Fantasy-Autorin Cornelia Funke über ihr neues Tintenwelt-Buch
«Man kann eine Geschichte nicht zwingen»

Bestsellerautorin Cornelia Funke veröffentlicht nach 16 Jahren die ersehnte Fortsetzung zu ihrer Tintenwelt-Reihe. Ein Gespräch mit der international erfolgreichen Fantasy-Autorin über Geschichten, die sich verstecken, und das Nachhausekommen in eine fiktive Welt.
Publiziert: 21.10.2023 um 13:10 Uhr
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Cornelia Funkes Jugend- und Kinderbücher werden in 37 Sprachen übersetzt.
Foto: Gaby Gerster/laif
Kathrin Brunner Artho

Ihr Garten ist so vielseitig und magisch wie ihre Bücherwelt. Hinter Topfpflanzen und Wildbüschen verstecken sich Drachen und Koboldfiguren, und eine gewaltige Eidechse aus Metall umrahmt den Eingang zu ihrer Villa. Im Herzen der Toskana hat sich Cornelia Funke (64) ein kleines, grünes Paradies geschaffen. Hier malt, schreibt und lebt die deutsche Kinder- und Jugendbuchautorin seit zwei Jahren. Für ihre Werke, darunter «Herr der Diebe» und «Tintenherz», hat Funke schon etliche Preise erhalten. Gerade ist der vierte Band der Tintenwelt-Reihe erschienen. Höchste Zeit für ein Gespräch.

Ihre gefeierte Tintenwelt-Trilogie erschien ab 2003 im Zweijahrestakt. Nun ist mit «Die Farbe der Rache» ein vierter Band da – 16 Jahre nach dem dritten. Wie schwierig war es für Sie, wieder in die Tintenwelt zu finden?
Cornelia Funke: Ich kam zurück in die Tintenwelt, und es war, als wäre ich nie weg gewesen. Mit der Arbeit an «Tintenherz», «Tintenblut» und «Tintentod» waren es fast zehn Jahre, die ich an diesem Ort verbracht hatte. Es ist, wie wenn man lange in einer Stadt gelebt hat und nach zwanzig Jahren zurückkommt: Man kennt alles wieder. 

War «Tintenherz» schon immer als Serie geplant?
Überhaupt nicht. Aber als ich «Tintenherz» fertig geschrieben hatte, kriegte ich Heimweh nach der Geschichte. Ich hatte viele Diskussionen mit mir, ob ich noch einen zweiten Band schreiben sollte. «Cornelia», sagte ich mir, «du schreibst keinen zweiten, es gibt genug Fortsetzungen da draussen.» Die Geschichte liess mich aber nicht los, und jetzt sind es vier Bücher.

Über Cornelia Funke

Cornelia Funke, in Dorsten (D) am 10. Dezember 1958 geboren, ist eine der bekanntesten Kinder- und Jugendbuchautorinnen. Sie begann ihre Karriere als Sozialarbeiterin, bevor sie in den späten 1980er-Jahren Buchillustratorin und später Romanautorin wurde. Bekannt ist Funke vor allem für ihre fantasievollen Geschichten mit starken Charakteren. Zu ihren bekanntesten Werken gehören «Der Herr der Diebe», «Die wilden Hühner» und die Tintenwelt-Reihe. Funke hat weltweit über 20 Millionen Exemplare ihrer Bücher verkauft, die in 37 Sprachen übersetzt wurden.

Laif

Cornelia Funke, in Dorsten (D) am 10. Dezember 1958 geboren, ist eine der bekanntesten Kinder- und Jugendbuchautorinnen. Sie begann ihre Karriere als Sozialarbeiterin, bevor sie in den späten 1980er-Jahren Buchillustratorin und später Romanautorin wurde. Bekannt ist Funke vor allem für ihre fantasievollen Geschichten mit starken Charakteren. Zu ihren bekanntesten Werken gehören «Der Herr der Diebe», «Die wilden Hühner» und die Tintenwelt-Reihe. Funke hat weltweit über 20 Millionen Exemplare ihrer Bücher verkauft, die in 37 Sprachen übersetzt wurden.

Im neusten Roman gehen Sie der Frage nach, ob Bilder mächtiger sind als Wörter. Wie kam es zu dieser Überlegung?
Als ich immer mehr illustrierte und malte, stellte ich mir die Frage, ob Bilder mächtiger sind als Worte. Irgendwann kam mir die Idee, diese Frage mit der Tintenwelt zu verknüpfen. Am Ende des dritten Bands entkommt Orpheus. Was wäre, wenn Orpheus die Bilder benutzt, um Ärger zu machen? Es ist ein Thema, das ich ernst nehmen kann für die Tintenwelt. Ich wollte nicht einfach nur eine Fortsetzung schreiben, sondern auch über ein Thema schreiben. 

