinstudium. Für Kinder habe sie derzeit keine Ressourcen. Sie hat andere Ziele, haut mit Mikrofon und Kamerafrau im Schlepptau spontan Menschen auf der Strasse an, spricht mit ihnen über das Kopftuch, Frauen im Islam, Vorurteile gegenüber Muslimen. Ihre Mission: «Wir wollen den Muslimen Gehör verschaffen.» Insbesondere: den muslimischen Frauen.
Mit «wir» meint sie auch: ein Team von Hidschab-Trägerinnen. Alles Mitglieder des IZR. Ehefrauen, Mütter, vor allem aber: Frauen hinter den Kulissen, die mit einer Profi-Ausrüstung im Aufnahmestudio des Vereins Filme und Sendungen mit Strassenumfragen, Talk-Runden, Events produzieren. Die Bildsprache: jung, frech, weiblich. Und damit füttern sie Youtube, Instagram, Tiktok – mit 10’000 bis 20’000 Followern pro Kanal.
Ohne soziale Medien kein IZR
Der Aufwand: riesig. Und das für eine Splittergruppe. Laut dem Mann, der den Verein seit seiner Entstehung beobachtet, macht das Sinn: Reinhard Schulze. Der emeritierte Professor lehrte Islamwissenschaften an der Universität Bern, die IZR-Gründer sassen früher in seinen Vorlesungen. Schulze sagt: «Der IZR ist ein Produkt dieser neuen Medien, ohne sie würde er nicht existieren.» Und noch etwas zeigt sich Schulze zufolge anhand dieser neuen Kanäle: Der Verein verändert sich seit einiger Zeit. Er arbeitet an einem neuen ideologischen Image.
Der IZR ist dem Salafismus verpflichtet, einer ultrakonservativen dogmatischen Tradition des Islams. Salafisten streben nach einer Gesellschaft, einem Glauben und einem Alltag, wie sie zur Zeit des Propheten Mohammad (im 7. Jahrhundert) existiert haben sollen, sie legen den Koran wortwörtlich aus. Dazu gehört die strikte Trennung der Frauen- und Männerwelt, Frauen und Männer, die weder verwandt noch vermählt sind, dürfen sich nicht berühren, nicht in die Augen sehen. Das ist «haram», verboten. Hinzu kam beim IZR lange: Er war politisch, unterstützte Gewalt. Im Herbst wurden der IZR-Präsident Nicolas Blancho und das Vorstandsmitglied Qaasim Illi wegen der Unterstützung der Verbreitung von Al-Kaida-Propaganda verurteilt. Sie hatten 2015 entsprechende Videos beworben.
Die Terroristen-PR hat der IZR hinter sich gelassen. Reinhard Schulze sagt: «Der IZR vermittelt mittlerweile viel stärker gesellschaftliche Themen, politische Inhalte vermeidet er.» Sexualität und Probleme in der Ehe, psychische Gesundheit, Verhüllung – darum geht es auf seinen Kanälen. Darum geht es der Frau, die zur Entwicklung des IZR passt: Maimouna Ahmed.
Sie hatte schon als Kind mit Rassismus zu kämpfen
Vor dem Thai-Restaurant fährt der bärtige Blancho mit Poschettli in der Brusttasche vor. Der taillierte Blazer spannt über seinem Rücken, als er mit einem anderen Bärtigen ein Rednerpult aus dem Kofferraum hievt. Das Thema seiner späteren Predigt: Vergebung. Drinnen baut eine verhüllte Technikerin routiniert Beamer und Scheinwerfer auf. Maimouna Ahmed nimmt ihr Ansteck-Mik ab, setzt sich. Erklärt, wie sie zur praktizierenden Muslima wurde. Und zum IZR kam.
Ahmeds Mutter stammt aus Somalia, der Vater aus Mauretanien. Sie wuchs als liberale Muslimin in Lyss auf, sagt sie. Ihre Mutter demonstrierte gegen Frauenbeschneidung, unterstützte die Teenager-Tochter, als diese auf der Strasse entdeckt worden war und modeln wollte. Mit 19 traf Ahmed einen Entscheid: Sie wollte Kopftuch tragen. Und rief ihre Modelagentur an, sagte: Ich komme nicht mehr. Sie sei ständig auf ihr Äusseres reduziert worden, sagt Ahmed. «Ich wollte, dass das aufhört.»
Wenn man verstehen will, warum die Frau, die Kinder-Psychiaterin werden will und in ihren Beiträgen immer wieder auf die Selbstbestimmung der muslimischen Frau pocht, bei einem Verein eingestiegen ist, dessen Präsident vor über zehn Jahren die Steinigung bei Ehebruch befürwortete, muss mit ihr über Lyss reden. Lyss liegt im Berner Seeland, eine Kleinstadt mit Land-Mentalität. Ahmed sagt: «Ich war die einzige Dunkle in der Klasse.»