Wann haben Sie angefangen, am neuen Buch zu schreiben?
Vor Jahren. Ich habe alle Bücher nochmals gehört und dachte: «So dunkel, die Bücher sind ja so dunkel.» Das wollte ich nicht, ich wollte Hoffnung säen. Die Welt schien in der Pandemie-Zeit so düster, und ich wollte eine Geschichte erzählen, die Hoffnung macht. Es ist nicht möglich, eine Geschichte in eine bestimmte Richtung zu zwingen, aber ich habe es gehofft. Mir war wichtig, dass die Leserinnen und Leser das Buch lesen und glücklich sind. 

Warum fehlt diesmal das Wort Tinte im Titel?
Beim Verlag wollten alle, dass es «Tintenrache» heisst. Das wollte ich aber nicht. Die ersten drei Bücher sind ja in sich geschlossen. Das vierte ist wie eine Geschichte für sich, und daher hätte der Name einfach nicht gepasst. Ich musste so kämpfen für diesen Namen. Für mich ist «Die Farbe der Rache» einfach der Titel des Buchs.

Wie kommen Sie auf die Titel Ihrer Bücher?
Das ist ganz unterschiedlich: Bei «Herr der Diebe» war das ein langer Prozess, weil ich am Anfang befürchtete, dass der Name zu sehr an «Herr der Ringe» erinnerte. Bei den «Reckless»-Büchern war es anders: Eine Freundin schenkte mir Tassen von einem Töpfer in Wales und darauf stand «Reckless Design», und da dachte ich mir: «Oh, das ist ja ein schicker Name!» Bei «Tintenherz» wusste ich sofort, dass die Geschichte so heissen soll.

Ihre Bücher werden in viele Sprachen übersetzt, und viele sind Bestseller. Gibt es auch Bücher und Geschichten, die gar nicht gut liefen?
Das erste «Reckless»-Buch ist das grösste Desaster meiner Karriere. Das Buch ist so gefloppt. Ich hab noch nie so einen Hass-Sturm nach der Veröffentlichung eines Buchs erhalten wie bei dem. 

Echt? Wieso?
Ich glaube, das war, weil es einen anderen Ton hatte, andere Charaktere, eine andere Welt, und ich glaube, es kam zu schnell. Es war ein zu starker Kontrast zur Tintenwelt. Das haben mir viele übel genommen. 

Wie ist denn Ihr Schreibprozess? Starten Sie am Anfang einer Geschichte oder schreiben Sie kleine Szenen und fügen sie dann zusammen?
Zuerst habe ich immer eine Idee, was ich schreiben möchte. Danach fülle ich meinen Rucksack, das bedeutet, ich mache Recherchen. Diese können unterschiedlich aufwendig sein. Bei den «Wilden Hühnern» habe ich die Geschichte innert Monaten geschrieben, da ich nicht viel recherchieren musste. Die Vorbereitungen zu «Reckless» und «Tintenherz» waren aufwendiger. Da musste ich viel über Märchen, das 19. Jahrhundert oder, wie beim aktuellen Buch, über Farben herausfinden. Diese Recherchen können bis zu einem Jahr dauern. 

Und nach der Recherche?
Dann begebe ich mich ins Labyrinth. Dort versuche ich, zum Herz der Geschichte zu gelangen. Das ist magisch. Manchmal huschen Charaktere vorbei, Zauberdinge kreuzen meinen Weg, oder ich laufe in eine Sackgasse hinein und muss umkehren. Dann muss ich Kapitel oder Szenen umschreiben. 

Sind das dann Schreibblockaden?
Nein. Das gibt es nicht. Also, ich glaube nicht daran. Ich denke mir, dass die Geschichte sich dann einfach versteckt, weil ich dem Kern des Labyrinths und somit der Geschichte näher gekommen bin. Aber diese Geschichten sind meistens die besten (zwinkert). «Die Farbe der Rache» war so ein Buch. Es war unglaublich zäh zum Schreiben, und es hat sich immer wieder vor mir versteckt. Ich habe ganze Kapitel umgeschrieben. Das ist jetzt die achte Fassung des Buchs. 

Liest Ihre Familie Ihre Bücher?
Meine Tochter, ja. Sie ist meine schärfste Kritikerin und das sehr berechtigt. Ich rede viel mit ihr. 

Apropos: Sie sind Grossmutter geworden – herzliche Gratulation!
Dankeschön. Ja, ich bin jetzt eine Nonna. Und ich liebe es, wenn die Leute rufen: «Ciao Nonna. Come stai?»

Ihr neustes Buch hat nun sozusagen gerade das Licht der Welt erblickt. Wie geht es Ihnen damit, nach all den Jahren des Schwangergehens damit?
Die Vorfreude auf die ersten Zuschriften geht nie weg. Ich versuche es immer so zu sagen: Das Buch ist ja fast, als ob ich allein in einer Landschaft oder einer Stadt stehe und auf den Klang von Fussstapfen warte. Und dann kommen die Leserinnen und Leser herein, und alles wird plötzlich lebendig! Das ist für mich immer noch der magische Moment.

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