Es gibt einen Schlüsselmoment. In der Oberstufe. Ein Klassenkamerad malt einen schwarzen Stift mit oranger Farbe an, drückt Ahmed den Stift in die Hand, die orange Farbe bleibt an ihren Handinnenflächen zurück. Der Stift ist nun wieder schwarz. Der Kamerad lacht sie aus und schreit: «Seht her, wenn Maimouna etwas anfasst, wird es schwarz!» Ihre Augen werden nun schmaler, sie sagt: «Damals habe ich mir geschworen, so etwas nie mehr zuzulassen.»
So wurde die Ausgegrenzte Mitglied einer Gruppierung, die sich selber ausgrenzt.
Der salafistische Islam gibt ihr Halt
Zum IZR kam sie zufällig, durch einen über Facebook gepushten Event von ihm. «Ich war auf der Suche nach mir selbst», sagt sie. Eine Sinnkrise. Beim IZR erhielt sie Antworten – mehr als sie Fragen hatte. Und sie stiess auf eine Auslegung des Islams, die ihr Leben ordnet, ihren Alltag strukturiert. Die ihr sagt, mit welcher Hand man isst, wie sich eine gottgefällige Muslimin kleidet, wie sie sich verhält. Singen, Tanzen in der Öffentlichkeit gehören nicht dazu. Sie sagt: «Diese Regeln, diese Ordnung – das gibt mir Halt.»
Ahmed steht auf, will eine weitere Instagramstory aufnehmen. Die Bankreihen sind voll, in der Mitte sitzen die Frauen und Kinder, am Rand die Männer. Es riecht nach Curry und gebratenem Fleisch. Auf einer Leinwand kreist ein Strom weiss gewandeter Pilger um die Kaaba, die heilige Stätte in Mekka. Bis Nicolas Blancho ans Rednerpult tritt, jetzt leuchten dort Schlagwörter auf: «Zukunftsorientiert». «Professionell». «Herzlich». «Ambiguitäts-tolerant». «Nachhaltig». Und Blanco fängt an: «Wer von euch ist bereit, zu vergeben, liebe Geschwister?»
Hinter den neuen, sanfteren Tönen beim IZR steht eine globale Entwicklung. Der Islamwissenschaftler Schulze sagt: «Der Salafismus steckt in der Krise.»
Der IZR bezog sich immer auf Saudi-Arabien, auf wahhabitisch-salafistische Gelehrte. Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman kappte deren Macht, so wie er sich ganz vom «Staatswahhabismus» verabschiedete. Hinzu kommt, wie die radikalen Salafisten in Syrien scheitern. Der ganze salafistische Hintergrund sei für den konservativen Islam weggebrochen, so Schulze. «Der IZR passt seine salafistische Lehrmeinung stärker an die lokalen Bedingungen in der Schweiz an.»
Der Sex-Talk beim IZR sorgt für Ärger bei den Ultra-Konservativen
Und diese sorgt für Zündstoff innerhalb der radikal-islamischen Szene, die sich über den deutschsprachigen Raum zieht. Der Auslöser: eine Live-Übertragung des IZR auf Facebook vor zwei Jahren.
Die Szene: Nicolas Blancho, Qaasim Illi, Ferah Ulucay und Maimouna Ahmed – die zwei Männer und zwei Frauen diskutieren auf einer Brücke in Amsterdam über Sex im Islam. Ausgangspunkt ist ein Mann, der vor Ort gerade ein Haus verlässt, Illi behauptet, das sei ein Freier, der aus dem Puff gekommen ist. Und das wollen die vier verhindern: dass ein Ehemann zu einer Prostituierten muss. Weil: haram. Doch wie?
Blancho: «Die Frau sollte ihren Mann oral befriedigen, es ist der Wunsch eines jeden Mannes. Ich rate den Frauen, sich alle Formen der Oralbefriedigung anzutrainieren.»
Illi: «Gibt es Grenzen beim Oralverkehr? Gewisse Gelehrte sagen zum Beispiel, man soll das Sperma nicht schlucken.»
Ulucay: «Wir tun so, als wäre die sexuelle Befriedigung nur für den Mann gut. Auch die Frau will befriedigt werden.»
Und Maimouna Ahmed wirbt in der trauten Runde für das gemeinsame Ausleben von Fetischen: «Vielleicht ist die eine Frau nicht bereit dazu, vielleicht aber eine andere Frau. Die Mehrehe ist eine Lösung.»
Noch während des Streams füllt sich die Kommentarspalte mit Hass: «Fremdscham», «Das alles ist haram!», «Fürchtet Allah!» Und der deutsche Islamisten-Prediger Pierre Vogel, den der IZR vor Jahren noch als «Bruder» in die Schweiz eingeladen hat, widmet dem Ganzen eine fast einstündige Standpauke auf Youtube, sein Fazit: «Wir brauchen keine Sexgurus, die uns erklären, wie das funktioniert! Und schon gar keinen Prediger, der einen auf Sexualguru macht!»
Maimouna Ahmed reagiert gelassen. Sie sagt nur: «Ich bin meinungsstark, das passt nicht allen.» Und steht damit ganz in der Tradition des IZR. Image-Wandel hin oder her, sein Ding bleibt: Provokation.
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